Mit den Worten „Selbst mir erscheint es mehr als widersinnig, mir einreden zu wollen, dass ich in diesem Lande ein Fremder sei“, beendet der angesehene Rechtsanwalt und Geheime Justizrat Dr. jur. h.c. Adolf Heilberg am 7. Mai 1933 in Baden-Baden seine Aufzeichnungen über Vorgänge im Gebäude des Amts- und Landgerichts in Breslau am 11. März 1933. Damals hatten Mitglieder der Breslauer SA Richter und Rechtsanwälte jüdischen Glaubens aus dem Räumen der beiden Gerichte vertrieben. Wenn auch in den Tagen danach nichtjüdische Juristen sich intensiv bemühten, das Illegale dieser Ausschreitung bekannt zu machen und Folgen dieser Untat zu verhindern, so war es doch für Adolf Heilberg das Signal, seine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft am 17. März 1933 aufzugeben und von Breslau nach Berlin zu fliehen, da er sich seines Lebens in Breslau nicht mehr sicher fühlte.
In Berlin lebte seine Tochter Eva mit ihrer Familie. Sie war mit dem 1886 geborenen Juristen Dr. Hans Schäffer verheiratet, der von 1929 bis zum Mai 1932 Staatssekretär im Reichsfinanzministerium gewesen war. Im Anschluss wurde er Generaldirektor des Ullstein Verlages. Aus dieser Position wurde er am 13. März 1933 auf Verlangen des Reichspropagandaministeriums entlassen. Im Juli 1933 flüchtete Schäffer mit seiner Familie nach Schweden, erhielt dort 1938 die schwedische Staatsbürgerschaft und blieb bis zu seinem Tode im Jahre 1967 in Schweden wohnhaft.
Am 14. Januar 1858 in Breslau geboren, wuchs Adolf Heilberg als jüngstes von sechs Kindern des Hoteliers Moritz Heilberg (1824-1881) in Hirschberg auf. Dort machte er im Alter von 17 Jahren das Abitur. Da zu dieser Zeit Juden nach einem Universitätsstudium nur wenige Berufsmöglichkeiten im Staatsdienst offenstanden, blieb die Wahl zwischen einem Medizinstudium und einem juristischen Studium. Ein Übertritt zu einer christlichen Konfession allein aus Karrieregründen kam weder für Heilberg noch für seinen Vater in Frage, obwohl sich beide immer zum liberalen Judentum bekannten. Aus gesundheitlichen Gründen fühlte er sich einem Medizinstudium nicht gewachsen, so dass er das Studium der Rechtswissenschaft an der schlesischen Landesuniversität in Breslau aufnahm. Wegen seiner angegriffenen Gesundheit wurde er auch von dem Militärdienst auf Dauer befreit. Im Laufe des Studiums wechselte er an die Universitäten in Leipzig und Berlin. In seinen Lebenserinnerungen beschrieb er Professoren und Dozenten aus den Fächern der Rechts- und Staatswissenschaften, die ihn geprägt hatten: Ludwig Brentano in Breslau, Karl Binding, Emil Friedberg, Georg F. W. Roscher, Otto Stobbe, Adolf Wach und Bernhard Windscheid in Leipzig sowie Heinrich Brunner, Heinrich Dernburg, Rudolf Gneist und Levin Goldschmidt in Berlin. Viele von ihnen waren gerade erst an die Universitäten gewechselt, an denen Heilberg sie traf. Sein Studium schloss er 1878 in Berlin mit dem Referendarsexamen ab. Seinen juristischen Vorbereitungsdienst leistete er in Lützen, Erfurt und Breslau ab. Im Mai 1883 bestand er in Berlin das Assessorexamen und wurde im November dieses Jahres in Breslau durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts als Rechtsanwalt vereidigt.
Im Rahmen der Justizgesetze des Deutschen Reiches wurde 1879 die Zivilprozessordnung eingeführt, die das gerichtliche Verfahren sehr veränderte. Gerade ältere Rechtsanwälte hatten Probleme mit der Umstellung. Für Heilberg war dies Anlass, den Gesetzestext in einer kommentierten Ausgabe zu veröffentlichen. Daneben wurde er bekannt, als er in Breslau einen sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten in einem „Diätenprozess“ vertrat. Zugrunde lag eine schikanöse Maßnahme im Rahmen der Bismarckschen Sozialistenbekämpfung. Die Reichsverfassung verbot die Zahlung von Geldern an Abgeordnete des Reichstages. Dies war für Beamte und Selbständige unproblematisch, jedoch Arbeitnehmer wurden durch die finanziellen Aufwendungen für ein Mandat sehr getroffen. Erst ab 1906 wurde eine geringe Vergütung an Abgeordnete gewährt. Die Sozialdemokratische Partei zahlte ihren Abgeordneten aus der Parteikasse eine geringe Entschädigung für den Aufenthalt in Berlin. Dieses Geld trieb der Fiskus bei den Abgeordneten in Gerichtsverfahren ein. Die Partei wollte durch spektakuläre Gerichtsverfahren dieses Vorgehen der Öffentlichkeit bekannt machen und unterstützte daher Abgeordnete bei ihren Verfahren. Heilbergs Mandant verlor zwar den Prozess, jedoch gelang es durch Heilbergs geschicktes Vorgehen, dem Verfahren große Publizität zu verschaffen.
Obwohl er dadurch in regen Kontakt zur Sozialdemokratie kam, wandte er sich einer Gruppierung zu, die den Freisinnigen nahestand. Von 1892 an führte er die Freisinnige Partei in Breslau und Schlesien, dieses Amt hatte er 25 Jahre inne. Bereits am 1.1.1889 hatte er sein Mandat als Stadtverordneter in Breslau angetreten. Da er dieses Mandat immer wieder in Wahlen errang, konnte er es bis zum Jahre 1933 ausüben.
1890 heiratete er seine 1866 geborene Frau Rosa, geb. Frankenstein. 1891 wurde ihnen die Tochter Eva und 1894 die Tochter Frieda Nora, das „Feinchen“, geboren. Den weiteren Vornamen verdankte die zweitgeborene Tochter Heilbergs Verehrung für den norwegischen Dichter und Friedensaktivisten Henrik Ibsen (1828-1906). Leider verstarb seine Frau 1929 unter nicht geklärten Umständen; dies beschäftigte ihn bis zu seinem Tode. In dem Hause, in dem er seine Kanzlei betrieb, hatte die Familie auch ihre Wohnung.
Als Rechtsanwalt war er überwiegend im Zivilrecht tätig, als Spezialgebiet hatte er das Bergrecht, dem in Schlesien eine große Bedeutung zukam. Schon nach wenigen Jahren galt er als der gefragteste Anwalt Schlesiens für dieses Gebiet. Neben dieser beruflichen Tätigkeit war er für den Berufsstand der Rechtsanwälte engagiert tätig. Zwischen 1891 und 1904 ist er als verantwortlicher Redakteur der „Zeitschrift der Anwaltskammer im Oberlandesgerichtsbezirk Breslau“ nachweisbar. Wenig erstaunlich ist es demgemäß, dass er ab 1898 dem Vorstand der Anwaltskammer angehörte. Seine Aufnahme in die Prüfungskommission zur Prüfung der Referendare im Jahre 1900 war folgerichtig, jedoch war es damals in Preußen ungewöhnlich, dass ein jüdischer Rechtsanwalt diesem Gremium angehörte und sogar, vom Vertrauen der Kollegen getragen, den Vorsitz übernehmen konnte.
1911 erhielt die Breslauer Universität den Namen „Schlesische Friedrich-Wilhelms-Universität“ nach Friedrich Wilhelm III. von Preußen, dem Reorganisator der preußischen Universitäten. Bei dieser Festveranstaltung wurde Heilberg durch die rechtswissenschaftliche Fakultät das juristische Ehrendoktorat für seine Verdienste im juristischen Prüfungswesen und als Zeichen der Anerkennung seiner beruflichen Arbeit verliehen. Für Heilberg war es eine große Ehrung, die ihn auch stolz machte, denn auch die Mitglieder der Fakultät hatten der Ehrung zugestimmt, denen die Verleihung der Ehrendoktorwürde an einen jüdischen Juristen nicht sympathisch war. Als er 1913 die staatliche Ehrung zum „Geheimen Justizrat“ erhielt, erfüllte dies ihn mit großer Genugtuung. Diese Ehrung fiel mit seinem 25. Dienstjubiläum als Mitglied der Versammlung der Stadtverordneten zusammen.
Bereits 1892 hatte er sich der Bewegung für das friedliche Zusammenleben der Völker angeschlossen und auch die „Deutsche Friedensgesellschaft“ mitbegründet. 1910 veröffentlichte er Diplomatie und Völkerfriede und entwickelte dort Gedanken, die leider von den agierenden Politikern nicht beachtet wurden. Mit Ludwig Quidde (1858-1941) verbanden ihn enge gemeinsame Vorhaben. 1913 konnte er in Breslau die Aktivistin für den Weltfrieden, Bertha von Suttner (1843-1914), begrüßen. Durch die Friedensbewegung gewann er zahlreiche internationale Kontakte, die er bis über die Zeit seiner Vertreibung aus Breslau pflegte.
Sein Engagement für eine friedliche und gerechte Welt wurde im März 1933 brutal beendet. Nach der Ausreise seines Schwiegersohnes und seiner Tochter nach Schweden nahm er mit seiner Tochter Frieda, die inzwischen auch Breslau verlassen hatte, im Hause des Berliner Anwalts Dr. Paul Simon Wohnung. Dort begann er am 5.7.1934 seine Lebensbeschreibung, die er am 10. Januar 1936 beendete. Glücklicherweise sind diese Erinnerungen im Leo-Baeck-Institute (New York) erhalten. Am 17. Dezember 1936 fand sein Leben bei einem Zusammenprall mit einem Fahrradfahrer ein Ende. Er wurde wenige Tage später in Breslau auf dem jüdischen Friedhof beerdigt, das Grabfeld wurde während der Kriegshandlungen in Breslau 1945 zerstört. Die Tochter Frieda konnte 1938 in die USA emigrieren, dort starb sie kurz vor ihrem 92. Geburtstag.
Lit.: Roland B. Müller, Adolf Heilberg (1858-1936): Verehrt als Anwalt, vertrieben als Mensch – und vergessen?, in: Anwaltsblatt 2018, S. 997-1008. –Tillmann Krach, Adolf Heilberg als „Anwalt der Anwälte“, in: Forum Anwaltsgeschichte, https://www.anwaltsgeschich-te.de/fotos-und-dokumente/persoenlichkeiten/adolf-heilberg/ (abgerufen 1.10.2021)
Bild: Bleistiftzeichnung von Arnold Busch, 1926, Leo-Baeck-Institute.
Ulrich-Dieter Oppitz