Martin Knutzen war Kants Philosophielehrer an der Universität und hat Kant sowohl die damals weitgehend herrschende Philosophie Christian Wolffs vermittelt als auch ihm ein Beispiel dafür gegeben, daß die kritische Auseinandersetzung mit der Leibniz-Wolffischen Philosophie für die Diskussion von Fragen der Metaphysik weiterführend sein kann. Auch hatte er eine ausgeprägte Neigung zur Mathematik und zur exakten Naturwissenschaft, besonders zur Astronomie, was für Kants Entwicklung zum Naturforscher ein wichtiger Anstoß oder zumindest eine fruchtbare Bestätigung war.
Knutzen, der seine Eltern früh verloren hatte, wuchs bei Verwandten auf und erhielt in Königsberg eine seiner Begabung entsprechende gründliche Schulausbildung, so daß er sich bereits mit 15 Jahren an der Albertina immatrikulieren konnte. Er studierte Philosophie, Mathematik, Physik und Theologie. Franz Albert Schultz, der führende Kopf des Pietismus in Königsberg, der in Halle zum Anhänger der Wolffschen Philosophie geworden war und den Pietismus damit zu verbinden wußte, wählte ihn bei Antritt seiner Professur an der Königsberger Universität zum Respondenten bei der Verteidigung seiner Dissertation „de concordia rationis cum fide“ („Über den Einklang von Vernunft und Glauben“). Auch Knutzen, der auf Empfehlung von Schultz bereits 1734, also im 21. Lebensjahr, eine außerordentliche Professur für Logik und Metaphysik erhalten hatte, blieb sowohl der Philosophie Wolffs als auch seiner religiösen Neigung zum Pietismus lebenslang treu. Seine Schrift „Philosophischer Beweis von der Wahrheit der christlichen Religion“, die zuvor in Fortsetzungen als Zeitschriftenabhandlung erschienen war, erlebte von 1740–1763 fünf Auflagen. Obwohl er keine ordentliche Professur erlangte, gehörte er zu den angesehensten Gelehrten der Königsberger Universität. Nachdem er 1744 auch noch Adjunct der Schloßbibliothek (an der Kant später einige Jahre Subbibliothekar war) und Oberinspektor des akademischen Colleges geworden war, heiratete er eine Königsberger Kaufmannstochter. Infolge nervlicher Überanstrengung starb er schon im Alter von 37 Jahren.
Knutzens philosophische Schriften sind alle der Metaphysik und der Logik gewidmet und bewegen sich im Rahmen der Lehren von Wolff und seiner Schule – mit einer Ausnahme: An die Stelle der durch Wolff von Leibniz modifiziert übernommenen Lehre von der praestabilierten Harmonie von Körper und Seele setzt Knutzen die Lehre vom natürlichen Einfluß (influxus physicus) zwischen Seele und Körper, die im Rahmen der Wolffschen Schule zunehmend Anhänger fand. Hier die Titel seiner Schriften: 1.Dissertatio metaphysica de aeternitate mundi impossibili.1733 (Metaphysische Dissertation über die unmögliche Ewigkeit der Welt). 2. Commentatio philosophica de commercio mentis et corporis per influxum physicum explicando. 1735 (Philosophischer Versuch über die Erklärung der Gemeinschaft von Geist und Körper durch den physischen Einfluß). 3. Systema causarum efficientium. 1745 (System der wirkenden Ursachen). 4. Elementa philosophiae rationalis seu logicae cum generalis tum specialioris mathematica methodo demonstrata. 1747 (Anfangsgründe der rationalen Philosophie oder Logik sowohl allgemein als auch im besonderen nach mathematischer Methode bewiesen).
Diese Schriften, besonders Knutzens Hauptwerk über die Wirkursachen, sind eine wichtige Quelle für die Erforschung der philosophischen Gedanken Kants in seiner dogmatischen Epoche (1746–1763). Namentlich Kants Erstling „Gedanken von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte …“ bezieht sich auf die Gedankenwelt, in der er gemeinsam mit seinem verehrten Lehrer Knutzen lebte.
Lit.: Ludovici: Ausführlicher Entwurf einer vollständigen Historie der Wolffischen Philosophie, 1737, III, § 467. – F.J. Buck: Lebensbeschreibung derer verstorbenen preußischen Mathematiker, Königsberg 1764, S. 176. – Benno Erdmann: Martin Knutzen und seine Zeit. Ein Beitrag zur Geschichte der Wolffischen Schule und insbesondere zur Entwicklungsgeschichte Kants, Leipzig 1876.
Eberhard G. Schulz