Biographie

Gentz, Friedrich von

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Österreichischer Schriftsteller, Staatsphilosoph, Diplomat und Politiker
* 2. Mai 1764 in Breslau
† 9. Juni 1832 in Weinhaus/Wien

Friedrich von Gentz stammte aus angesehener preußischer Familie: Sein Vater war preußischer Beamter. Als Münz­meister stieg er später bis zum Generalmünzdirektor in Berlin auf. Gentz’ Bruder Heinrich wurde zu einem der bedeutendsten Architekten des Klassizismus.

Die Jugend verbrachte er in Breslau, später in Berlin, wo er das Joachimsthaler Gymnasium besuchte. Es war Wunsch des Vaters, dass der junge Friedrich die Königsberger Albertina beziehen sollte. Sein Jurastudium schloss er nicht ab, umso intensiver war sein Umgang mit der Kantischen Philosophie. Der junge Gentz gehörte zu den engeren Schülern Kants, dessen Vorlesungen er hörte und dessen Lehre ihn maßgeblich prägte.

1793 sieht man ihn bereits in der Stellung eines preußischen Kriegsrates. Im selben Jahr ehelichte er die Tochter des Ber­liner Oberbaurates Gilly und festigte damit seine Stellung innerhalb der Elite des preußischen Bürgertums. Zumindest ebenso bedeutsam ist die im selben Jahr publizierte Über­setzung und Kommentierung von Edmund Burkes Reflections on the Revolution in France, eines der Grundbücher der Revolutionskritik und des Konservatismus.

Gentz verkehrt in den Berliner Salons von Henriette Herz und Rahel Varnhagen und erwies sich auch dort als umfassend gebildeter, charmanter und universeller Geist. Zugleich nahm Gentz aber eine immer stärker antifranzösische Haltung ein.  Für die preußische Regierung war er im Spiel der Großen Mächte nicht länger tragbar. Auch in Gentz’ Ehe scheint es schwerwiegende Krisen gegeben zu haben. 1802 siedelt er deshalb nach Wien um, muss nach Napoleons Rückkehr und der Schlacht von Austerlitz für einige Jahre in das Exil gehen und wird im Jahr 1809 an Metternichs Seite beordert: als eigentlicher Inaugurator in der Konzeption der inneren und äußeren Politik Österreichs. Im Jahr 1810 wirkt Gentz bei der Begründung des Österreichischen Beobachters mit, des offiziösen Organs der Metternichschen Politik. In den folgenden Jahren steigt er zum (außerordentlichen) Staatsrat und zum engsten Berater Metternichs auf. Beim Wiener Kongress wirkt er als konzeptioneller Kopf mit; ebenso an den Folgekongressen. Der Titel des „Sekretärs Europas“ rührt aus dieser einflussreichen Tätigkeit. Zugleich erlangt Gentz durch die Oppressionspolitik gegenüber den liberalen Kräften im Deutschen Bund und als eigentlicher Spiritus rector der Karlsbader Beschlüsse europaweite Berühmtheit, in der Freiheitsbewegung selbst ist er ähnlich gefürchtet wie sein Mentor Metternich.

In den 1830er Jahren indes kritisiert Gentz Metternichs politischen Kurs offen. Es kommt zur Entzweiung und zur gesellschaftlichen Isolation des großen Diplomaten. Auch Gentz’ Privatleben war keineswegs unumstritten. 1829 lernte er, der Verehrer der Musenkunst, Fanny Elßer kennen: eine neunzehnjährige Tänzerin, mit der er in den letzten Jahren sei­nes Lebens eine späte Allianz eingeht und die er als Lehrer und Mentor zu formen versucht. Er wendet große Summen für diese späte Leidenschaft auf, die trotz des großen Altersunter­schiedes offensichtlich erwidert wurde. Seine letzten Lebensjahre verbrachte Gentz, fernab der Öffentlichkeit, zusammen mit der Geliebten, in seinem „Schlössel“ in Weinhaus, der heutigen Währinger Straße 169-171.

Die Nachricht von Goethes Tod im Frühjahr 1832 nahm Gentz mit großer Betroffenheit zur Kenntnis: Er fand, dass Goethe von den Zeitgenossen ungerechtfertigt vergessen worden sei. Vor allem aber dürfte er, wenige Wochen vor seinem eigenen Tod, überdeutlich das Ende eines Zeitalters geahnt haben.

Gentz’ publizistisches Werk ist vielfältig und umfassend: Er analysierte in einer Fülle von Monographien, Aufsätzen und Rezensionen zwischen 1791 und 1806 das jüngere Verhältnis der großen Mächte, das europäische Gleichgewichtssystem und die Zustände vor und nach der Französischen Revolution. Daneben betätigte er sich vor seiner Berufung nach Wien als Herausgeber der Deutschen Monatszeitschrift (bis 1795), der Neuen Deutschen Monatszeitschrift (1795-1803) und des Historischen Journals (1799/1800).

Gentz’ politisches Denken ist stark von Edmund Burke beeinflusst. Allerdings hatte der junge Gentz durchaus Rousseau und dem Konstitutionalismus der Französischen Revolution zugeneigt. 1791 sprach er sich in seinem Debüt-Aufsatz für die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte aus. Wohl erst durch die Burke-Übersetzung kritisierte er grundsätzlich den abstrakten Konstruktivismus der Forderungen der Französischen Revolution. Das Gewordene, Tradition und Ordnung, werde dadurch tief beschädigt und verletzt. Der späte Gentz erfasste allerdings, ähnlich wie manche Denker der Romantik, die Folgen der Industrialisierung und der Pauperisierung in den unteren Gesellschaftsschichten. Diese Faktoren drängten auf eine Revolution hin. Die im Wiener Kongress wiederhergestellte Ordnung werde wohl nicht dauerhaft Bestand haben. Gentz’ staatspolitisches Denken ist insgesamt von einem janusköpfigen Blick bestimmt: Er weiß, dass Geschichte „Concordia discors“ ist. Er sieht ihre Dynamik, der kein statisches Ordnungssystem dauerhaft standhalten kann. Zugleich aber hält er an der Legitimität der Throne und ihrer Ordnung fest. In der Ausprägung einer skeptisch-kritischen Haltung dürften die Prägungen durch den großen akademischen Lehrer Immanuel Kant eine nachhaltige Rolle gespielt haben. Die Gleichgewichtsordnung als freier Zusammenhang der Staaten und Mächte wurde für Gentz das leitende Paradigma der Politik. Nur in Gleichgewichtsverhältnissen lassen sich Kriege und Revolutionen balancieren.

Golo Mann, der 1947 seine eindrucksvolle und bis heute Maßstäbe setzende Gentz-Studie vorlegte, sah in Gentz immerhin den „Vordenker Europas“. Sein Fazit fällt, wie es bei Gentz schwerlich anders sein kann, ambivalent aus: „Wenn er Tadel und Vergessenheit verdiente, so darum, weil er das Kommende, die ‚Massen‘, bloß fürchtete, anstatt sich um ihre Höher­bildung tätig zu kümmern […].  Sein Kampf gegen das [sc. Napoleonische] Imperium, sein heller Sinn für die Freiheit und notwendige freie Verbundenheit der Staaten machen ihn der Erinnerung dennoch wert“.

Lit.: C. J. Burckhardt, Friedrich von Gentz – 2. Mai 1764 – 9. Juni 1832, in: ders., Gestalten und Mächte, Zürich 1961, S. 299-355. – G. Mann, Friedrich von Gentz. Gegenspieler Napoleons, Vordenker Europas, NA, Frankfurt/Main  1995. – B. Dorn, Friedrich von Gentz und Europa. Studien zu Stabilität und Revolution 1802-1822, Bonn 1993 (Diss.). – G. Kronenbitter, Wort und Macht. Friedrich Gentz als politischer Schriftsteller, Berlin 1994 (= Beiträge zur Politischen Wissenschaft, Band 71). – H. Zimmermann, Friedrich Gentz. Die Erfindung der Realpolitik, Paderborn 2012.

Bild: Friedrich von Gentz, Lithographie von Friedrich Lieder, 1825, Wikipedia.

Harald Seubert