Der abschließende Tag der zweitägigen Online-Konferenz „Minderheitenschutz und Volksgruppenrechte in Mittel- und Mittelosteuropa“ der Föderalistischen Union Europäischer Nationalitäten (FUEN) und der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen für Wissenschaft und Forschung stellte gesetzliche Regelungen in Deutschland, Polen, Rumänien und Slowenien und deren praktische Umsetzungen in diesen Ländern gegenüber. Aus der Sicht der Wissenschaft, der Praxis und der Politik strebte die Fachkonferenz an, einen Überblick zu gewinnen, inwieweit die bestehenden Abkommen des Europarates einerseits und mögliche neue Rechtsschutzelemente im Rahmen der EU andererseits dazu beitragen können, das Niveau des Minderheitenschutzes im europäischen Kontext zu verbessern.
Der erste Konferenztag habe bereits eindrucksvoll unterstrichen, dass der Ausschluss und die Benachteiligung von Minderheiten Konfliktherde seien, die es durch konkrete rechtliche Regelungen zu bekämpfen gilt, erklärte Thomas Konhäuser, Geschäftsführer der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen zum Auftakt des zweiten Tages.
Mit einer Video-Grußbotschaft wandte sich Johannes Callsen, Beauftragter des Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein in Angelegenheiten nationaler Minderheiten und Volksgruppen, Grenzlandarbeit und Niederdeutsch, an die Teilnehmer der Konferenz. Er betonte die Notwendigkeit, Minderheitenschutz präventiv und gemeinsam zu gestalten, anstatt nur auf auftretende Probleme zu reagieren. Man müsse von staatlicher Seite signalisieren: „Wir hören zu, wir möchten positive Veränderungen, wir gehen den Weg gemeinsam“.
Prof. Dr. Dr. hc. mult. Gilbert H. Gornig von der Universität Marburg, der den zweiten Konferenztag moderierte, gab in seinen einleitenden Worten zu bedenken, dass das Völkerrecht nur einen Mindeststandard vorgibt und es an den Ländern selbst liegt, inwieweit sie diese Rechtsordnung in ihren Regelungen übertreffen.
Der Umsetzung der gesetzlichen Lage in Deutschland widmete sich in seinem Video-Beitrag Prof. Dr. Bernd Fabritius, Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten. In diesem Bereich sei bereits viel geleistet worden, betonte Fabritius. So sei mit der Einrichtung von beratenden Ausschüssen der anerkannten Minderheiten eine Möglichkeit der Teilhabe geschaffen worden, die wichtige Themen wie etwa die identitätsstiftenden Minderheitensprachen auf die Agenda bringt.
Dr. Beate Sibylle Pfeil, deutsche Vertreterin im Sachverständigenausschuss zur Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen beim Europarat und Vorstandsmitglied im European Center for Minority Issues (ECMI), fügte hinzu, die Gesamtlage für Minderheiten sei in Deutschland relativ zufriedenstellend. Dennoch seien etwa bei der Bildung und dem Zugang zu Medien noch Lücken zu erkennen. Da viele Bereiche hier unter Landesrecht fallen, sei die Bereitschaft, Minderheitenschutz etwa im Grundgesetz festzuschreiben, auf Bundesebene aber eher gering.
Die rechtlichen Bestimmungen in Polen schilderte Dr. Magdalena Lemańczyk, Juniorprofessorin am Institut für Politische Studien der Polnischen Akademie der Wissenschaften. Zwar sei für Minderheiten hier eine freie und gleichberechtigte Teilnahme am öffentlichen Leben bereits seit 1989 gesetzlich verankert, die Umsetzung dieser Regelungen stoße jedoch an Grenzen, erklärte Dr. Lemańczyk. Es gebe so zwar die Möglichkeit der Nutzung von Minderheitensprachen als sogenannte Hilfssprachen in Gemeinden, dies sei jedoch ohne Befragung aller Bewohner nur dann möglich, wenn der Minderheitenanteil an der Einwohnerschaft 20% erreicht.
Auch Bernard Gaida, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Minderheiten in der FUEN (AGDM) und Vorsitzender des Verbands der deutschen sozial-kulturellen Gesellschaften in Polen (VdG), nannte in seinem Beitrag diese Schwelle. Aus praktischer Erfahrung beschrieb er die Bedenken der Mehrheitsbevölkerung etwa bei der Anbringung zweisprachiger Ortsschilder, man befürchte hier eine Spaltung der Gesellschaft. Gute Minderheitenpolitik fördere darum Toleranz, Verständnis und Akzeptanz bei der Bevölkerungsmehrheit. Dazu seien in Polen Verbesserungen in der Medien- aber auch der Bildungspolitik notwendig.
Enikő Katalin Laczikó, Staatssekretärin im Rumänischen Regierungsdepartement für Interethnische Beziehungen, beschrieb anschließend die gesetzliche Lage in Rumänien. Zwar hätten hier historisch die Minderheiten an den sie betreffenden Gesetzen mitgearbeitet, neuere Gesetzgebungsverfahren seien jedoch nur unzureichend mit ihnen konsultiert worden. Nun gehe es darum, diese Lücken zu schließen, Bildung zu fördern und Phänomene wie „Hate Speech“ zu bekämpfen. Die zuständigen Stellen seien gefordert, den Minderheiten die notwendigen Informationen zur Wahrung ihrer Rechte zukommen zu lassen. „Stärkere Minderheiten stärken den Staat“, sagte Staatssekretärin Laczikó.
Aus der Sicht der deutschen Minderheit in Rumänien schilderte Dr. Paul-Jürgen Porr, Vorsitzender des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien (DFDR), den Stand des Volksgruppenschutzes. Es gebe zwar kein Minderheitenschutzgesetz per se in Rumänien, die insgesamt 18 Minderheiten des Landes würden jedoch überdurchschnittlich gut durch den Staat gefördert. So sei ihre Vertretung im Parlament gewährleistet und auch eine finanzielle Unterstützung der Kulturarbeit gesichert.
Die gesetzlichen Regelungen in Slowenien beschrieb Prof. Dr. Mitja Žagar, Professor an den Universitäten Ljubljana, Primorska/Litorale und der Nova Univerza in Slowenien und langjährig wirkend am Institut für Ethnische Studien. Slowenien habe bereits seit seiner Unabhängigkeit den Minderheitenschutz in seiner Verfassung verankert, sagte er. Die autochthonen Minderheiten der Ungarn und Italiener genössen so in ihren Siedlungsgebieten weitgehende Sprachenrechte. Verstreut lebende Minderheiten, etwa Roma oder Deutsche, seien durch Individualrechte geschützt. Zudem sei der dynamische Prozess des Minderheitenrechtes stets in Bewegung. Er stellte aber auch fest, dass die relativ guten Regeln durch größere finanzielle Förderung des Staates gestützt werden sollten.
Lara Sorgo, wissenschaftliche Assistentin am Institut für Ethnische Studien, ging auf die Baustellen des slowenischen Rechts ein. Besonders die Vermittlung der Sprache sei hier ein wichtiger Punkt. Bilingualität müsse gefördert werden, da derzeit zwar für die autochthonen Minderheiten ein Rechtsanspruch für die Benutzung ihrer Sprache bestehe, dieser aber oft an lokalen Gegebenheiten scheitere. Auch habe die Roma-Minderheit zwar eine besondere Vertretung im Land, deren Zusammensetzung sei jedoch nicht unumstritten und ihr Einfluss zudem beschränkt. Die deutsche Minderheit in Slowenien wird in ihrem Streben nach Anerkennung durch den slowenischen Staat durch Österreich unterstützt, dennoch ziehen sich die seit 1992 laufenden Verhandlungen weiter hin.
Zum Abschluss der Konferenz dankten Prof. Gilbert Gornig, Geschäftsführer Thomas Konhäuser und Éva Pénzes, Generalsekretärin der FUEN, den Referenten für ihre interessanten Beiträge. Die Unterstützung der 100 Millionen Europäer, die Minderheiten angehören, stelle trotz der bereits erfreulichen Erfolge bei Minderheitenschutz und Volksgruppenrechten weiterhin eine große Aufgabe dar, sagte Prof. Gornig. Nach zwei intensiven Konferenztagen sei klar geworden, dass noch viel zu besprechen sei und dieser Austausch im kommenden Jahr fortgesetzt werden muss.
Die Konferenz wird in Kürze als Aufzeichnung auf den YouTube-Kanälen der FUEN und der Kulturstiftung abrufbar sein:
https://www.youtube.com/channel/UCqvgz-LmP4VLBBH_sheDXog
https://www.youtube.com/channel/UCriw7xJskr8t5QniA52R5FQ (www.bit.ly/kulturstiftungvideo)
Der Text der Pressemitteilung als pdf:
2020-10-28-Pressemitteilung-KS-15-2020-Tagung-Minderheitenschutz-Tag2_2