Die Erhebung Böhmens zum Königreich steht in engstem Zusammenhang mit Böhmens Verhältnis zum Reich.
Die verschiedenen Deutungen dieses Verhältnisses reichen von einer völligen Zugehörigkeit des Landes zum Reich bis zur An-sicht einer ausschließlich persönlichen Lehensabhängigkeit des Böhmenherzogs. Allerdings ist grundsätzlich eine Zugehörigkeit Böhmens zum Reich damit nicht in Zweifel gezogen worden, zumal der Böhmenherzog durch den Kaiser bzw. den König investiert wurde. Trotzdem lässt sich die Sonderstellung im Reiche nicht übersehen. Ausdruck findet diese darin, dass Königsgut in Böhmen völlig fehlt, daß Königsaufenthalte in Böhmen und Reichsumritte nicht stattfanden und dass kirchenorganisatorisch der Prager Bischof vom Herzog abhängig war.
Der Gipfel dieser Sonderstellung ergab sich dadurch, daß als einziger Reichsfürst der böhmische Herzog – wohl auch angesichts der inneren Zwistigkeiten zur sicheren Stellung des Landesherrn gegenüber dem Adel – den Königstitel durch Kaiser Friedrich I. erhielt, so Vratislav II. (1185) und Ladislav; waren diese Königstitel ad personam verliehen, so sollte Přemysl Otakar I. den Königstitel auf Dauer erhalten. In Mainz wurde Otakar I. 1198 durch den Staufer-König Philipp von Schwaben die Königskrone zuteil, gleichzeitig die Bestätigung der erblichen Königswürde mit dem Recht der Bischofsinvestitur in seinen Ländern. Das kaiserliche/königliche Recht der Königserhebung manifestierte sich in diesem Zusammenhang in einer politisch kritischen Phase als unbestritten vollziehbar. Seit diesem Akt der Standeserhöhung war Böhmen als Land auf dem Wege zu einem Königreich. Otakar kam bei dieser Entwicklung der Thronstreit im Reiche zugute, in dessen Verlauf er fünfmal die Partei gewechselt hat, um mög¬lichst in der Nähe des wahrscheinlichsten Bewerbers um die Kaiserkrone zu sein. In seiner Be¬reitschaft zum Parteiwechsel trat Otakar auf die päpstliche Seite und erlangte 1203 durch den „Gegenkönig“ Otto IV., den Welfen, die Bestätigung, sowie durch die Kurie 1204 auch das Recht zur Bischofsinvestitur. Papst Innozenz III. folgte allerdings nicht dem Bestreben, in Prag ein Erzbistum zu errichten. Nach einem weiteren Parteiwechsel fand sich dann Otakar an der Seite des staufischen Nachfolgers Philipp von Schwaben, nämlich König Friedrich II., der dem Böhmenkönig die bisher erlangten Privilegien 1212 durch ein Privileg mit Goldener Bulle bestätigte und vermehrte. Damit war die Unabhängigkeit der p*emyslidischen Länder Böhmen (und Mähren) durch Kaiser und Reich anerkannt. Das Regnum Boemiae erhielt einen genauen Pflichtenkreis und wurde geopolitisch eingegrenzt, der neue Reichsfürst nannte sich Rex Boemorum. Als solcher wurde er vom böhmischen Adel gewählt und empfing herkömmlich vom Kaiser die Regalien. Er hatte die Folgepflicht zum Romzug mit 300 Reitern, was er durch 300 Mark Silber ablösen konnte, und Teilnahmepflicht an den Hoftagen, wenn diese in Nürnberg, Bamberg und Merseburg stattfanden.
Die Bedeutung der böhmischen Königswürde, die der Sachsenspiegel aus deutscher Sicht als rechtlich defizitär deutete, indem er das Recht an der römisch-deutschen Königswahl in Frage stellte, entfaltete ihre europäische Bedeutung im Spätmittelalter, als Luxemburger und Habsburger böhmische Könige wurden.
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li*ka: P*emysl Otakar I., 1990.
Bild: Der Böhmische Löwe als Wappen / Quelle: Von Jiří Louda – Zákon 3/1993 Sb., www.lexdata.czGesetzt 3/1993 (staatl. Gesetzesblatt), www.lexdata.czLaw 3/1993 (state book of laws), www.lexdata.cz, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=640663
Carl August Lückerath