Biographie

Hasselblatt, Werner

Herkunft: Baltikum (Estland, Lettland, Litauen)
Beruf: Jurist, Politiker
* 10. Juni 1890 in Dorpat/Estland
† 24. Januar 1958 in Lüneburg

Am 24. Januar 1958 starb in Lüneburg der Minderheiten- und Volkstumspolitiker Werner Hasselblatt. Als Sohn des verantwortlichen Redakteurs der „Neuen Dörptschen Zeitung“ und späteren Dorpater Stadtarchivars Arnold Hasselblatt und seiner Eherfrau Anna Vierck am 10. Juni 1890 in Dorpat geboren, besuchte Werner Hasselblatt das Privatgymnasium von Zeddelmann in seiner Vaterstadt und das von Eltz’sche Gymnasium in Riga. Von 1908-1912 widmete er sich an der Universität zu Dorpat dem Studium der Rechtswissenschaften, das er mit den beiden juristischen Staatsprüfungen abschloß. Er war von 1912-1914 als Gerichtsamtskandidat in Twer und in Petrikow (Polen) tätig und 1914 Redakteur an der „Nordlivländischen Zeitung“ in Dorpat und 1915 Dezernent am dortigen Stadtamt. Im gleichen Jahr noch zog er zwecks Hilfeleistung an verschickte Deutsche nach Sibirien, wo er Gelegenheit hatte, sich um das Schicksal einer Gruppe seiner baltischen Landsleute zu kümmern, die durch Evakuierungsmaßnahmen der russischen Regierung bis an die Grenze des Polarkreises versprengt worden waren. In Sibirien wurde er dem Bezirksgericht Krasnojarsk zugeteilt und war bis zum Ausbruch der Revolution im Jahre 1917 als Friedensrichter in Kansk (Gouvernement Jenissejsk) tätig.

Werner Hasselblatt kehrte im Jahre 1917 in seine Heimat zurück, ließ sich als vereidigter Rechtsanwalt nieder, wurde jedoch 1918 vor der Besetzung durch deutsche Truppen von den Russen nach Krasnojarsk verschleppt, von wo er im gleichen Jahr zurückkehren konnte. Er wurde Friedensrichter in Dorpat, wo er zugleich zu den Mitgründern des Dorpater Heimatschutzes gehörte. In den Jahren 1918-1920 kämpfte er in den Reihen des Baltenregiments gegen die Bolschewiken. Seit dem Jahre 1920 war Werner Hasselblatt erneut als vereidigter Rechtsanwalt in Dorpat tätig. In den Jahren 1923-1932 gehörte er als deutscher Abgeordneter der 2., 3. und 4. estländischen Staatsversammlung an. Er war nicht nur Vorsitzender der Deutsch-schwedischen Fraktion, sondern auch Vorstandsmitglied der Deutsch-baltischen Partei und maßgeblich im Jahre 1925 an der Annahme und Durchführung des Gesetzes über die Kulturautonomie der nationalen Minderheiten in Estland beteiligt. Im Jahre 1925 eröffnete Hasselblatt die erste Tagung des  Estländischen Deutschen Kulturrates.

Als im Jahre 1925 der europäische Nationalitätenkongreß zusammentrat, der von Genf aus seine Forderungen nach einer Neuordnung der Beziehungen zwischen Volkstum und Staat anmeldete, gelang es in recht kurzer Zeit, sämtliche Vertreter der Volksgruppen aus den verschiedensten Teilen Europas im Zeichen einer Parole zu einigen. Sie forderten von ihren Staaten eine nationale Kulturautonomie, um in rechtlich geordneten Formen auch unter andersnationaler Herrschaft ihr Volkstum pflegen und bewahren zu können.

Werner Hasselblatt wurde dabei zum eigentlichen Schöpfer des Gesetzwerkes, durch das in Estland in beispielhafter Weise diese Kulturautonomie verwirklicht worden ist. Er wurde darüber hinaus zum Mitbegründer der alljährlich in Genf tagenden Nationalkongresse. Er war Glied der Nationalitäten-Studienkommission der Interparlamentarischen Union (1928-29) und seit 1931 Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Verbandes der deutschen Volksgruppen in Europa. Seit dem Jahre 1932 hatte er seinen Wohnsitz in Berlin. Er übernahm gleichzeitig die Herausgeberschaft der in Wien erscheinenden Zeitschrift „Nation und Staat“. Durch seine Arbeit in Berlin stand er in engem Kontakt mit allen Persönlichkeiten, die diesseits und jenseits der Grenzen im Dienst der Volkstumsbewegung standen. Das Kriegsende und die Katastrophe der Vertreibungen zerstörten die Grundlagen, auf denen auch die Arbeit Werner Hasselblatts beruht hatte. Er ließ sich im Jahre 1945 mit seiner Familie in Lüneburg nieder, wo er am 24. Januar 1958 nach langer Krankheit gestorben ist.

Hauptwerke: Die Durchführung der Kulturautonomie in Estland, in: D. Volksgedanke (1927); Kulturautonomie in Estland, in: Süddt. Monatshefte 27 (1929); Minderheitenrecht in bilateralen Staats vertragen, in: Nation und Staat, 7 (19337 34); Volkstumspolitik in der völkerrechtl. Entwicklung, in: Nation und Staat, 8, H. 6 (1935, auch als Sonderdr.); London Meeting of the National Minorities (Wien 1937). Hg. der Zeitschr. ,Nation und Staat‘ (Wien, ab Jg. 11, H. 9, 1937/ 38).

Lit.: Max Hildebert Boehm: Werner Hasselblatt (Jahrbuch des baltischen Deutschtums 1959) (Lüneburg 1958); Deutsch-baltisches biographisches Lexikon (Köln/Wien 1970).