Innerhalb der sog. donauschwäbischen Erlebnisgeneration, die schwer unter dem Zweiten Weltkrieg und seinen Folgen zu leiden hatte, ist der Beruf des Architekten eine Rarität. Johannes Weißbarth gehört zu den wenigen, die ihn trotz vielerlei Hindernissen ergriffen. Er wurde damit für seine Landsleute in Deutschland zu einer Ausnahmeerscheinung, ja zur Verkörperung des kunstsinnigen donauschwäbischen Architekten.
Weißbarth wurde am 16. Oktober 1933 in Weprowatz geboren, einer 3.000-Seelen-Gemeinde im fruchtbaren Flachland der Batschka, damals Königreich Jugoslawien. Zu 80 Prozent bestand das Dorf aus deutschsprachigen Katholiken. Der Junge besuchte die Grundschule im Heimatort und ging ab 1944 auf das Deutsche Gymnasium in Werbass, das er jedoch abrupt abbrechen musste, als das Ende des Zweiten Weltkriegs das Schicksal der Deutschen Südosteuropas besiegelte. Weißbarths Familie wollte nicht flüchten, weil sie sich aufgrund ihres stets kirchen- und staatstreuen Verhaltens nichts vorzuwerfen hatte. Das sollte sich – wie für viele andere – als folgenschwere Fehlentscheidung erweisen. Die Daheimgebliebenen wurden entrechtet, enteignet, verschleppt, interniert und viele auch ermordet. Nach der Auflösung der Arbeits- und Vernichtungslager 1948 mussten die Überlebenden in der Landwirtschaft, Fabriken, Bergwerken und Werkstätten weitere drei Jahre Zwangsarbeit leisten, so auch der minderjährige Weißbarth. Nach mehrjährigem Bemühen gelang es ihm, gegen Kopfgeld die alte Heimat zu verlassen und als Spätheimkehrer Bürger der Bundesrepublik Deutschland zu werden.
Im zerbombten Stuttgart, wo er sich 1955 niederließ, fasste er den Entschluss, Architekt zu werden und am Wiederaufbau Deutschlands aktiv Hand anzulegen. Er schaffte es trotz schwieriger wirtschaftlicher Lage, 1960 in Stuttgart sein Architekturstudium erfolgreich zu absolvieren. Er suchte Anschluss bei der Katholischen Jugend- und Hochschulgemeinde und wurde Mitglied im Bund Neudeutschland, wo er dem Neusatzer Bildhauer Julius Schramm begegnete, der sein enger Freund wurde.
1961 heiratete er die aus dem Sudetendeutschtum und böhmischen Adel stammende Ulrike Bayer. Der Ehe entstammen vier Kinder.
Der junge Architekt war vom Weimarer Bauhaus eingenommen, von Walter Gropius und Mies van der Rohe, den Vätern des „Neuen Bauens“. Ein Vorbild war ihm auch Marcel Breuer, um 1920 einer der jüngsten Studenten an der einflussreichen Weimarer Bildungsstätte im Bereich der Architektur und des Designs. Breuer verlagerte den Akzent von „Kunst und Handwerk“ auf „Kunst und Technik“ und ging Formprobleme konsequent von der praktischen Seite an. Dem aus Fünfkirchen stammenden Landsmann widmete Weißbarth einen Artikel, der 1966 im Salzburger Neuland erschien (Johannes Weißbarth: Marcel Breuer, ein ungarndeutscher Architekt, in: Neuland [Salzburg], Folge 17, 1966).
Um die Architektur vergangener Epochen wie auch moderne Strömungen zu studieren, bereiste Weißbarth mehrfach Skandinavien, England, Frankreich, Italien und die Schweiz. In Dänemark lernte er den bedeutenden Architekten und Designer Arne Jacobsen kennen, der im Wohnungsbau einen besonders menschlichen Maßstab anlegte und in Weißbarth verwandte Saiten anklingen ließ.
Auf Weißbarths Reißbrett entstanden zunächst die Pläne einer Reihe von Familienheimen und einer Teppichsiedlung in Biberach sowie Planungen für Heutingsheim, Backnang, Ulm, Reutlingen, Riedlingen, Ebingen, Bad Waldsee und andere Orte. Es sind stark rationalisierte, kostenbewusst entworfene Modellprojekte mit einem günstigen Preis-Leistungs-Verhältnis von Wohnfläche zu umbautem Raum. Diese Gebäude setzten der damals herrschenden Siedlungsarchitektur eine eigenwillige Note entgegen, besonders weil die Herstellungskosten verkraftbar waren.
Als sich Weißbarth Ende der 60er Jahre dem Schulbau zuwandte, konnte er in erweitertem Maßstab seinen Entwürfen unverwechselbare Gestalt verleihen. Durch Wettbewerbserfolge kam er zu größeren Aufträgen, wie beispielsweise die Volksschule Dettingen zu planen, weiterhin die Freie Risstalschule Biberach, die Carl-Joseph-Leiprecht-Schule in Rottenburg, das Salvatorkolleg in Bad Wurzach, die Grund- und Realschule St. Bernhard in Bad Mergentheim, die Katholische Fachschule für Sozialpädagogik in Ulm, das Studienkolleg St. Johann in Blönried-Aulendorf sowie die Montessori-Schule und Zentralschule in Neu-Ulm.
Als Beispiel für seine Schulbauten sei hier das Bischof-Sproll-Bildungszentrum Biberach herausgegriffen. Dort sind Grund-, Haupt-, Realschule und Gymnasium in einem Komplex integriert, der nach den Anforderungen differenzierter Unterrichtsformen mit multifunktionaler Raumnutzung, Flexibilität und Mobilität in freier, offener Raumgestaltung gebaut wurde. Heute gilt das Zentrum als Modellschule und wurde von Pädagogen und Baufachleuten aus Schweden, Österreich, der Schweiz, dem Baltikum u. a. Ländern besucht.
Als oberleitender Architekt stand Weißbarth in der Hauptverantwortung bei Planung und Durchführung der großen Bildungszentren St. Konrad in Ravensburg, der Maximilian-Kolbe-Schule in Rottweil, der Rupert-Meyer-Schule in Spaichingen, der Eugen-Bolz-Schule in Bad Waldsee, der St. Wolfgang-Schule in Reutlingen sowie der Bodenseeschule in Friedrichshafen, deren Rektor ihm attestierte: „Sie haben ein Wunder vollbracht.“ Ebenfalls durch Wettbewerbserfolge konnte Weißbarth bei Altenwohnheimen in Biberach und Stuttgart und beim Bonhoeffer-Gemeindezentrum in Biberach sein kreatives gestalterisches Können unter Beweis stellen.
Meilensteine in Weißbarths Berufsleben waren nicht zuletzt denkmalpflegerische Restaurierungen. Die historische Substanz der geschützten Bauten führte er zugleich neuen Nutzungsmöglichkeiten zu. Unter Einhaltung der strengen Auflagen hat er die ehemalige barocke Prämonstratenserabtei Obermarchtal zu einer modernen Lehrerfortbildungsakademie, das vormalige Barockschloss der Grafen von Waldburg-Zeil in Bad Wurzach zu einem modernen Internat umgestaltet. Hochgradig denkmalgeschützt war auch das Comödienhaus in Biberach, beheimatet in der mittelalterlichen „Schlachtmetzig“. Dort hatte Christoph Martin Wieland mit seiner Übersetzung des Dramas Der Sturm 1761 zum ersten Mal ein Theaterstück von William Shakespeare in deutscher Sprache und auf deutschem Boden aufgeführt. Weißbarth rettete den altehrwürdigen Bau und machte eine moderne Kleinkunstbühne daraus.
Neben innovativen Planungen, die sich durch einfühlsames Studium an den speziellen Zwecken und Absichten der künftigen Nutzer orientierten, brachte vor allem seine Zuverlässigkeit Vertrauen und neue Aufträge, denn die genehmigten Kostenvorgaben hat der scharf kalkulierende Architekt stets eingehalten.
Zweimal entwarf Johannes Weißbarth Plan und Modell für ein „Haus der Donauschwaben“, das erste Mal 1959 für die Ulmer Wilhelmshöhe, als die einmalige Chance bestand, ein modernes, repräsentatives Begegnungs- und Kulturzentrum mit Versammlungshalle, Bühne, Büro-, Tagungs-, Jugend-, Gast- und Übernachtungsräumen sowie integriertem Hotel-Restaurant und Gedächtniskapelle zu schaffen. Dieses Projekt wurde damals als Sonderbeilage in der Wochenzeitung Der Donauschwabe veröffentlicht. Doch standen vor allem die Zwistigkeiten unter den LM-Verbänden der Verwirklichung des weitsichtigen „Weltzentrums in der Stadt der Donauschwaben“ entgegen.
Das zweite Mal war Weißbarths Kompetenz gefragt, als die Landsmannschaft Mitte der 90-er Jahre des vorigen Jahrhunderts mit dem Gedanken schwanger ging, den seit 1970 bestehenden drögen Beton-Kastenbau am Sindelfinger Goldberg aufzustocken, um Platz für ein zentrales Museum zu schaffen. Diesmal jedoch zögerte die Stadt Ulm nicht, sich auf ihr historisch verbrieftes Recht zu berufen, und stellte zu diesem Zweck die Obere Donaubastion zur Verfügung.
Bei allen Ausfaltungen seiner baukünstlerischen Tätigkeit, seines Willens, Behaustheit zu formen, hat ihm ein Urbild – das genaue Gegenteil des Großstädtischen – immer vor Augen gestanden, nämlich die auf ein Höchstmaß an Einfachheit reduzierte, bescheidene und anspruchslose, sich in die Landschaft integrierende Architektur des heimatlichen Dorfes, die „eine Welt an Intimität und Geborgenheit“ bereitstellt, weil ihr Mittelpunkt und Maßstab der bäuerlich landschaftsverbundene Mensch und das Leben der Familie ist. Gemeint sind die von der Wiener Hofkammer im 18. Jahrhundert für die nach „Hungarn“ gerufenen donauschwäbischen Kolonisten im Typ entworfenen Dorfanlagen, Höfe und Häuser, wie sie im ganzen mittleren Donauraum mit einer „bezaubernden Fülle von Variationen über dasselbe Thema“ gebaut wurden und heute noch als anonymes Erbe anzutreffen sind. Der in solchem Milieu aufgewachsene Baumeister hat dieses Erbe in einem lesenswerten Aufsatz gepriesen (Die Anonyme Architektur des mittleren Donauraumes. Dorfanlagen und Kolonistenhäuser der Donauschwaben im 18. und 19. Jahrhundert, in: Festschrift zum 70. Geburtstag von Friedrich Binder und Friedrich Kühbauch, Sindelfingen 1986, S. 24-35).
Aus Gründen der Welt- und Kulturbewahrung ist Weißbarth wertkonservativ eingestellt, ein Konservatismus, der Weltoffenheit und Fortschritt voll beinhaltet. Nach der Väter Sitte hält er zäh am überlieferten christlichen Glauben fest, der das Fundament seines Denkens und Handelns ist. Sein verbindlicher Grundpfeiler heißt: „Staatstreu – kirchentreu – heimattreu“. Nur derjenige kennt seinen Platz in der Welt, dem sein Herkommen nicht im Dunkeln liegt, so lässt sich eine seiner fundamentalsten Überzeugungen formulieren. Erst die Treue der Erinnerung ermöglicht Versöhnung und friedliche Zukunft, auf diesem Axiom sucht er neue Beziehungen mit den einstigen Nachbarn aufzubauen und ist trotz bitterster, auch persönlich erduldeter Ungerechtigkeit als Friedensstifter mit christlichem Potential zum Verzeihen ganz der Zukunft zugewandt.
Nur die wichtigsten seiner ehrenamtlichen Tätigkeiten in der Vertriebenenarbeit wie auch im berufsständischen Bereich können hier erwähnt werden. 1962 bis 1965 war er Redakteur der Donauschwäbischen Briefe, gehörte dem Bundesvorstand des Verbandes der Donauschwaben in Ulm an und war 1966 maßgeblich an der Vereinigung von Verband und Landsmannschaft der Donauschwaben beteiligt. Er war Mitglied des vereinigten Bundesvorstandes sowie der Patenschaftsräte im Land Baden-Württemberg und der Stadt Sindelfingen. Im Bund der Vertriebenen leitet er seit 37 Jahren den Kreisverband Biberach und ist Mitglied des erweiterten BdV-Landesvorstandes. Seit 1956 engagierte er sich im St. Gerhardswerk. Seit er Pensionär ist, arbeitet er im Vorstand dieser katholischen Organisation aller Deutschen aus dem Südosten Europas. 2008 wurde er zu ihrem Vorsitzenden gewählt und hat die Fundamente zu einer fruchtbaren Arbeit gelegt.
Für die Organisation und Durchführung von drei exemplarischen donauschwäbischen Kunstausstellungen in Ulm und Reutlingen zeichnete er verantwortlich. Er rief 1964 die Künstlervereinigung „Die Plätte“ ins Leben und war zwei Jahrzehnte lang ihr geschäftsführender Vorsitzender. Dem eingeschworenen Freundeskreis gehörte die Elite der donauschwäbischen Künstler und Kulturschaffenden an: Josef de Ponte, Sebastian Leicht, Franz Schunbach, Julius Schramm, Wilhelm Kronfuss, Hans Diplich, Klaus Günther, Stefan Cosacchi, Franz Koringer, Konrad Scheierling, Jakob Bohn, Robert Rohr, Josef Haltmayer, Adam Schlitt, Jakob Wolf, Johann und Gerda Weidlein, korrespondierende Mitglieder waren Oskar Sommerfeld, Franz Hutterer, Hans Roch u.a. Seinem engen Freund Josef de Ponte widmete Weißbarth 2002 eine Monographie (Josef de Ponte, mit einem Essay über die Arbeiten von Josef de Ponte in Schwaigern von Werner Clement, 62 Abbildungen, Edition Stadt Schwaigern, Schwaigern 2002, 80 S.)
Überall legte Weißbarth Wert auf den überstaatlichen Zusammenhalt aller Donauschwaben, nachtrianonische Separatismen und landsmannschaftliche Eigenbröteleien versuchte er stets aufzubrechen.
In Biberach errichtete er 1983 ein modern gestaltetes Vertriebenenmahnmal und richtete im Jahr 2000 den Ostdeutschen Schauraum ein mit einer ständigen Ausstellung über die Vertreibung der Deutschen aus Mittel-, Ost- und Südosteuropa.
Weißbarth setzt sich seit mehr als vier Jahrzehnten für Heimat, Menschenrechte und geschichtliche Wahrheit ein. Er war stets Mahner gegen das Vergessen und Verdrängen und befürwortet eine aufrichtige Aussöhnung mit unseren östlichen Nachbarn. Zwischen ihnen und seinen deutschen Landsleuten versteht er sich als Brückenbauer.
Viele Ehrungen sind Weißbarth für seine unermüdlichen ehrenamtlichen Dienste zuteil geworden, darunter zwei singuläre. Als erster und einziger Donauschwabe wurde er 1972 auf Lebenszeit als Familiare in den Deutschen Orden berufen (Deutschordensritter), wo er sich historisch und karitativ engagiert. Ebenfalls als bisher einzigem unter seinen Landsleuten verlieh ihm das Land Baden-Württemberg im September 2008 die begehrte Heimatmedaille, die jährlich nur an zehn Persönlichkeiten des Landes verliehen wird. Er ist Träger höchster landsmannschaftlicher Ehrenzeichen. 2004 wurde ihm aus der Hand von Innenminister Heribert Rech das Bundesverdienstkreuz verliehen. Er war persönlich eingeladen, beim Deutschlandbesuch von Papst Benedikt XVI. in der Zeit vom 22.-25. September 2011 bei den Veranstaltungen in Freiburg teilzunehmen und die Donauschwaben auf dem Eucharistischen Kongress vom 5. bis 9. Mai desselben Jahres zu vertreten. Auf der großen Gelöbniswallfahrt der Donauschwaben in Altötting am 13./14. Juli 2013 war der Päpstliche Nuntius Erzbischof Jean-Claude Perisset Hauptzelebrant. Er hat Johannes Weißbarth die Gedenkmedaille des Hl. Vaters für sein ehrenamtliches und selbstloses Engagement, insbesondere im kirchlichen Bereich, beim Papstbesuch in Freiburg überreicht. Weißbarth nahm die Ehrung stellvertretend für das St. Gerhardswerk und alle katholischen Donauschwaben entgegen.
Bild: Autor.
Stefan P. Teppert