Biographie

Henschel, George Sir

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Komponist, Dirigent, Sänger
* 18. Februar 1850 in Breslau
† 10. September 1934 in Aviemore/England

Obwohl die deutsch-polnischen Eltern unbemittelt waren, ermöglichten sie ihrem Sohn Georg Musikunterricht bei den besten Lehrern Breslaus. Dort trat er schon bald als Pianist und Sänger auf, ehe er seine Studien fortsetzte: in Weimar bei Franz Liszt, in Leipzig bei Moscheies und Reinecke (1867-1870), in Berlin bei Schulze und Kiel (seit 1870). Begegnungen mit Joseph Joachim, Clara Schumann und vor allem mit Johannes Brahms wurden entscheidend für seine Laufbahn. Brahms trug ihm seine Freundschaft an und verlebte mit ihm den Sommerurlaub 1876 auf Rügen. Unter der Leitung von Brahms sang Henschel viele Baßpartien von Oratorien, Kantaten und Liedern. Als Henschel 1877 zum erstenmal auf Konzertreise nach England ging, wurde die erst siebzehnjährige Lillian June Nailey (1860 Columbus/Ohio, gest. 1901 London) zunächst seine Gesangsschülerin und 1881 in Boston seine Frau. Ihretwegen ging er nach Amerika, wo er der Erste Dirigent des eben gegründeten „Boston Symphony Orchestra“ wurde (1880-1884). Beide konzertierten dann ab 1884 in England, wo sie 1890 die britische Staatsangehörigkeit erwarben. Henschel gründete 1886 die Londoner Symphonie-Konzerte und verstärkte sie 1891 durch einen ständigen Chor. Wahre Triumphe feierte Henschel als Leiter des „Scottish Orchestra“ (Glasgow 1893-1895) und der Musikfeste in Birmingham. Zugleich fand er als Komponist von Opern, von Chor- und Orchesterwerken sowie von Liedern und Liederspielen große Anerkennung. Bis ins hohe Alter mehrte er seine Popularität vor allem als sich selbst am Flügel begleitender Sänger von Balladen und Liedern (diese Leidenschaft teilte er mit Carl Loewe).

Als seine erste Frau starb, komponierte er das „Requiem“ (UA 1902 in Boston), privatisierte, verstärkte seine Gesangslehrertätigkeit, heiratete 1907 abermals eine aus den USA stammende Gesangsschülerin (Amy Louis, New York). Sein Ruhm war inzwischen so gefestigt, daß er – vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges – 1914 geadelt wurde. Die Kriegsereignisse verstärkten seine Neigung zur Komposition geistlicher Vokalmusik (z. B. UA der achtstimmigen Messe 1916 in London). Im übrigen zog er sich nach Aviemore in Schottland zurück, wo er bis zu seinem Tode als gesuchter Gesangslehrer wirkte.

„Henschels Begabung war vielseitig. Als Sänger und Gesangspädagoge aufs innigste mit der Brahmszeit verknüpft, hat er seinen charaktervollen Gesangsstil auf mehrere Schülergenerationen des angloamerikanischen Westens übertragen können. Der Dirigent Henschel hat in London, Glasgow und Boston als Gründer heute hochbedeutender Orchester-Vereinigungen wichtige Pionierarbeit geleistet“ (H. F. Redlich, MGG). Henschels Balladen, Romanzen, Lieder und Chorwerke werden noch heute – vor allem in England – gesungen. Im Vokalstil von der Romantik, von Brahms und Schumann ausgehend, hat er zu einem folkloristisch angereicherten „panromantischen“ Kompositionsstil gefunden, der zuweilen auf Richard Strauss, zuweilen auf Gustav Mahler hinweist. Sowohl im kleinsten „Wiegenlied“ op. 38b (nach einem Gedicht des englisch-irischen Romantikers Thomas Moore) als auch in den großen Messe-Vertonungen spricht sich seine große Vertrautheit mit dem romantischen Vokalstil aus.

Sir Henschel gehört zu jener nicht geringen Zahl schlesischer Musiker, die „in die Welt hinaus“ gewirkt haben und deren Aktivitäten noch heute „greifbar“ sind (man vergleiche: Conrad Ansorge, Benjamin Bilse, Leopold und Ludwig Damrosch, Josef Eisner, Otto Klemperer, Moritz Moszkowski, Julius Stern u a.).

Lit.: G. Henschel: Personal Recollections of J. Brahms (Boston/Mass. 1907); G. Henschel: Musings and Memories of a Musician (London 1918); M. Kalbeck: Johannes Brahms (Berlin 1912, Band III/erster Halbband mit den ins Deutsche übersetzten Tagebuchnotizen Henschels); H. F. Redlich: Henschel, Georg – in: Musik in Geschichte und Gegenwart, hrsg. F. Blume (Kassel 1949ff.); N. Linke: Die schlesische musikalische Romantik und der Brahmsfreund Sir Georg Henschel – in: SCHLESIEN, Jg. XXII, S. 178ff. (Nürnberg 1977); Norbert Linke: Schlesische Komponisten – in: Musik in Schlesien im Zeichen der Romantik, hrsg. G. Pankalla / G. Speer, S. 9ff./ S. 19ff. (Dülmen/Westf. 1981).