In Frauenburg, dem Sitz des ermländischen Domkapitels, starb 1543 dessen Mitglied Nicolaus Copernicus, der schon zu Lebzeiten bekannte Astronom. Erst wenige Wochen vorher war sein wissenschaftliches Hauptwerk De revolutionibus in Nürnberg im Druck erschienen. Der Gelehrte, der in Humanistenart seinen Namen meist in latinisierter Form schrieb, war in Thorn geboren, wo die wohl aus Schlesien gekommene Familie Koppirnigk seit der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts nachweisbar ist. Die Mutter des Astronomen kam aus der Thorner Kaufmannsfamilie Watzenrode, so daß er von beiden Eltern her der Oberschicht dieser westpreußischen Stadt entstammte. Wenn er auch als Sohn einer Stadt in Preußen königlich polnischen Anteils Untertan der Krone Polen war, war er der Sprache nach Deutscher. Für die Zeitgenossen war seine Nationalität die preußische. Der spätere deutsch-polnische Nationalitätenkampf um Copernicus ist daher nur aus der Geisteshaltung des 19. und 20. Jahrhunderts zu verstehen. Über das Geburtshaus von Copernicus ist viel gemutmaßt worden. Am meisten spricht für das Haus in der früheren Annengasse und späteren Copernicusstraße, das nach 1945 im alten Stil erneuert wurde und seitdem museal genutzt wird. In der benachbarten Schule von St. Johann wird Copernicus seine Schulbildung erhalten haben. Da Preußen keine Universität besaß – die Gründung in Kulm war nicht zustande gekommen -, ging er 1491 für zunächst drei Jahre an die Universität Krakau, wo er nach späterer Aussage schon mit astronomischen Studien begonnen haben soll. 1494 kehrte er zunächst nach Preußen zurück, wo ihm der ermländische Bischof Lukas Watzenrode, ein Bruder seiner Mutter, ein erstes Kanonikat, und zwar in Frauenburg, verschaffte. Da der junge Copernicus noch keinen akademischen Grad besaß, konnte er wegen des Widerstandes im Domkapitel erst 1497 in den Besitz dieser Pfründe gelangen. Seit 1496/97 setzte er seine Studien in Italien fort, zunächst in Bologna, der berühmten Juristenuniversität. Von dort reiste er im Jahre 1500 nach Rom, um mathematische Vorträge zu halten. Seit 1501 studierte er an der Universität Padua Medizin, setzte aber zugleich seine Studien, insbesondere der griechischen Sprache und der Astronomie, fort. Über juristischen Studien ist nichts bekannt. Fest steht aber, daß Copernicus 1503 in Ferrara zum Doktor des kanonischen Rechts promoviert wurde. Danach kehrte er in seine preußische Heimat zurück, die er seitdem nicht mehr verlassen haben wird. Zunächst diente er in Heilsberg seinem bischöflichen Onkel als Arzt. Mit diesem besuchte er westpreußische Landtage; bekannt ist das für 1504 und 1506. Er nahm also sofort am politischen Leben Preußens teil. In das Jahr 1509 fällt seine erste Veröffentlichung, eine Übersetzung aus dem Griechischen ins Lateinische, die in Krakau erschienen ist. Copernicus war offenbar ein geschickter Zeichner nicht nur bei seinen astronomischen Arbeiten, denn zum Jahr 1510, als auf dem Posener Kongreß über die Beziehungen Preußens zu Polen verhandelt wurde, wird erstmals eine kartographische Darstellung Preußens des Doctor Nicolaus erwähnt, doch ist von derlei Dingen nichts im Original erhalten. Coperncius‘ medizinische Kenntnisse haben vor allem die ermländischen Bischöfe zu nutzen gesucht. Aus seinen letzten Lebensjahren ist die Beratung von Georg von Kunheim, einem Rat Herzog Albrechts in Preußen, bekanntgeworden, weil aus diesem Zusammenhang die beiden einzigen im Original erhaltenen Copernicus-Briefe in deutscher Sprache (neben sonst nur lateinischen Schreiben) stammen und weil er persönlich in das evangelisch gewordene Königsberg gereist ist.
Seit 1510 lebte Copernicus in Frauenburg, soweit ihn nicht die Wahrnehmung von politischen und verwaltungsmäßigen Aufgaben des Domkapitels für kürzere Zeiträume daran hinderte. Er hat die Rechte des Domkapitels sowohl gegenüber Polen als auch gegenüber dem Deutschen Orden nachhaltig vertreten. So beteiligte er sich 1512 an dem Protest des Domkapitels, als der König von Polen den Bischofswechsel zur Einschränkung des Wahlrechts der Domherren nutzte. Copernicus war vor allem in jüngeren Jahren in der Verwaltung tätig. So war er 1510/11 Visitator, 1511 -1513 und in vier weiteren kürzeren Zeitabschnitten Kanzler des Kapitels, 1516 bis 1519 Administrator des Domkapitelsamtes Allenstein. Hier nahm er die Besetzung wüster Hufen mit Bauern vor und fertigte ein fast ganz von seiner Hand stammendes Verzeichnis (Locationes desertorum mansorum). 1519/21, als Hochmeister Albrecht sich letztlich vergeblich durch den sogenannten Reiterkrieg politisch von Polen zu lösen suchte, setzte Copernicus Allenstein gegen einen Angriff des Ordens instand. In diesen Jahren hat er sich auch mit den zerrütteten Münzverhältnissen Preußens beschäftigt. 1517 verfaßte er dazu erstmals eine Denkschrift, deren Inhalt er erst nach dem Reiterkrieg auf einem Landtag vortragen konnte. Bis 1530 läßt sich seine Mitwirkung bei diesen wirtschaftspolitischen Fragen nachweisen.
Daneben betrieb Copernicus seine astronomischen Studien. In einem Turm der Frauenburger Domburg hatte er sich einen Arbeitsplatz mit Sternwarte eingerichtet. Eine erste Schrift, in der er bereits den Kern seiner astronomischen Erkenntnisse formuliert hat, der sog. Commentariolus, mag um 1510 entstanden sein; die Handschrift wurde erst spät wiederentdeckt und 1878 veröffentlicht. Das Hauptwerk De revolutionibus, in dem er gegenüber dembis dahin herrschenden Weltbild des Ptolemäus nicht mehr die Erde als Mittelpunkt der Welt, sondern die Erde als einen von mehreren Planeten ansah, die um die Sonne kreisen, hat er wohl um 1530 vollendet. Doch fürchtete er sich wegen der Neuartigkeit seiner Erkenntnisse vor den Folgen einer Drucklegung, insbesondere den Spott der aristotelischen Physiker. Dennoch wurde er schon in jüngeren Jahren international bekannt. So wurde er früh mit den Bemühungen um eine Kalenderreform in Verbindung gebracht, die schließlich 1582 mit der Einführung des Gregorianischen Kalenders endeten. Coperncius‘ Ruf bewog den jungen Wittenberger Mathematikprofessor Georg Joachim Rheticus diesen in Frauenburg aufzusuchen. Zur Vorbereitung reiste er 1538 unter anderem zu den Nürnberger Mathematikern, bei denen er auch den astronomisch sehr interessierten Theologen Andreas Osiander kennengelernt haben dürfte. 1539-1541 weilte Rheticus bei Copernicus, um dessen heliozentrisches System eingehend zu studieren. Nach einem Teil der Lektüre veröffentlichte er mit Zustimmung von Copernicus und dessen Freund Tiedemann Giese, damals bereits Bischof von Kulm, 1540 die Narratio prima als Zwischenbericht in der Form eines offenen Briefes an den Nürnberger Mathematiker Johann Schöner. Osiander suchte daraufhin Copernicus brieflich für eine Veröffentlichung des ganzen Werkes zu gewinnen. Als Osiander schließlich vorschlug, Copernicus solle in einer Einführung den hypothetischen Charakter seines Werkes darlegen, daß es also auf Prinzipien beruhe, die weder Glaubenssätze seien noch durch einfache empirische Tatsachen widerlegt werden könnten, ersetzte Copernicus in diesem Sinne seine ursprüngliche Einführung durch einen Widmungsbrief an Papst Paul III., wobei der mathematische Erklärungszusammenhang als das eigentlich Neue herausgestellt wird.
Dieses methodische Vorgehen und das Ergebnis der geistigen Arbeit des Frauenburger Domherrn haben sich wissenschaftlich behaupten können und bereiteten den Weg für weiterführende Forschungen, die der Erklärung vor allem auch der physikalischen Probleme galten. Copernicus‘ Werk hat damit eine Wende der Wissenschaftsgeschichte herbeigeführt, so daß sprichwörtlich von einer „Copernicanischen Wende“ gesprochen wird. Das macht seine eigentliche Bedeutung weit über den Rahmen der preußischen oder ostdeutschen Landes- und Geistesgeschichte hinaus aus.
Lit.: Leopold Prowe: Nicolaus Coppernicus, Bd. l – 2, Berlin 1883 -1884. – Jeremi Wasiutiński: Kopernik. Twórca nowego nieba, Warszawa 1938. – Studia Copernicana. 1-26, Wrocław 1970-1985. – Marian Biskup: Nicolaus Copernicus im öffentlichen Leben Polens, Toruń 1972. – Nicolaus Copernicus zu seinem 500. Geburtstag, hg. v. Friedrich Kaulbach u.a., Köln, Wien 1973. – Kurt Forstreuter: Wirkungen des Preußenlandes, Köln, Berlin 1981, S. 73-129. – Gunter Zimmermann: Die Publikation von „De revolutionibus orbium coelestium“, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 96, 1985, S. 320-343. – F. Kaulbach, U. W. Bargenda, J. Blühdorn: Nicolaus Copernicus zum 500. Geburtstag, Köln 1973. – Jürgen Hamel: Nicolaus Copernicus. Leben, Werk und Wirkung. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg/Berlin/Oxford 1994. – Martin Carrier: Nikolaus Kopernikus, München 2001.
Bild: Nach einem Kupferstich.
Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Nikolaus_Kopernikus
Bernhart Jähnig