Der Webelehrer Richard Keilholz wirkte 30 Lebensjahre im oberschlesischen Katscher (heute polnisch: Kietrz), stammte jedoch aus dem thüringischen Dorf Haynrode im Untereichsfeld. Dort wurde er als Sohn eines kleinen Landwirtes, Hauswebers und Webwarenverlegers geboren. Er erlernte ebenfalls das Handwerk eines Leinewebers. Bereits in der Schul- und Lehrzeit fiel er durch seine guten Leistungen auf und da er Entwicklungsmöglichkeiten suchte und diese nicht im väterlichen Betrieb sah, folgte er als junger Webergeselle etwa 1893 einem Aufruf der Preußischen Staatsregierung zur Ausbildung von Web- und Wanderlehrern für den späteren Einsatz in Schlesien. Seine Ausbildung begann in Frankfurt/ M. und führte über ein Praktikum in Heide/ Norderdithmarschen bis nach Berlin. Die in diese Ausbildung einbezogenen Schulen und Einrichtungen lassen sich heute nicht mehr genau ermitteln. Am 25.6.1897 heiratete er in Berlin Else Normann aus Heide.
Wanderlehrer sollten für eine ordnungsgemäße Berufsausbildung in Theorie und Praxis sorgen und außerdem die soziale Lage der schlesischen Weber verbessern. Ziel war, die Weberlehrlinge durch schulische Bildung auf die maschinelle Weberei bzw. auf die Fabrikweberei vorzubereiten. Gleichzeitig sollten die Lehrlinge aber auch das traditionelle Weberhandwerk erlernen, um später als Geselle mit althergebrachter Hausweberei, gegebenenfalls nur als Nebenbeschäftigung, ihre Lebensumstände auch aus eigenen Kräften positiver gestalten zu können. Weiter war es eine Aufgabe dieser Lehrer, zu den Hausweberfamilien zu wandern, die dort stehenden Webgeräte zu überprüfen, sie der technischen Entwicklung (z. B. Jacquardweberei) anzupassen und gegebenenfalls zu verändern. Wanderlehrer sollten den Meistern und Gesellen eine handwerkliche Fortbildung ermöglichen und mit entsprechenden Hinweisen die Heimweber bei der Materialbeschaffung, Produktion und dem Absatz der Fertigware unterstützen. Dies alles sollte helfen, die Schlesischen Weber aus ihrer damaligen sozialen Krisensituation herauszuführen.
Richard Keilholz wurde als Wanderlehrer zuerst in den schlesischen Weberdörfern Neurode, Langenbielau, Dittmannsdorf und Dittersbach eingesetzt. Eine Anstellung als Weblehrer erhielt er dann an der Webschule Mittelwalde/ Grfsch. Glatz und 1905 wurde er Leiter der Königlichen Webereilehrwerkstätte in Katscher/ OS. Er war ein ausgezeichneter Textilfachmann, wie seine bemerkenswerten Veröffentlichungen in einschlägigen Fachzeitschriften beweisen. Mit dem Ersten Weltkrieg wurde der allgemeine Niedergang der Weberei auch in Katscher deutlicher. Danach war Wanderunterricht nur noch eingeschränkt erforderlich und die Weberlehrlinge erhielten die praktische Ausbildung nur noch in den Fabriken. Richard Keilholz war in Katscher ab dieser Zeit nur für den fachlichen, theoretischen Berufsschulunterricht zuständig.
So eröffneten sich ihm zahlreiche Freiräume für seine schon immer vorhandenen naturwissenschaftlichen und heimatkundlichen Interessen. Er bildete sich autodidaktisch in diesen Richtungen weiter, besonders auf den Gebieten der Botanik. Aber auch der Entomologie und sogar der Volkskunde widmete er sich ausgiebig und veröffentlichte dazu eine Reihe von Aufsätzen, die ebenfalls wissenschaftliche Beachtung fanden. Natürlich interessierten ihn auch Geologie, Paläontologie, Mineralogie, Archäologie und Ornithologie sehr. Umfeld und auch Biozönose um Katscher/ Dirschel erforschte und beschrieb er weitgehend. Noch heute sind seine Ermittlungen Ausgangspunkt für gegenwärtige, wissenschaftliche Betrachtungen und seine Erkenntnisse werden immer noch, besonders von Botanikern, als regionales, klassisches Basismaterial wahrgenommen, wenn sie sich mit dem Katscher Gebiet beschäftigen.
Der südlich von Katscher gelegene, pontische Gipshügel Kalkberg, Höhe 285,5 m, war sein Hauptbetätigungsfeld. Damals führte er öfters Exkursionen mit interessierten Besucher- und Wissenschaftlergruppen in diesem Gebiet durch und erläuterte es ausführlich. (Dabei ließ er auch den bergmännischen Gipsabbau im Tiefbauverfahren nicht aus.) Schnell erkannte er, wegen der pontischen Steppenrasenvegetation mit zahlreichen Pflanzengemeinschaften, die unbedingt schützenswerte Bedeutung dieses Areals. Die Einzigartigkeit dieses Biotops beschrieb er in mehreren Aufsätzen wissenschaftlich. Hier fand er Lebensformen, wie sie woanders in mitteleuropäischen Regionen in dieser Vielfalt kaum zu finden waren. Sie entstammten den Steppengebieten am Schwarzen Meer und auch Südosteuropas und sind Relikte früherer Zeitalter oder Einwanderer, die hier Lebensbedingungen wie in ihrer ursprünglichen Heimat, den osteuropäischen Schwarzerdegebieten vorfanden.
Der Kalkberg war schon sehr früh verbal als Naturdenkmal bekannt und auch als solches in der Literatur bezeichnet. Jedoch konkrete Maßnahmen zu seinem Schutz gab es nicht, und besonders die Bedrohungen durch den Gipsabbau wurden täglich immer größer. Aber auch wissenschaftlich interessierte Besucher waren damals eine echte Gefahr. Viele Wissenschaftler verfügten noch nicht über ein heutiges Bewusstsein. Wenn drei- bis viermal im Jahr 5- bis 10köpfige Botanikergruppen das Gebiet besuchten und jeder Teilnehmer eine Belegpflanze mit nach Hause nehmen wollte, hätte dies in einem so kleinen Gebiet das baldige Verschwinden aller seltenen Arten bedeutet. Für Keilholz wurden die Bemühungen zum Schutz des Kalkberges – in Zusammenarbeit mit der Provinzialstelle für Naturdenkmalspflege – deshalb quasi zur Lebensaufgabe. Nach seinen Forschungen konnten dort in dieser Zeit über 40 pontische Pflanzenarten nachgewiesen und wissenschaftlich beschrieben werden. Einige waren aber auch schon damals fast verschwunden.
Oberschlesien besaß 1927 mit dem Leobschützer Stadtwald nur ein einziges Naturschutzgebiet.Die Provinzialstelle für Naturdenkmäler in Oberschlesien bereitete aber die Schutzstellung von weiteren 5 Gebieten vor. Dabei war auch, auf Betreiben von Keilholz, der Kalkberg. Das gesamte Grünflächenareal gehörte zu dieser Zeit vier Besitzern, war als Nutzfläche kaum geeignet (Ziegenweide) und die Provinzialstelle plante, in Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung Katscher, einen Erwerb als Naturschutzgebiet. Jedoch erst 1935 erhielt eine kleine Fläche von 3.365 qm am Südhang des Kalkberges diesen offiziellen Status. Diese kleine Schutzfläche war nur ein Teilerfolg und auch bestimmt nicht das Ziel der langen Pionierarbeit von Keilholz in Sachen Naturschutz an diesem Ort. Er wollte eigentlich mindestens eine mehr als doppelt so große Fläche als Naturschutzgebiet einrichten.
Keilholz galt als naturkundlicher Experte für den Kalkberg. Die wissenschaftliche Anerkennung seiner Arbeit wird durch seine Kontakte zu damals führenden deutschen Botanikern, wie Prof. Schube, (Breslau – Schlesisches Herbarium) und Prof. Wangerin (Danzig – pontische Botanik) belegt. Mit Prof. Eisenreich, Leiter der Provinzialstelle für Naturdenkmalspflege Oberschlesien verbanden ihn die Bemühungen zur Schutzstellung dieses Gebiets. (Die Provinzialstelle führte mehrere Exkursionen dorthin durch und tagte auch in Katscher – dann unter seiner Leitung!) Kontakte unterhielt er weiter u.a. zu Prof. Schoenichen, (Direktor der Staatl. Stelle für Naturdenkmäler in Preußen), Freiherr Prof. Bolko v. Richthofen (Oberschlesischer Landesarchäologe). Eine gute Zusammenarbeit gab es in den 1920er Jahren auch mit dem damaligen Katscher Bürgermeister Greinert, der alle Bemühungen zur Schutzstellung des Kalkberges sehr unterstützte. Kontakte auf dem Gebiet der Volkskunde bestanden auch zum späteren Prof. A. Perlick. Vermutlich waren Aufsätze von Keilholz über die Weberei in Katscher und über die Ölmühle in Rösnitz hier auslösend.
Gesellschaftlich war er in Katscher als Mitglied der Zentrumspartei und Stadtverordneter in der Lokalpolitik engagiert. In der kleinen evangelischen Gemeinde gehörte er zum Kirchenrat und hielt in Abwesenheit des Seelsorgers den Lesegottesdienst. In breiten Bevölkerungskreisen genoss er großes Vertrauen und hohes Ansehen, so dass er auch jahrelang als Geschworener und als Schöffe eingesetzt wurde.
Mit Beginn der Nazizeit wurde sein christliches, soziales und weiteres gesellschaftliches Engagement bestimmt argwöhnisch beobachtet. Die nach der Machtergreifung 1933 erfolgte politische Gleichschaltung des Naturschutzes, sowie aller gesellschaftlichen Aktivitäten, bzw. entsprechende Verbote für solche Tätigkeiten, fanden bestimmt nicht seinen Beifall. Sicherlich unterlag er in der Kleinstadt Katscher zahlreichen, persönlichen Anfeindungen durch Nazis, so dass er diese, mit Erreichen des Pensionsalters, 1935 fast fluchtartig verließ und erst einmal mit seiner Frau in einem Interimsquartier bei einer Tochter in Dresden Unterkunft fand, ehe er sich im sächsischen Königstein an der Elbe als Pensionär niederließ. Dort verstarb er dann 1937 an den Folgen eines Schlaganfalls, ohne, dass in Katscher offiziell Notiz davon genommen wurde. Immerhin brachte die Wochenzeitschrift Der Oberschlesier, etwas versteckt, doch noch eine kurze Nachrufnotiz heraus und würdigte seine umfangreiche Autorentätigkeit mit dem Nachdruck einer früheren Veröffentlichung.
Heute ist der wahre Umfang seines Schaffens nicht genau bekannt, es können bis jetzt etwa 20, überwiegend längere Aufsätze, in verschiedenen Zeitschriften nachgewiesen werden. Weiter sind etwa 30 bibliografische Hinweise zu seiner Person und zu seinem Schaffen in der Literatur gefunden worden. Die Annahme ist jedoch berechtigt, dass noch längst nicht alles bekannt ist. Durch die Zeit des Nationalsozialismus, den Zweiten Weltkrieg, Flucht und Vertreibung ist sein regionales Wirken und seine überregionale Ausstrahlung als Heimatkundler im heutigen Deutschland in Vergessenheit geraten.
Anders im jetzt polnischen Oberschlesien. Dort ist man sich heute sehr wohl bewusst, dass er es war, dem der Kalkberg einen Naturschutzstatus verdankt. Seine Veröffentlichungen dienen heute polnischen Botanikern noch immer als Quellenmaterial. In einschlägigen bibliografischen Verzeichnissen in Deutschland, Polen, Tschechien, Niederlanden und USA sind einzelne Aufsätze von ihm vermerkt.
Der Kalkberg ist seit 1957 in Polen mit einer Fläche von 10.200 m2 als wichtiges Naturschutzgebiet ausgewiesen. Dort lassen sich noch immer 29 geschützte Pflanzenarten nachweisen, davon elf mit besonders strengem Schutz.
Werke: Aufsätze in der Zeit 1910-1937 in der Wochenzeitschrift „Der Oberschlesier“, dem Jahrbuch „Leschwitzer Tischkerierkalender“, in den Monatszeitschriften „Deutsche Seidenraupenzucht“ und „Entomologische Zeitschrift“, bzw. „Entomologische Blätter“, sowie in den textilen Fachzeitschriften „Spinner und Weber“ und „Leipziger Monatsschrift für Textilindustrie“. Moosausstellung von Richard Keilholz/ Katscher/ Naturschutzausstellung: „Naturschutz und Schule“, Ratibor vom 24.08.-02.09.1928.
Helmut Steinhoff