Biographie

Krieger, Adam

Herkunft: Ostbrandenburg
Beruf: Komponist
* 7. Januar 1634 in Driesen/Neumark
† 30. Juni 1666 in Dresden

In einem Vorwort zu Adam Kriegers „Neuen Arien“ schrieb H. J. Moser 1958, daß dieser Band „in jedem musikfreudigen deutschen Haus wieder zu den Lieblingen zählen sollte“. Obwohl „dieser erste Klassiker des deutschen weltlichen Liedes“ vor nun schon 150 Jahren „wiederentdeckt“ wurde, obwohl seitdem Musikwissenschaftler auf die einzigartige Stellung hinweisen, die er mit seinen zu Schlagern des 17. Jahrhunderts gewordenen Generalbaßmonodien in der Geschichte des deutschen Liedes einnimmt: Von Adam Kriegers Musik und seinem Leben ist heute kaum etwas in weitere Kreise gedrungen. Ganz unbekannt ist Adam Krieger freilich nicht, aber wem ist schon bewußt, daß sich mit dem schlichten Lied „Nun sich der Tag geendet hat“ eine Aria Kriegers als geistliche Kontrafraktur bis heute im Evangelischen Kirchengesangbuch erhalten hat.

Denken wir 350 Jahre zurück. Als Adam Krieger (Krüger) in der kleinen Stadt Driesen im Netzebruch als Sohn der Anna geb. Baldewek und des „Churf. Sächs, gewesenen Feldhauptmann“ Gregorius Krüger aus Waldruhberg (Neumark) geboren wurde, tobte noch der Dreißigjährige Krieg. Die Mark Brandenburg erlitt schwere Verwüstungen, Wirtschaft und Kultur, Bildung und Sitten verkamen (besonders bei den oft arbeitslosen Musikern). Unter diesen Umständen wuchs das größte Liedtalent seiner Zeit heran. Für das musikgeschichtliche Phänomen, daß dies ausgerechnet in dem „sonst recht kunstfernen Ostzipfel … der Mark Brandenburg“ geschah, findet H. J. Moser einen einzigen Grund: Driesen liegt im nordöstlichen Grenzbereich des Schlesiertums, das so reich an Musikbegabungen ist.

Adam Krieger verdankt seine gediegene humanistische Bildung vielleicht schon dem Nachlassen der Kriegshandlungen. Er wurde Singknabe der kurprinzlichen Kapelle in Dresden und setzte seine musikalische Ausbildung bei dem großen Organisten Samuel Scheidt in Halle fort, möglicherweise als Fahrschüler von Leipzig aus, wohin er 1650 mit 16 Jahren ging. Leipzig, von selbstbewußtem Bürgertum und Universität geprägt, war die Musikmetropole des Deutschen Reiches. Krieger hat dort offenbar nie regulär studiert. Vielmehr berichtete er 1657 rückblickend: Ich habe „den Leipzigern mit meiner Musik ämsig, treu, fleißig, auch in die fünff Jahr ohne Entgeldt gedienet“. Wir wissen von zahlreichen Gelegenheitskompositionen, von denen nur einige gediegene Grablieder für angesehene Bürger erhalten sind. Zu öffentlichen Feiern führte Krieger von sich auch große Werke auf. Insgesamt ging der Zug der Zeit jedoch von der Vielstimmigkeit (mehrchörig) zur modernen italienischen Monodie. Daß man den 21jährigen 1655 als Nachfolger Johann Rosenmüllers zum Organisten der Nikolai Kirche machte, belegt die allseitige Anerkennung seines Könnens. Außer um den Orgeldienst muß er sich auch um die Figuralmusik gekümmert haben. Von dieser Tätigkeit sind uns nur 2 Kirchenkantaten geblieben. Die Größe des Verlusts auf diesem Gebiet beweist die Psalmkantate „An den Wassern zu Babel saßen wir und weinten“, ein Schmuckstück der Kirchenmusik des 17. Jhs.

Adam Krieger war zwar kein immatrikulierter Student. Seine weltlichen Lieder spiegeln aber ein Leben im studentischen Freundeskreis. Wir wissen von einem Collegium musicum, „so das ,Cymbalische Reich‘ genennet“, das Krieger leitete. Es wird vor allem von Studenten gebildet worden sein, aber auch vornehme Musikliebhaber sollen ihm angehört haben. Dort führte man wahrscheinlich auch die solistischen Lieder Kriegers auf. Um den gesamten Kreis mit einzubeziehen, komponierte er drei- bzw. fünf stimmige Instrumentalritornelle als Zwischen- und Nachspiele, wie es vor ihm schon gelegentlich praktiziert worden war. Sie entsprechen in Länge und Bau häufig den Liedern, teils sind sie aus ihren Motiven, teils kontrastierend zu ihnen entwickelt.

Da Krieger die meisten seiner Liedtexte selber dichtete, worin ihm Johann Hermann Schein und Heinrich Albert Vorbild sind, müssen auch sie kurz besprochen werden. Als die Musikwissenschaft die Lieder im 19. Jahrhundert „wiederentdeckte“, wies sie auch auf die außerordentliche Qualität der Lyrik hin, die den Durchschnitt der Lieddichtungen ihrer Zeit übersteigt. Die berühmten Liederschulen der 1. Hälfte des 17. Jhs., die Hamburger um Johann Rist und die Königsberger um Simon Dach und Heinrich Albert, wurden von Kriegers Lyrik weitgehend abgelöst. Von Germanisten ist dieser Hinweis bislang nur wenig beachtet worden. Kennzeichen der Dichtung ist, daß sie entgegen der Mode nicht mit verstaubter Mythologie aufgeputzt wird und sich nicht in immer gesuchteren Metaphern, Bildern und Vergleichen erschöpft. Ihre Themen stammen aus dem studentischen Leben: die Freundschaft, die deutschen Weine, das Junggesellenleben – und die Liebe natürlich. Mit Geschmack und immer wachem Witz gelangen Krieger nicht gerade tiefgehende, aber immer echt und erlebt wirkende Gedichte. Ohne die übliche italienische Galanterie und den gelehrten Tonfall erreichten sie außerordentliche Volkstümlichkeit. Kriegers größte Begabung lag in der Liebesdichtung. Von Sehnsucht und Liebesschmerz – seine bevorzugten Themen, die ihm am kräftigsten und innigsten geraten – bis zum kecken Übermut entfaltet sich ein großer Facettenreichtum. Manche Nuance des Gefühlsausdrucks  findet  sich  bis  Robert Schumann nicht mehr im deutschen Lied. Kriegers Liedsammlungen, sowohl der erste Band von 1657 als auch der zweite von 1667, tragen den Titel „Arien“ bzw. „Neue Arien“. Man muß diese Bezeichnung eher als Sammeltitel auffassen denn als Gattungsnamen. Darunter werden ebenso kurze Strophenlieder wie kantatenhafte Formen, Solostücke genauso wie fünfstimmige Ensembles mit Generalbaßbegleitung verstanden. Mit der italienischen Aria hat die Kriegersche Generalbaßmelodie meistens nichts zu tun. Der Grundtyp des streng symmetrisch periodisierten Strophenliedes wirkt sich im Gegenteil bis in die großen, durchkomponierten Formen aus. Weil Kriegers Melodiebildung textbedingt ist, weicht er von dieser Strenge ab, wo eine Textstelle einen besonderen Akzent trägt. In dem originellen „Zusatz“, in dem nichts weiter als das Schlaraffenleben von Junggesellen ausgemalt wird, begegnet uns die vollkommene Symmetrie des Strophenliedes. Geschickt nutzt Krieger andererseits z. B. die wechselnd stark und schwach ausklingenden Zeilen der Strophen, die jeweils in den durch unterschiedliche Zeilenlänge reizvollen Kehrvers münden:

Ein Trunk, ein Sprung, ein Schwert, ein Pferd,
ein Herz, ein Scherz recht frei,
ein Freund, ein Feind, ein Lieb, ein Hieb,
ein Klang, ein Schwang dabei;
wem das gefällt in dieser Welt,
der komm in unsre Reih,
und mach es mit auf Schritt und Tritt,
recht fröhlich ohne Scheu.

Er überdehnt einzelne Perioden, aufs Ganze gesehen wahrt er aber selbst in diesen 20zeiligen Strophen die Symmetrie des Strophenliedes. Sehr bewußt komponierte Verzierungen und Durchbrechungen des Metrums verschmelzen den Melodieverlauf nahtlos mit der Ausdruckskurve des Textes. Sogar die kantatenhaft breit angelegte Klage „Adonis Tod“ wird in der Spannung von Symmetrie und textbedingter Abweichung aufgebaut. H. J. Moser gibt diesem und dem ebenso ausdrucksstarken Solostück „Fleug, Psyche, fleug“ das seltene Prädikat „genial“.

Über Adam Kriegers weiteres Leben ist wenig zu sagen. Als er sich 1657 mit kurfürstlicher Fürsprache um das vakante Thomaskantorat bewarb, war er der erste Musiker Leipzigs. Weil er sich aber nicht bereit und für fähig erklärte, auch den Unterricht der Thomasschüler zu übernehmen, wählte der Rat der Stadt Sebastian Knüpfer. Krieger, der in diesem Jahr bereits eine Tochter des Kurfürstenpaares im Clavichordspiel unterwiesen hatte, ging als Kammercembalist vollends an den Hof des wettinischen Thronfolgers. Ob er dort Kontakt zu Heinrich Schütz hatte, dem großen, alten Anreger der modernen deutschen Musik, wissen wir nicht. Krieger blieb Zeit seines Lebens in Leipzig und anderen deutschen Städten ein gefragter Mann. Viele Jahre waren es nicht mehr. 1666 starb er erst 32jährig in Dresden. Noch Jahrzehnte später rühmten kompetente Musikkenner wie der Kantatendichter Erdmann Neumeister und der Musiktheoretiker Wolfgang Caspar Printz seine Lieder.

Der frühe Band „Arien“ ist schon lange verschollen. Eine größere Anzahl der Lieder wurde in anderen Quellen wiedergefunden. Ihre Texte stammen teilweise nicht von Krieger und haben recht unterschiedliches Niveau. Für die nach seinem Tod erschienenen „Neuen Arien“ jedoch, die teilweise schon in der Leipziger Zeit entstanden sind, ist die Einheit von Text und Musik geradezu ein Kriterium für Kriegers Autorschaft. Das Neue an seinen Liedern war die motivisch entwickelte, ausgeprägt melodische Linie, die von beweglicher, vielfältiger Harmonik gestützt wurde. Durch die heute etwas befremdlichen Ritornelle fanden die Lieder ihren Platz in den damals sich ausbreitenden musikalischen Gesellschaften. Mehr als diese beiden Liedsammlungen, von denen die 2. Auflage der „Neuen Arien“ 1676 um zehn Arien vermehrt wurde, ist von Kriegers Liedkompositionen merkwürdigerweise nicht bekannt. Außer in mehreren Neuauflagen waren sie als geistliche Kontrafakturen in evangelischen Gesangbüchern des 17./18. Jhs., in zahlreichen Klavier- und Lautentabulaturen und Liederhandschriften wie dem Liederbuch des Studenten Closius, wo ihnen derbere Texte unterlegt sind, weit verbreitet. Man sang und hörte sie bei Fürsten und Handwerkern, auf den Gassen und in den Bürgerhäusern. Noch aus der fragmentarischen Überlieferung läßt sich heute der Wert und die überdurchschnittliche Rolle Kriegerscher Generalbaßlieder erkennen, so daß man Adam Krieger als den Meister des neuen deutschen Liedes vor Franz Schubert bezeichnet.

Besser als alle musikwissenschaftliche Beschreibung kann uns auch gegenwärtig seine Musik, die uns in Notenausgaben und auf wenigen Schallplatten mühelos erreichbar ist, einen Zugang vermitteln.

Lit.: Kretzschmar, Hermann: Geschichte des Neuen deutschen Liedes, I. Teil (Kleine Handbücher der Musikgeschichte, Bd. IV, 1), Leipzig 1911; Moser, Hans Joachim (Hrsg.): Adam Krieger. Arien, Denkmäler deutscher Tonkunst, 1. Folge, Neuauflage, Wiesbaden-Graz 1958; Ders.: Musikgeschichte in hundert Lebensbildern, Wiesbaden (1958), S. 219-225; Osthoff, Helmut: Adam Krieger, Leipzig 1929, Nachdr. Wiesbaden 1970; Ders.: Adam Krieger, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, Kassel 1961.