Biographie

Neuda, Fanny

Herkunft: Sudeten (Böhmen u. Mähren, österr. Schlesien)
Beruf: Verfasserin des ersten jüdischen Gebetsbuchs von eine Frau für Frauen
* 6. März 1819 in Lomnitz/ Mähren

Fanny Neuda war die Tochter des Rabbiners Juda Schmiedel (1776-1855) und seiner Frau Nechomoh Karpeles, Tochter des Rabbiners Moses Karpeles in Boskowitz. Juda Schmiedl wirkte vor seinem Rabbinat in Lomnitz als Rabbiner in Hotzenplotz. Er war einer der drei Rabbiner Mährens, die bereits in der Zeit um 1845 deutsch predigten. Fannys Bruder, Adolf Abraham Schmiedl (1821-1913), wurde ebenfalls Rabbiner und Gelehrter und wirkte in Gewitsch, Teschen, Prossnitz und dann in Wien. Fanny erhielt eine jüdische und allgemeine Bildung ganz im aufklärerischen Sinne Mendelsohns. Gemäß der Tradition wurde sie verheiratet mit Abraham Neuda, der 1812 in Loschitz geboren wurde als Sohn des dortigen Rabbiners Aron Moses Neuda. Abraham hatte an der Jeshiwa, der Talmudhochschule in Nikolsburg studiert und war einer der Lieblingsschüler von Nehemias Trebitsch.

Als sein Vater erkrankte und starb wurde Neuda als Nachfolger für das Amt des Rabbiners von der Gemeinde gewählt. Er war einer der ersten Reformrabbiner, die auch eine weltliche Bildung hatten. Wegen seiner Reformbemühungen und seiner weltlichen Bildung und weil er deutsch predigte und schrieb, wurde seine Wahl von dem damaligen Landesrabbiner Mährens Nehemias Trebitsch in Frage gestellt. Die Auseinan­der­setzungen zogen sich über sechs Jahre hin. Abraham Neuda unterzog sich freiwillig einer erschwerten Prüfung, die er bestand. Danach konnte er als Nachfolger seines Vaters das Amt des Rabbiners in Loschitz ausüben, aber er starb sehr früh im Jahre 1854 mit 42 Jahren, wahrscheinlich auch durch die Widerstände und Anfeindungen geschwächt. Die Familie hatte drei Söhne Julius, Moritz und Gotthold, für die jetzt Fanny Neuda allein verantwortlich war.

Sie wollte ihrem verstorbenen Mann ein Denkmal setzen und schrieb in dem Jahr nach seinem Tode in „liebender Erinnerung nach meinen schwachen Kräften“ ihre gesammelten Gebete nieder und gab diese 1855 in dem Büchlein Stunden der Andacht, Gebet und Erbauungsbuch für israelitische Frauen und Jungfrauen zur öffentlichen und häuslichen Andacht, so wie für alle Verhältnisse des weiblichen Lebens heraus.  Dies Büchlein war Baronin Louise von Rothschild gewidmet. Es enthält neben den Gebeten für jede Tageszeit, für alle Wochentage und zu den jüdischen Feiertagen auch Gebete zu vielen Lebenslagen wie zur Geburt eines Kindes, zu Hochzeit und Tod des Mannes oder des Kindes oder der Eltern. Hier ein Auszug aus einem Gebet für den Mann, der auf Reisen ist:

„Mein Gott und mein Vater! Aus andächtigem Herzen flehe ich zu dir, mein Gott, um deinen allmächtigen Schutz für den fernen Gatten. Wenn ihm unter seinem eigenen Dache schon, wo Friede und Freundlichkeit herrschen, und Liebe und Treue ihn umschweben, deine göttliche Obhut so noth thut; wie sehr bedarf er nicht deines Schirmes und Schutzes, wenn er fern von seinem häuslichen Herde ist, ausgesetzt den Gefahren der Reise, wo List und Eigennutz ihn umgeben, und kein liebend Herz ihm der Gattin zärtliche Sorgsamkeit ersetzt. Darum flehe ich jetzt noch glühender und inbrünstiger als sonst um deine Huld und Gnade für ihn.“

Das Andachtsbuch erschien 1855 in der 1. Auflage in Prag, verlegt bei Wolf Pascheles, der als erster Buchdrucker 1837 in Prag in deutscher Sprache und lateinischen Buchstaben ein jüdisches Gebetbuch gedruckt hatte. 1893 erschien das Gebetbuch der Fanny Neuda schon in der 14. und 1925 in der 28. Auflage. Es wurde 1866 von Rabbi Moritz Mayer ins Englische übersetzt und in den USA veröffentlicht unter dem Titel Hours of Devotion, 1864 erschien es nicht, wie oft angegeben wird, in Jiddisch, sondern in Jüdisch-deutsch, das heißt in Deutsch in hebräischer Schrift. 1935 wurde es von Martha Wertheimer, einer aus Frankfurt stammenden Journalistin, Schriftstellerin und Pädagogin, überarbeitet für jüdische Frauen in der besonderen Situation in Deutschland während der NS-Zeit. Alle Tage Deines Lebens. Ein Buch für jüdische Frauen war der Titel dieser Ausgabe.  Martha Wertheimer organisierte auch viele Kindertransporte nach England, um das Leben von Kindern zu retten, sie selber wurde 1942 wahrscheinlich in Sobibor umgebracht.

Dinah Berland, eine Schriftstellerin aus Los Angeles, fand zufällig, selber in persönlichen Schwierigkeiten, in einem Buchladen die englische Ausgabe von 1866 des Gebetbuchs von Fanny Neuda. Das Buch war hilfreich für sie, so recherchierte sie darüber. Zusammen mit einem Übersetzer, der auch den Originaltext in Deutsch lesen konnte, ‚transponierte‘ sie sorgfältig die Gebete in heutiges Englisch und setzte diese in Verse, um die Poesie sichtbar zu machen, die in den Gebeten enthalten ist. Es erschien 2007 unter dem Titel „Hours of Devotion“ von Dinah Bergland in New York bei Schocken. Viele der 88 Gebete und Neudas eigenes Vorwort und Nachwort erschienen in Englisch zum ersten Mal. So wurde ein Fenster geöffnet, wie das Leben einer jüdischen Frau in Mitteleuropa zur Zeit der Aufklärung aussah.

1968 wurde das Buch in Basel zum letzten Mal gedruckt und für wikisource mit viel Mühe aufgearbeitet, so dass man es in der Originalsprache, im Internet lesen kann.

Auch in das von Alize Lavie 2008 herausgegebene Gebetbuch A Jewish Woman’s prayerbook wurden 14 von Fanny Neudas Gebeten das erste Mal von Katja Manor ins Hebräische übersetzt in dieses Gebetbuch aufgenommen.

Der Verleger Wolf Pascheles hatte in seinem Vorwort zur ersten Auflage 1855 geschrieben: „Es ist das erste Mal, dass eine hochgebildete Frau als Verfasserin eines Andachtsbuches für Wochen-Fest-und Fasttage in allen Verhältnissen des weiblichen Lebens auftritt. Ihr Werk hat schon im Manuskripte die beifälligste Beurtheilung der angesehnsten Gelehrten gefunden, welche es mit den Bemerken empfahlen, daß ein so vollständiges Gebetbuch für öffentliche und häusliche Andacht, so glücklich ausgeführt, noch nicht erschienen, daß dessen gemütliche Geist und Herz ansprechende Gebete, so wie die religiösen Betrachtungen über sich selbst, über Gott und die Ewigkeit, die es bringt, unübertrefflich seien. Die Verfasserin dieses Andachtsbuches hat den Beweis geliefert, daß eine Frau die beste Dolmetscherin des weiblichen Herzens ist, daß eigene reiche Erfahrung, Selbstempfundenes, die ganze weibliche Eigenthümlichkeit gehören dazu, das weibliche Herz zu verstehen und seinen frommen Bedürfnissen ganz zu verstehen …“

Der Verkaufsrekord bestätigte Neudas Hoffung, dass ihre Gebete, „die Frucht des Herzens einer Frau würde ein Echo finden in den Herzen von Frauen.“ Selbstbewusst vergleicht sie ihre Gebete mit denen von Männern, die für Frauen schreiben: „Jenen ist es versagt, sich ganz in weibliche Empfindungen einzufühlen. Eine Frau hingegen kann in den Herzen ihrer Schwestern lesen.“

Fanny Neuda zog 1858 nach Brünn und 1880 zu ihrem Bruder nach Wien, der dort als Rabbiner wirkte. Sie starb am 16. April 1894 während eines Kuraufenthaltes in Meran mit 75 Jahren.

Fanny Neuda hat außer ihrem Gebetbuch auch Geschichten über das häusliche Leben von Juden in Böhmen und Mähren, geschrieben. Zwei ihrer Bücher erschienen in Prag: Naomi: Erzählungen aus Davids Wanderleben, 1864, und Jugend-Erzählungen aus dem israelitischen Familienleben, 1876.

In Loschitz, dem Wohnort der Familie und dem Wirkungsort ihres Mannes wurde in der ehemaligen Synagoge 2015 eine Gedenktafel in tschechisch, englisch und hebräisch für Fanny Neuda angebracht und feierlich enthüllt in Anwesenheit des tschechischen Kultusminister Daniel Herrmann, des israelischen Botschafters in Tschechien und von Alize Lavie, einer Abgeordneter der Knesset und Herausgeberin des Womans Prayerbook.

Bild: Cover Fanny Neuda, Stunden der Andacht, 1855.

Hildegard Schiebe