Biographie

Wurzbach-Tannenberg, Constantin Ritter von

Herkunft: Donaugebiet
Beruf: Schriftsteller, Lexikograph
* 11. April 1818 in Laibach/Krain
† 19. August 1893 in Berchtesgaden

Constantin Wurzbach Ritter von Tannenberg entstammte einem in Deutschland weitverzweigten Geschlecht, das seinen Ursprung, soweit dies bislang sicher zurückverfolgt werden kann, in einem evangelischen Pfarrhaus des frühen 17. Jahrhunderts im ehemals reußischen Ort Wurzbach hatte. Mit vielen Talenten begabt, wuchs er in einem gutsituierten Elternhaus heran, das auf der Höhe der Bildung seiner Zeit stand. Sein Vater Maximilian war ein angesehener Laibacher Rechtsanwalt, der Gedichte publizierte. Seine Mutter Josefine, geb. Pinter, war die einzige Tochter eines wohlhabenden Laibacher Kaufmannes. Im kinderreichen Hause mit zehn Söhnen und einer Tochter, wo in mehreren Sprachen Konversation gepflegt wurde, waren vor allem Schriftsteller und Dichter gern und häufig gesehene Gäste. Wiederholt weilte dort in geselliger Runde auch France Freieren, der große slowenische Dichter.

Nach dem Willen des Vaters sollten alle Söhne das Studium der Rechte absolvieren und dazu die Fertigkeiten eines Handwerks erwerben. Von 1828 bis 1833 besuchte Constantin das Gymnasium in Laibach und durchlief von 1834 bis 1835 die sich anschließenden philosophischen Studien. Daneben erlernte er das Handwerk eines Schuhmachers. Das Jurastudium in Graz, das er danach demWunsche des Vaters entsprechend aufnahm, behagte ihm jedoch trotz vorzüglicher Leistungen auf die Dauer nicht sonderlich. Er folgte dem Beispiel seines Großvaters und entschloß sich für die militärische Laufbahn. Im September 1837 trat er in Krakau in das galizische Regiment Graf Nugent ein. Im Frühjahr 1841 kam er als Unterleutnant nach Lemberg in Galizien. Aufgrund denkbar schlechter Beförderungsaussichten begann er, neben seinem Dienst Philosophie zu studieren. Am 6. Juli 1843 promovierte er in Lemberg als Offizier – dies war der erste Fall in der Armee – zum Doktor der Philosophie. Noch im gleichen Jahr wechselte er in den zivilen Staatsdienst über und wurde Scriptor in der Lemberger Universitätsbibliothek. Sein Vater schrieb ihm daraufhin, er möge Scriptor ins Deutsche übersetzen, dann wisse er, was er sei. Wurzbachs wiederholte Bemühungen, einen Lehrstuhl für Philosophie und Geschichte zu erlangen, waren aufgrund zu vieler älterer Bewerber vergeblich.

Entscheidend für Wurzbachs Zukunft war die Begegnung mit Graf Franz Stadion. Im liberal gesinnten Grafen, seit Juli 1847 Gouverneur von Galizien, schien er einen Förderer gefunden zu haben. Wurzbach wurde als Mitarbeiter in die Redaktion der Lemberger Amtlichen deutschen Zeitung berufen. Im Oktober 1848 begleitete er Stadion als Korrespondent nach Olmütz und Kremsier. In Olmütz war er Mitbegründer und Mitredakteur des Österreichischen Correspondenten. Im Dezember 1848 folgte er Stadion ins Innenministerium als Archivar. Im April 1849 wurde er von Stadions Nachfolger Freiherrn von Bach zum Leiter der auf seine Anregung hin gegründeten administrativen Bibliothek ernannt. 1859 erhielt er den Titel eines Ministerialsekretärs und 1869 den eines Regierungsrates im Ministerium des Inneren. 1873 ließ er sich aus gesundheitlichen Gründen beurlauben und übersiedelte nach Berchtesgaden.

Wurzbach bezeichnete sein eigenes Wirken als schriftstellerische Tätigkeit auf poetischem, literar- und kulturhistorischem und biographischem Gebiet. Andere sehen ihn als Dichter und Schriftsteller, als Bibliographen und vor allem als Lexikographen an. In seinem Leben, das von unaufhörlicher Arbeit und Sammlerfleiß geprägt war, verfaßte er an die 30 Prosawerke und unzählige Gedichte. Nur einige wenige können an dieser Stelle genannt werden. Schon in frühester Jugend, inspiriert von der Poesie Lenaus und Anton Alexander Graf von Auerspergs (Anastasius Grün), schrieb er gemeinsam mit seinem ältesten Bruder Karl – beide gehörten damals zum Kreis der freiheitlich gesinnten Jugend – deutsche Gedichte. Mehrere erschienen bereits 1834 in den Illyrischen Blättern. 1835 veröffentlichte er selbständig ein eigenes Gedicht, das er einem seiner Professoren widmete. 1837 publizierte er seine Übersetzung eines Sonetts von Betteloni. Mosaik, eine erste größere Sammlung epischer und lyrischer Gedichte, dem Vater gewidmet, der die poetischen Neigungen seines Sohnes von Anfang an „auf das strengste perhorreszierte", gab er 1840 in Krakau als Kadett unter dem Pseudonym W. Constant heraus. Die Verletzung der Zensurbestimmngen brachte ihm einen Verweis ein. Zu seiner bekanntesten Prosa gehören Das Elisabethen-Buch – Festalbum denkwürdiger Fürstinnen (Wien 1854), Das Schiller-Buch (Wien 1859), Der Schiller-Kalender (anonym, Wien 1859), Habsburg und Habsburg-Lothringen. Eine biographisch-genealogische Studie (Wien 1861), das Mozart-Buch (Wien 1869) und andere. Er war Mitautor, beteiligte sich an Literaturpreisausschreiben und übersetzte mehrere fremdsprachige Werke ins Deutsche. Wurzbach konnte 17 Sprachen und sah sich selbst „als einen dem deutschen Volk gegenüber auch vermittelnd tätigen Übersetzer". Während seines langjährigen Wirkens in Galizien gewann er einen tiefen Einblick in die reiche Literatur der Polen. Damals begann er polnische und ukrainische Sprichwörter und Aphorismen zu sammeln, später auch die der Litauer, der Serben und Slowenen. Aus jener Zeit stammen die Übersetzung des polnischen Romans Der Dichter und die Welt (Leipzig 1846) von J.J. Kraszewski, Die Volkslieder der Polen und Ruthenen (Lemberg 1846), Die Sprichwörter der Polen und Ruthenen. Erläutert und mit ähnlichen anderer Nationen verglichen (Lemberg 1846). Wurzbach war, bedingt durch zahlreiche Begegnungen mit slowenischen Literaten im Elternhaus, dem Slawentum gegenüber aufgeschlossen, zumal er seit früher Kindheit die slowenische Sprache beherrschte. Einen Namen als Bibliograph machte sich Wurzbach während seiner Tätigkeit im Innenministerium. Dort erkannte man bald sein Organisationstalent und seine ausgeprägte Gabe für Systematik. Gemäß dem zentralistischen Programm nach den Ereignissen vom März 1848 gelangte in die Bibliothek je ein Pflichtexemplar aller publizierten Druckerzeugnisse aus allen Druckereien des Landes. Um sich einen Überblick über die geistigen und politischen Strömungen in den einzelnen Kronländern zu verschaffen, wurde Wurzbach mit der Klassifizierung der nahezu 50000 Druckausgaben und der Veröffentlichung des Ergebnisses beauftragt. Zur gleichen Zeit verfaßte er die Bibliographisch-Statistische Übersicht der
Literatur des österreichischen Kaiserhauses
. Damals rief Wurzbach die Österreichische Bibliographie ins Leben, die Vorläuferin derÖsterreichischen Buchhändlercorrespondenz. Diese erreichte jedoch zu keiner Zeit Wurzbachs Ausführlichkeit und dessen gleichberechtigte Behandlung fremdsprachiger Publikationen. Wurzbachs größtes und in seiner Bewältigung einzigartiges Werk war das Biographische Lexicon des Kaiserthums Österreich (Wien 1856-1891), das seine übrige literarische Tätigkeit etwas in den Hintergrund gerückt hat. Es enthält 24254 Lebensskizzen von denkwürdigen Personen, die zwischen 1750 und 1850 in den österreichischen Kronländern geboren wurden oder darin gelebt und gewirkt haben. Etwa zwei Drittel davon sollen nach Wurzbachs eigenen Angaben erstmalig lexikalisch erfaßt worden sein. Wurzbach hielt am Einheitsstaat von 1855 fest und berücksichtigte bis zum Schluß Länder, die längst nicht mehr der Monarchie angehörten.
Umfangreiche Literaturangaben, Hinweise auf Porträts, Nennung des Kaufpreises bei Gemälden, Wiedergabe der Inschriften von Denkmälern und Epitaphien, zahlreiche ausführliche beschreibende und tabellarische Genealogien und Wappenblasonierungen bei
Angehörigen des Adels sprengten ständig den vorgegebenen Rahmen. So wuchs das ursprünglich auf sechs, dann auf zwölf Bände konzipierte Vorhaben aufgrund des umfangreichen Materials schließlich auf 60 Bände an. Jeder Band ist durch mehrere unterschiedliche und sehr ausführliche Personenregister erschlossen. Ungeachtet einiger Mängel sind die Bedeutung und der Wert des Lexikons unbestritten. In vielen namhaften Bibliotheken des In- und Auslandes hat der Wurzbach immer noch als das biographische Standardwerk seinen Platz. Vielfach ist es die einzige Quelle. Niemandem gelang es bislang als einzelnem – trotz des unaufhaltsamen technischen Fortschritts seither – eine ähnliche Leistung zu.vollbringen.

Wurzbach war zweimal verheiratet. Aus erster Ehe (1843) mit Antonie Hinzinger stammten die Kinder Alfred, Dr. phil., Kunsthistoriker und Kunstkritiker, Theodore, dramatische Künstlerin (Schauspielerin), und Franz, Dr. jur., Rechtsanwalt. Aus zweiter Ehe (1874) mit Karola Varga entstammte die Tochter Constanze; sie wird als Klaviervirtuosin bezeichnet. Trotz seiner vielen Arbeitwar Wurzbach ein fürsorglicher Vater, der stets genügend Zeit für seine Kinder fand. Mit ihnen unternahm er zahlreiche Bildungsreisen, die er penibel archivierte und auf Heller und Pfennig belegte. Wurzbachs ganzes Streben galt jedoch der Vollendung des Lexikons. Der Tagesablauf war genauestens festgelegt. Trotz Krankheit und manch anderer Schwierigkeit war das gigantische Werk am 3. Juli 1891 schließlich vollbracht. Damals setzte er ans Ende des 60. Bandes folgenden Vierzeiler:

Gottlob, das große Werk ist nun zu Ende,

Es war daran, daß ich es nicht vollende –

Ichganz allein schrieb diese sechzig Bände!

Lexikonmüde ruhen aus die Hände.

Wurzbach war Inhaber zahlreicher in- und ausländischer Auszeichnungen. In Anerkennung seiner schriftstellerischen Verdienste wurden ihm vom Kaiser das Ritterkreuz des Franz Josephs-Ordens und 1874 das Ritterkreuz des Ordens der eisernen Krone dritter Klasse verliehen. Mit dieser Verleihung war Wurzbachs Erhebung in den erblichen österreichischen Ritterstand unter der Beibehaltung des Prädikates „von Tannenberg" verbunden. Wurzbachs literarische Leistung war nicht die Frucht seiner vielseitigen Talente – er konnte auch zeichnen und sicherlich auch musizieren -, sie war das Ergebnis seiner enzyklopädischen Bildung und eisernen Disziplin, seines rastlosen Schaffens und des damit verbundenen Verzichts. Obwohl allem Fremden stets objektiv und aufgeschlossen gegenüberstehend, lebte er in deutschen Traditionen und blieb – trotz mancher Enttäuschung – mit ganzem Herzen österreichischer Patriot. Seine letzte Ruhestätte fand dieser große Mann auf dem Friedhof zu Berchtesgaden, wie die Inschrift sagt „fern dem Vaterlande, welches dankbar seiner gedenkt".

Lit.: K. Glossy, in: Allgemeine Deutsche Biographie 55 (1910). – R. Adolph, in: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel 42 (1956). – N. Gšpan-Prašelj, in: Slovenski biografski leksikon (Das slowenische biographische Lexikon), Ergänzungsausgabe.