Beim Gedenken an „75 Jahre Flucht und Vertreibung“ sollte die Unterstützung und Anteilnahme er bedeutenden Dichterin nicht vergessen werden. Die Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen erinnerte bei ihrer Stuttgarter Literaturtagung 1995 an Gertrud von Le Fort. Herausgegeben vom Referenten Joёl Pottier wurden die drei Gedichte, die den Heimatvertriebenen gewidmet sind. (Joёl Pottier, „Und du willst dein Dach erretten, christloses Abendland!“. Gertrud von Le Forts Anteilnahme am Schicksal der Vertriebenen. Mit einem Geleitwort von Frank-Lothar Kroll, Deutschland und seine Nachbarn – Forum für Kultur und Politik 17, 1996)
Der Gedichtzyklus Den Heimatlosen erschien 1950 im Franz Ehrenwirth Verlag in München, mit dem Vermerk: „Nach dem Willen der Verfasserin wird der Erlös aus diesen Gedichten zur Unterstützung von Flüchtlingen und Heimatvertriebenen verwendet.“ In diesem um Treue und Untreue, Recht und Unrecht, Schuld und Gnade kreisenden Triptychon erfährt das Emigranten-Thema, das Gertrud von le Fort ein Leben lang beschäftigt hat, seine letztgültige Verwandlung. Die Dichterin stellt das „christlose Abendland“ vor seine Verantwortung und ruft es zur Besinnung und zur Buße auf.
Den Heimatlosen
I
Sie konnten den Füßen befehlen,
Daß sie von hinnen gehn,
Sie konnten der Welt erzählen,
Es wolle uns keiner mehr sehn.
Sie konnten die Tür uns weisen,
Wie es ihnen gefällt,
Und uns vergrämen, vergreisen —
Kein Mensch, der’s ihnen vergällt.
Aber das Land ist geblieben,
Das stille wahrhaftige Land:
Das hat uns nicht vertrieben,
Das hat uns treulich bekannt.
Noch dampfen Pflugschar und Erde
Von unsrer Stirnen Schweiß,
Noch weiß die brüllende Herde
Um unsern pflegenden Fleiß.
Noch rankt sich an den Altanen
Der Weinstock unsrer Zucht,
Noch düngt der Staub unsrer Ahnen
Jede goldene Frucht.
Was unsre Dichter gesungen,
Noch schwebt es um Stadt und Gefild
Und lobt mit Mutterlautzungen
Das unvergeßliche Bild.
Noch künden uns schweigender Weise
Dom und Altarmonument,
Die stehen dem Höchsten zum Preise,
Auch wenn kein Mund uns mehr nennt.
Noch wohnt ein unsägliches Lieben
Im längst verlassenen Haus —
Gott hatte es uns verschrieben —
Die Schrift löscht niemand aus.
II
Wir sind von einem edlen Stamm genommen,
Der Schuld vermählt,
Wir sind auf dunklen Wegen hergekommen
Wund und gequält.
Wir hielten einst ein Vaterland umfangen —
Gott riß uns los —
Wir sind durch Feuer und durch Blut gegangen
Verfolgt und bloß.
Des Abgrunds Engel hat uns überflogen —
Wer bannt sein Heer?
Wir sind am Rand der Hölle hingezogen —
Uns graust nicht mehr.
Durch jede Schmach sind wir hindurchgebrochen
Bis ins Gericht:
Wir hörten Worte, die ihr nie gesprochen —
O redet nicht!
Uns winkt hier niemals Heimat mehr wie andern
Uns hält kein Band,
Gott riß uns los, wir müssen wandern, wandern —
Wüst liegt das Land,
Wüst liegt die Stadt, wüst liegen Hof und Hallen,
Die Hand ward leer,
Wir sahen eine Welt in Trümmer fallen —
Uns trifft nichts mehr.
Ziel eines Hasses oder eines Spottes,
Was liegt daran?
Wir sind die Heimatlosen unsres Gottes —
Er nimmt uns an.
Die Schuld ist ausgeweint, wir sind entronnen
Ins letzte Weh:
Die ewge Gnade öffnet ihre Bronnen —
Blut wird zu Schnee.
III
Millionen über Millionen
Hast du die Heimat versagt,
Millionen über Millionen
Ins nackte Elend gejagt:
Sie schlafen in fremden Betten,
Sie tragen geschenktes Gewand —
Und du willst dein Dach erretten,
Christloses Abendland!
Sieh, o sieh doch mit Schauern
Winkt nicht ein blutrotes Tuch?
Um deine bebenden Mauern
Schleicht der Entrechteten Fluch.
Senke die eisgrauen Fahnen,
Fege das uralte Haus,
Sprich den Bußpsalm der Ahnen,
Und dann zieh aus:
Zieh aus dem eitlen Gepränge
Moderverfallener Zeit,
Sprenge die Fesseln der Enge,
Werde brüderlich weit!
Gib ihre Heimat den Armen,
Traue nicht Gold noch Erz,
Sühne im großen Erbarmen
Dein versteinertes Herz,
Daß es im Opfervollbringen
Junges Leben gewinnt —
Mit überwundenen Dingen
Spielt das göttlich Kind.
Christine Maria Czaja-Grüninger
(stellv. Vorsitzende der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen
und Mitglied der Gertrud-von-Le-Fort-Gesellschaft)