Ereignis vom 5. Mai 1930

Die Eröffnung der pädagogischen Akademie in Beuthen

Beuthen um 1910

Nach der Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg und der Abdankung des Kaisers und der deutschen Fürsten drängte in der jungen freiheitlich-demokratischen Republik vieles nach Neuem, auch im Bereiche des Schul- und Bildungswesens. Dabei richtete sich der Blick auch auf die Volksschullehrer, deren Ausbildung und Erziehung in Präparandien und Lehrerseminaren erfolgte und nicht nur von manchen direkt Betroffenen als zu eng, zu starr und zu autoritär angesehen wurde – als nicht dem neuen Staatswesen entsprechend. Eine Aufwertung des Volksschullehrerstandes, die Erhöhung seines Ansehens und nicht zuletzt die Steigerung das Einkommens in Annäherung an die Mittelschullehrer und die Lehrkräfte der höheren Schulen standen als Ziel vor Augen. Die bisherige seminaristische Lehrerbildung sollte – trotz ihrer letztlich kaum abzustreitenden Verdienste – durch eine hochschulmäßige Ausbildung ersetzt werden, für die sich in Preußen der 1921 und dann wieder von 1925 bis 1930 amtierende parteilose Kultusminister Professor Dr. Carl Heinrich Becker sehr engagierte.

In der Mitte der 1920er Jahre zog Preußen den Schlußstrich unter die alte Lehrerbildung und verfielen die Lehrerseminare der Auflösung, zugunsten der neuen akademischen Lehrerbildung, die auf intellektuell-humanistischem Boden stehen und wissenschaftlich-pädagogisch ausgerichtet sein sollte. Demgemäß entstanden die Pädagogischen Akademien, begonnen im Jahre 1926 mit den evangelischen Pädagogischen Akademien in Elbing und Kiel und der katholischen Pädagogischen Akademie in Bonn, denen in den nächsten Jahren weitere folgten. Als es darum ging, die zweite katholische Akademie Preußens zu errichten, entschied man sich dafür, diese in Oberschlesien anzusiedeln, das weder über eine Universität noch über eine Technische Hochschule oder eine ähnliche wissenschaftliche Einrichtung verfügte, nach der langen Benachteiligung der Landeskinder durch Preußen und der Teilung des Gebietes nach dem Weltkrieg und der Volksabstimmung als junge Provinz nach Anerkennung und Aufwertung drängte und große Aktivitäten entwickelte. Bei dem Wettlauf mit dem Ziel, der Standort dieser Akademie zu werden, hatte schließlich Beuthen vor Oppeln und Ratibor die Nase vorn, wobei ihm das Vorhandensein geeigneter Gebäulichkeiten (ehemaliges Lehrerinnenseminar) hilfreich war. Zum Direktor ernannte die preußische Regierung Prof. Dr. Hans Abmeier, der zwar im Hildesheimer Lande geboren war, aber – außer in Münster – in Breslau und Greifswald studiert hatte, als einer von relativ wenigen Männern der alten Lehrerbildung, das philologische Staatsexamen und den philosophischen Doktortitel besaß und über ein Jahrzehnt lang im preußischen Seminardienst gestanden hatte: in Habelschwerdt (Grafschaft Glatz), Proskau und Peiskretscham (beide in Oberschlesien) und Paradies, das ab 1922 zur neuen Provinz Grenzmark Posen-Westpreußen gehörte, deren Belange Abmeier als Reichsratsmitglied in Berlin vertrat. Er war 1926 an die Pädagogische Akademie in Bonn berufen und dort 1927 zum Professor ernannt und zum stellvertretenden Direktor gewählt worden und 1930 der einzige „Ostdeutsche“ katholischer Konfession in der neuen Lehrerbildung.

Die mit viel Feierlichkeit begangene Eröffnung der Beuthener Pädagogischen Akademie erfolgte am 5. Mai 1930 und fing mit einem von Adolf Kardinal Bertram, dem Breslauer Fürstbischof, zelebrierten Pontifikalamt an. Dann begann im Stadttheater die vom Schlesischen Rundfunk übertragene Eröffnungsfeier, zu deren prominenten Teilnehmern Kardinal Bertram, der preußische Kultusminister Adolf Grimme, der oberschlesische Oberpräsident Dr. Hans Lukaschek, der Landeshauptmann Theophil Woschek und der Präsident des Schiedsgerichtes für Oberschlesien Kaekenbeek, ein Niederländer, gehörten. In seiner mit großem Beifall aufgenommenen und auf sehr hohem Niveau stehenden Festrede betonte Minister Grimme, die Akademie werde ausstrahlen, wenn sie den Volkserzieher mit der Einsicht erfülle, den Blick nicht nur auf die Sterne, sondern auch auf die Gassen zu richten. Die Welt der Materie müsse, so der Sozialdemokrat, durchgeistigt und durchseelt werden. Er wünschte sich Lehrer mit einer solchen Einstellung und der Verbindung von selbstbewußter Liebe zum eigenen Volke mit der Achtung vor dem Werte des Nachbarvolkes, was sicherlich auf die Verständigung mit Polen hin gemeint war. Als zweiter Hauptredner des Festaktes betonte Kardinal Bertram den Wert der katholischen Weltanschauung und die Bedeutung der Persönlichkeit des Lehrers bei der Erziehung sowie die Liebe zu Volk, Heimat und Vaterland, die es der Jugend zu vermitteln gelte. Beuthens Oberbürgermeister Dr. Adolf Knakrick sprach den Wunsch aus, die neue Akademie möge sich zu einer Hochburg deutschen Geisteslebens im Osten entwickeln und dazu beitragen, daß die Volksschule der wichtigste und stärkste Kulturträger an der Grenze bleibe.

Zwei Tage vor der Eröffnung der Akademie hatten die einflußreichen katholischen Lehrer- und Lehrerinnenverbände der Stadt eine Festsitzung mit den Dozenten veranstaltet, von denen ein großer Teil in Schlesien geboren war. Drei der hauptamtlichen Dozenten (25 %) gehörten zum weiblichen Geschlecht, unter ihnen zwei mit Professorentitel.

Die Studentenschaft bestand anfangs aus 33 Damen und 64 Herren, darunter insgesamt 30 aus Oberschlesien und 26 aus Niederschlesien und einem Herren aus dem an Polen gefallenen Ost-Oberschlesien. Weitere Studiosi kamen u. a. aus Danzig (15) und dem Saargebiet (5). Es war also ein recht gemischtes Völkchen, alles in allem 100 Personen, einschließlich von drei zur polnischen Minderheit zählenden Preußen, die sich in Beuthen für die Tätigkeit an Minderheitsschulen ausbilden lassen wollten.

Die neue Akademie leistete gute Arbeit, strahlte aus in das oberschlesische Land und wurde zu einem Kulturpfeiler – zu einem freiheitlich-demokratischen im Sinne ihrer Gründer jedoch nur für wenige Jahre, da nach der nationalsozialistischen Machtübernahme auch sie der Gleichschaltung und bräunlicher Einfärbung anheimfiel. Aus politischen Gründen wurden besonders mißliebige Mitglieder des Lehrkörpers abgesetzt, so Direktor Abmeier (nach dem Kriege Professor und Gründungsdirektor der Pädagogischen Hochschule in Alfeld/Leine), Professor Dr. Alfred Petzelt (nach 1945 Universitäts-Professor und Leiter des Deutschen Instituts für wissenschaftliche Pädagogik in Münster i.W.) und der als Religionspädagoge damals sehr bekannte und geschätzte Professor Alfred Hoffmann. Große Förderung erfuhr in der Institution, die ab 1934 „Hochschule für Lehrerbildung“ und ab 1941 „Lehrerbildungsanstalt“ war, die sehr aktiv betriebene Volks- und Heimatkunde unter Leitung von Professor Alfons Perlick, der dann 1954 eine Professur an der Pädagogischen Hochschule in Dortmund erhielt, der „Ostdeutschen Forschungsstelle im Lande Nordrhein-Westfalen“ vorstand und die „Mitteilungen des Beuthener Ge­schichts- und Museumsvereins“ – fern vom Ursprungsort – herausgab.

Ehemalige Beuthener Lehrerstudenten und -studentinnen fanden sich noch viele Jahre nach Krieg und Vertreibung zu Tagungen des „Beuthener Akademiekreises“ zusammen, die der Gemeinschaftspflege und der Wissenschaft dienten.

Lit.: K. Sylvester, Eröffnung der ersten katholischen pädagogischen Akademie im deutschen Osten, in: Pharus 21, 1930, II, S. 65-68. – Eröffnung der Pädagogischen Akademie, in: Ostdeutsche Morgenpost, Beuthen O.-S., 12. Jg., Nr. 125 vom 6. Mai 1930. – Hans Schadewaldt, Ein Beuthener Ehrentag. Zur Eröffnung der Katholischen Pädagogischen Akademie, ebd. – Zur Eröffnung der Pädagogischen Akademie in Beuthen O.-S., in: Katholische Schulzeitung für Norddeutschland, 47. Jg., Nr. 19 vom 7. Mai 1930, S. 357-362. – (Alfons) Perlick, Zur Geschichte der Pädagogischen Akademie (1930-1945), in: Mitteilungen des Beuthener Geschichts- und Museumsvereins, Heft 15/16, 1954/55, S. 132-135. – Hans-Ludwig Abmeier, Die Eröffnung der Pädagogischen Akademie in Beuthen O/S am 5. Mai 1930, ebd., Heft 42/44, 1980/1982, S. 188-191. – Von demselben: 10 Artikel über Beuthener Akademiedozenten, in: Bytomski Słownik Biograficzny, Redaktion: Jan Drabina, Bytom 2004.

Bild: Beuthen um 1910 / Quelle: Unknown author, Bytom – Rynek 04CC BY-SA 2.5

Hans-Ludwig Abmeier (OGT 2005, 199)