Biographie

Stich, Johann Wenzel

Herkunft: Sudeten (Böhmen u. Mähren, österr. Schlesien)
Beruf: Waldhornvirtuose, Komponist
* 28. September 1746 in Schuschnitz bei Caslau
† 16. Februar 1803 in Prag

Stich war einer der bedeutendsten Hornisten des 18. Jahrhunderts. Technische Sicherheit und Virtuosität wie Musikalität und Tonschönheit wurden ihm nachgerühmt. Unter anderem vervollkommnete er die sogenannte "Stopftechnik", durch Einführen der Faust in den Schallbecher Töne hervorzubringen, die in der Naturtonreihe nicht existieren. Seine Kunst übte er in vielen europäischen Ländern aus. In Paris wurde er mit dem dort weilenden Mozart, in Wien später mit Beethoven bekannt, die seine Fähigkeiten für eigene Kompositionen nützten.

Johann Wenzel Stich wurde in einem kleinen Ort südöstlich von Kuttenberg in Böhmen geboren. Er war Leibeigener des Grafen Johann Joseph Thun (1711-1788), der ihn nach Begabungsproben im Heimatort künstlerisch ausbilden ließ. Das Spielen des Waldhorns lernte er bei J. Matejka in Prag, danach nahm er Unterricht bei J. Šindelař in München sowie bei K. Haudek und A.J. Hampel in Dresden. 1763 bis 1766 diente er als Kammerdiener und als Hornist in der Kapelle des Grafen Thun in Prag. Schließlich entzog er sich der Leibeigenschaft durch die Flucht. Um den Fahndern des Grafen Thun zu entgehen, übersetzte er seinen Namen ins Italienische: Giovanni Punto.

Nach weiten Kunstreisen durch mehrere Länder war Stich einige Zeit am Hohenzollernhof in Hechingen angestellt. 1769 bis 1774 gehörte er der kurfürstlichen Kapelle in Mainz an (um 1770/1771 weilte er in London). 1772 hörte ihn der englische Musikhistoriker Charles Burney in Koblenz. In Mainz hatte Stich gehofft, die Stelle des Konzertmeisters zu erlangen, da er auch Violine, Viola und Violoncello spielte. Doch kam ihm der Würzburger Georg Anton Kreusser zuvor, den er bereits in Amsterdam kennengelernt hatte. 1778 trat er in Paris auf, wo Mozart den Hornpart der Sinfonia concertante KV 297b für ihn schrieb. 1781 war er Hofmusiker des Fürstbischofs von Würzburg. 1782 stellte ihn in Paris der Graf von Artois, der nachmalige König Karl X., als Kammermusiker an. 1785 konnte er in einem eigenen Wagen nach Deutschland zurückkehren und wurde in Nancy, Metz, Trier und Koblenz gefeiert. 1788 wirkte er in London in den Pantheon-Konzerten der Sängerin Elisabeth Mara mit. Im August 1789 kam er abermals nach –  dem nunmehr revolutionären –  Frankreich, komponierte eine Hymne à la liberté und leitete ab 1795 als Violinanführer das Orchester im Théatre des Variétés Amusantes. 1799 wechselte er zu Konzerten nach München, 1800 nach Wien. In Wien machte er die Bekanntschaft Beethovens, der für ihn die Hornsonate op. 17 komponierte. In einer Akademie im Burgtheater trugen Stich und Beethoven am 11. April 1800 das Werk erstmals vor. 1801 gab Stich zwei Konzerte im Theater an der Wien.

Der Wiener Musikkritiker Eduard Hanslick urteilte: "Punto galt für den ersten großen Virtuosen auf dem Waldhorn". 1801 besuchte Stich seine böhmische Heimat und veranstaltete im Nationaltheater Prag, 1802 auch in Časlau, Konzerte. Hier begleitete ihn der Pianist Johann Ladislaus Dussek (1760-1812), mit dem er Freundschaft geschlossen hatte. Die Prager Neue Zeitungschrieb: "Der ungetheilte Beifall, den sich dieser unter dem Namen Punto in der That bekannte Künstler bei der Aufführung dieser zwei Konzerte auf dem Waldhorn hier erwarb, bestund darinn, daß er eine Fertigkeit ohnegleichen in Traktirung seines Instrumentes bewiesen hatte, wodurch er die angesehensten Kenner zu dem Urtheile hinriß, noch nie einen dergleichen Vortrag gehört zu haben. Dieser Vortrag auf einem sonst so beschwerlichen Blasinstrumente war ganz Gesang, sowohl in der Höhe als Tiefe. In einigen theils angenehmen, theils erschütternden Kadenzen blies der Künstler sogar Doppel=, und dreifache Töne".

Auf der Rückreise nach Paris erkrankte Stich an Brustwassersucht. Nach fünfmonatiger Krankheit starb der vielgefeierte Künstler in größter Armut in einem Gasthaus in Prag. Eine Woche nach der Beerdigung fand in der Kirche St. Niklas ein Gedächtnisgottesdienst statt, bei dem die Prager Tonkünstler W.A. Mozarts Requiem aufführten.

Stich edierte auch Kompositionen für Waldhorn, vom Duett bis zum Sextett. Daneben publizierte er Violin-Duette, Trios für Flöte, Violine, Baß, Quartette für Flöte, Violine, Viola, Baß, ein Konzert und ein Rondo für Klarinette und Streicher. Weiter ließ er 14 Konzerte für Horn und Orchester drucken. Da er 1787 in Paris das Horn-Konzert seines Landsmannes F.A. Rössler (Rosetti) [zu diesem siehe S. 196 ff.] unter seinem Namen herausgab, bleibt zu untersuchen, ob weitere Titel von anderen Autoren stammen oder Bearbeitungen fremder Kompositionen sind. Als (mindestens zeitweiser) Parteigänger der französischen Revolution ließ er dieHymne à la liberté für Männerchor und Orchester und die Hymne à l´ Etre suprême für Soli, Chor und Orchester drucken. Als pädagogische Werke veröffentlichte er in französischer Sprache Tägliche Übungen für Hornspieler, Paris 1795, und eine Waldhorn-Schule, Paris 1798.

Lit.: Ch. Burney, The Present State of Music in Germany, The Netherlands and United Provinces, London 1775, Bd. I, S. 74. –  J.G. Dlabacz, Allgem. Künstler-Lex. für Böhmen III, Prag 1815, S. 209 ff. –  C. von Wurzbach, Biogr. Lex. des Kaiserthums Österreich, Bd. 24, Wien 1872, S. 81 ff. u. Bd. 45, S. 29. –  C. Pierre, Les hymnes et chansons de la Révolution, Paris 1904, 108 ff. – M. Poštolka, J.W. Stich in: MGG Bd. 12, Kassel u.a. 1965, Sp. 1293 ff.  – H. Fitzpatrick, The Horn and Horn-playing, London 1970. –  R. Morley-Pegge/H. Fitzpatrick, J.W. Stich in: The New Grove, Bd. 15, London 1980, S. 455 f.

 

Rudolf Walter