Es sind einige Künstler aus dem Mährischen zu nennen, welche für „Wien um 1900“ Bedeutung gewannen: Josef Hoffman, Alfred Roller, Ferdinand Staeger oder Max Kurzweil. In Bisenz in Mähren wurde Maximilian Viktor Zdenko Franz Marie Kurzweil als zweiter Sohn des Zuckerfabrikanten Carl Kurzweil und dessen Frau Maria, geb. Marterer, geboren. Seine Vornamen zeigen eine mehrdeutige Reihung auf. Bisenz, im Südosten von Mähren gelegen, war für seine Lebensmittelindustrie und für den Weinbau, besonders durch den Bisenzer Champagner bekannt. Da der Vater die unrentabel gewordene Fabrik verkaufte und fürderhin das Leben eines Privatiers führte, übersiedelte die Familie 1879 nach Wien. Max Kurzweil besuchte das Schottengymnasium, unweit des repräsentativen Hauses Währinger Straße 1 gelegen, das erworben wurde.
Nach der Matura 1886 studierte er bis 1892 bei Christian Griepenkerl und Leopold Karl Müller an der Akademie der bildenden Künste. Als Einjähriger-Freiwilliger absolvierte er den Militärdienst und wurde zum Leutnant der Reserve befördert. Aufenthalte in Krakau und Galizien sind genannt. Kurzweil ging Ende 1892 nach Paris, wo er bis 1894 an der Akademie Julian studierte, bei Tony Robert-Fleury und Jules-Josef Lefèbvre. Er debütierte im Salon Société des Artistes Français mit dem Gemälde Im Herbst. Bei einer Reise in die Bretagne 1893 begegnete er Marie-Josephine Marthe Guyot, Tochter des Vizebürgermeisters von Concarneau, die er 1895 heiratete. 1894 kehrte er nach Wien zurück, wo er nochmals für ein Jahr an der Wiener Akademie bei Casimir Pochwalski studierte.
Mit Erfolg beteiligte er sich an der Weihnachtsausstellung des Wiener Künstlerhauses, und 1896 wurde er Mitglied in der Genossenschaft der bildenden Künstler Wien, in deren Jahresausstellung er für das in Concarneau entstandene Gemälde Genesen eine Kleine Goldene Medaille gewann. Das Gemälde wurde auch auf der Weltausstellung in Paris gezeigt, wo es mit einer Silbermedaille prämiert wurde. 1897 fand seine erste Einzelausstellung in der Galerie Eugen Artion in Wien statt. Er wurde Mitglied im Siebener-Klub, aus dem die Secession hervorging, zu deren Mitbegründer Kurzweil gehörte und trat in der Folge, wie auch Gustav Klimt, 1897 aus dem Künstlerhaus aus.
Kurzweils früheres Schaffen gehört noch der Genremalerei an, mit Titeln wie Ein lieber Besuch (1894) oder Der arme Spielmann (1895), wobei eine gewisse Verschattung auszumachen ist, so dass ihn sein Freund Karl Moll eine „Lenau-Natur“ nannte, Ausdruck seines ambivalenten Wesens, das zwischen Lustigkeit und Melancholie schwankte. In den Landschaftsgemälden stand er unter dem Einfluss des Impressionismus, auffallend ist dann seine Entwicklung in diesen Jahren zum Symbolismus Wiener Prägung, wie das großformatige Gemälde Tod der Dryade (1898) oder Dämmerung, das in der VII. Kunstausstellung gezeigt und in der Zeitschrift Ver Sacrum (1900, Heft 11) abgebildet wurde. Dort findet sich auch sein Name auf der Liste der verkauften Bilder mit Spiegel im Sumpf (ebd., S. 182).
1899 bezog er eine eigene Atelierwohnung in der Schwindgasse 19, die er mit Möbeln seines Freundes und mährischen Landsmanns Josef Hofmann einrichtete. Im selben Jahr entstand sein bekanntestes Gemälde Dame in Gelb, das sich im Belvedere in Wien befindet und dort besondere Beachtung erfährt, als Kunstdruck zu einem beliebten Wandschmuck reüssierte. Seine schöne Frau „Martha“ war ihm häufig Modell, für Zeichnungen und Holzschnitte, wie Martha auf dem Diwan, auch entstanden mehrere Gemälde u.a. Frau Martha am Ufer in Pont-Aven oder Martha vor der Staffelei.
Er beteiligte sich an der von der Sezession herausgegebenen Zeitschrift Ver Sacrum. Die eigens für Ver Sacrum geschaffenen Originalgraphiken zeigen das Signet O.M., womit sich die „Ordentlichen Mitglieder“ kenntlich machten. Für die XVII. Ausstellung der Secession 1903 schuf er das Plakat, einen Farbholzschnitt. 1905 erfolgte sein Austritt aus der Secession mit der Klimt-Gruppe. Es seien einige Namen genannt: Josef Maria Auchentaller, Adolf Böhm, Adolph Hölzel, Josef Hoffmann, Kolo Moser, Emil Orlik, Alfred Roller, Otto Wagner.
Durch den Villa Romana Preis des Deutschen Künstlerbundes reiste das Ehepaar Kurzweil zum Jahresende 1905 in die Villa Romana bei Florenz, wo es sich bis September 1906 aufhielt. Bis 1905 hatte er jährlich die Sommer in Concarneau verbracht. Kurzweil wendete sich wieder mehr der Landschaft zu, Florenz und seiner Umgebung. Die dort entstandenen Bilder haben eine freundliche, lyrische Ausstrahlung und fanden bei einer Kollektivausstellung in der Galerie Miethke 1907 Anerkennung. Im Sommer reiste er nochmals nach Italien, nach Grado, wo die Mädchenporträts der Schwestern Bauer entstanden. Mit diesen beiden Bildern, dem Porträt der Tante Therese Bloch-Bauer (Schwester des Klimt-Modells Adele Bloch-Bauer) und einer Landschaft nahm er dann an der Wiener Kunstschau 1908, 1909 an der Internationalen Kunstschau in Wien sowie an der Internationalen Kunstausstellung im Münchner Glaspalast teil. Eine gemeinsame Ausstellung mit dem ihm freundschaftlich verbundenen Carl Moll fand 1911 in der Galerie Miethke statt. Kurzweil beteiligte sich auch an anderen Wiener Ausstellungen, wie beim Hagenbund 1912. Von Grado aus hatte er die dalmatinische Küste kennengelernt, wohin er dann 1909, 1910 und 1911 reiste. 1909 wurde Kurzweil Nachfolger von Rudolf Jettmar an der Wiener Frauen-Akademie, wo er Zeichnen und Malen unterrichtete.
Er hatte wohl bereits einige Zeit von seiner Frau getrennt gelebt. Die Ehe war kinderlos und Marthe soll zu Depressionen geneigt haben. Aufenthalte in der Bretagne hatten sich nur noch 1908, 1912 und 1914 ergeben. Durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs entfernten sich die Eheleute endgültig voneinander. Er begann ein Verhältnis mit der 15jährigen Schülerin Helene Heger, von der er ein Porträt malte. Gegen das Verhältnis schritt Helenes Vater ein.
Kurzweil wurde im Herbst 1915 als Offizier reaktiviert. Mährisch-Ostrau war eine Station. Der 48-Jährige beantragte seine Aufnahme als Kriegsmaler in das Kriegspressequartier und wurde im Frühjahr 1916 in dieser Funktion an den Kriegsschauplatz in Montenegro beordert. Durch baldige Beurlaubung kehrte er nach Wien zurück.
Am 9. oder 10. Mai nahm er sich in seinem Atelier das Leben, zusammen mit seiner Geliebten, der 16-jährigen Helene Heger.
Berühmtheit hat Max Kurzweil durch seinen Farbholzschnitt Der Polster erlangt, der 1903 in der Jahresmappe der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst erschien. Er zeigt Frau Martha auf dem Diwan – Abgewandtheit, Verzweiflung, Ablehnung, Trauer, Einsamkeit? Der Farbholzschnitt ist über „Wien um 1900“ hinaus zu einer Ikone des Jugendstils geworden und durch seine höheren Auflage in vielen graphischen Kabinetten der ganzen Welt präsent.
Bei Ausstellungen zum Thema „Wien um 1900“ und zur Wiener Secession sind Werke Kurzweils zu sehen. Einzelausstellungen fanden in Wien 1965/66 (58. Wechselausstellung) in der Österreichischen Galerie zum 50. Todesjahr und 2016 zum 100. Todesjahr Max Kurzweil – Licht und Schatten statt. Manches ist verschollen und unbekannt zerstreut. Werke finden sich in Wiener Sammlungen, dem Oberösterreichischen Landesmuseum Linz, druckgraphische Werke in mehreren österreichischen und deutschen Kabinetten, aber auch in San Franzisco, Sidney u.a.O.
Dem Katalog zur Versteigerung seines künstlerischen Nachlasses 1918 bei Wawra in Wien wurde ein Nachruf von Karl Moll vorangestellt, der das Wesen seines Freundes schilderte: „Es spricht aus jedem Pinselstrich ein vornehmer, liebenswürdiger Mensch, die im besten Sinne aristokratische Natur Kurzweils, die uns im Leben so angezogen hat … So wie wir von Kurzweil nie ein banales oder brutales Wort hörten, nie eine brutale Handlung sahen, so sehen wir in seinem Werk nur Vornehmheit.“
Ein „Mayerlingscher Abgrund“ lag über seinem Ende, ein unbegreiflicher, unerklärbarer Alptraum.
Lit.: Thieme-Becker; NDB; ÖBL. – Karl Moll, Max Kurzweil, in: Katalog Versteigerung des künstlerischen Nachlasses, Wawra Wien 1918, S. 5f, (digi.ub-uniheidelberg.de/digit/wawra1918, abgerufen Mai 2018). – Katalog Secession – Europäische Kunst um die Jahrhundertwende, hrsg. Siegfried Wichmann, Haus der Kunst München 1964, S. 51. – Fritz Novotny, Hubert Adolphi, Max Kurzweil. Ein Maler der Wiener Sezession, Wien 1969. – Hans H. Hofstätter, Jugendstil – Graphik und Druckkunst, Salzburg 1987, S. 238f. – Katalog Markus Fellinger, Max Kurzweil. Licht und Schatten, Belvedere Wien, 2016. – Markus Fellinger, Max Kurzweil – Maler der Secession (Biographie des Monats Mai 2016), www-oeaw-ac-at/inz/forschungsbereiche/kulturelles-erbe, abgerufen Mai 2018.
Bild: Selbstbildnis, Federzeichnung 1894, Private Ostdeutsche Studiensammlung.
Helmut Scheunchen