„Wenn Sie an die schöpferischen Geister nicht heranreichen, deren Werke Sie spielen, dann schrauben Sie lieber die Kappe Ihres Füllhalters wieder zu. Vermehren Sie nicht das Heer der Unverstandenen.“ Der Autor dieser Zeilen voller Selbsterkenntnis, Carl Schuricht, weiß, wovon er spricht, denn er hat die Entwicklung selbst vollzogen: Aus dem jungen Komponisten ist mittlerweile ein berühmter Dirigent geworden – mit einem Renommee weit über Deutschland hinaus.
Carl Adolph Schuricht wird am 3. Juli 1880 in Danzig geboren. Sein Vater, ein Orgelbauer und Organist, ist drei Wochen vor Carls Geburt bei dem Versuch ertrunken, einen Freund zu retten. Die Mutter, Amanda Wusinowska, eine Oratoriensängerin und Pianistin, zieht mit ihrem Sohn schon bald über Berlin nach Wiesbaden. Hier besucht Carl Schuricht das Gymnasium und erhält Unterricht im Dirigieren beim damaligen Hofkapellmeister Franz Mannstaedt, nachdem er bereits zuvor erste Kompositions- und Dirigierversuche unternommen hat. 1901 geht Schuricht nach Berlin, wo er an der Hochschule für Musik Klavier und Komposition – unter anderem bei Engelbert Humperdinck – studiert. Es folgen weitere Studien bei Max Reger in Leipzig.
Eine erste Stelle führt Schuricht bereits 1901 als Korrepetitor nach Mainz; weitere Tätigkeiten in Dortmund, Bad Kreuznach und Goslar schließen sich an. 1907/08 wird er Kapellmeister in Zwickau, wo er vor allem Operetten dirigiert, und 1909 übernimmt er die Leitung des Rühl’schen Gesangvereins in Frankfurt am Main. Schurichts Lehr- und Wanderjahre enden, als er 1912 die Stelle als Musikdirektor in Wiesbaden antritt – eine mehr als drei Jahrzehnte währende Lebensstellung, die 1922 mit der Ernennung zum Generalmusikdirektor gekrönt wird.
Trotz eigener, viel beachteter Kompositionen konzentriert sich Schuricht fortan ganz aufs Dirigieren, wie er es in dem eingangs erwähnten Zitat beschreibt. Eine große Karriere nimmt damit ihren Lauf. Schuricht beschränkt sich bei den Aufführungen nicht auf das gängige Repertoire aus Klassik und Romantik, sondern gibt auch neueren oder weniger bekannten Werken eine Chance. „Klassische und romantische Musik zu betreuen wie einen Bauernhof und die moderne Musik zu verachten, scheint mir eine Feigheit erster Güte!“ – so lautet sein Credo. Vor allem die Musik Gustav Mahlers hat es ihm angetan. Das Erste Deutsche Mahlerfest 1923 in Wiesbaden geht auf Schuricht zurück. Auch die Brahms-Rezeption unterstützt er, so mit dem Brahmsfest im Juni 1921, wo außer ihm auch Wilhelm Furtwängler dirigiert.
Schuricht holt zahlreiche berühmte Komponisten seiner Zeit wie Max Reger (der die Stadt aus seiner „Sturm- und Trankzeit“ gut kennt), Richard Strauss, Hans Pfitzner oder Igor Strawinsky nach Wiesbaden, um deren Musik vorzustellen. Damit mehrt er nicht nur den Ruf Wiesbadens als Musik-Stadt, sondern befördert auch seine eigene Karriere als Gastdirigent. In der Folgezeit wird Schuricht zu den bedeutenden Orchestern Europas eingeladen, erstmals 1927 auch in die USA. Neben seiner Tätigkeit in Wiesbaden leitet er von 1931 bis 1933 auch das Leipziger Symphonieorchester und 1933/34 den Philharmonischen Chor Berlin. Von 1937 bis 1944 ist Schuricht außerdem Erster Gastdirigent des Radio-Sinfonie-Orchesters Frankfurt und 1943/44 der Dresdner Philharmoniker, zu deren musikalischem Leiter er 1944 ernannt wird.
An geregelte musikalische Arbeit ist spätestens seit Sommer 1944 nicht mehr zu denken. Im gleichen Jahr geht Schuricht in die Schweiz, wo er fortan eng mit dem Orchestre de la Suisse Romande zusammenarbeitet. Eine feste Anstellung sucht der 64-Jährige allerdings nicht mehr, sondern beschränkt sich ganz auf Gastdirigate. Zu seinen bevorzugten Orchestern gehören auch die Wiener Philharmoniker, die er 1946 bei der Wiedereröffnung der Salzburger Festspiele und 1956 bei deren erster USA-Tournee leitet.
Carl Schuricht, der im In- und Ausland hoch angesehene Dirigent, stirbt am 7. Januar 1967 in Corseaux am Ufer des Genfer Sees; die Urne mit seinen sterblichen Überresten wird nach Wiesbaden überführt und auf dem Nordfriedhof beigesetzt.
Bild: Wikipedia Commons/ Gemeinfrei.
Karsten Eichner