Unter den deutschen Heerführern des letzten Krieges ist Generaloberst Johannes Blaskowitz die tragische Gestalt. Doch liegt diese Tragik weniger im soldatischen Bereich als in der menschlichen Sphäre. Dabei gehört er hier wie dort zu den Bewährten.
Der ostpreußische Pfarrerssohn aus Peterswalde, Kreis Wehlau, kam früh ins Kadettenkorps, ging zuerst in Köslin, dann in der Hauptkadettenanstalt Lichterfelde durch die harte, strenge Schule, die seit dem Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. Gesicht und Haltung des preußischen Offiziers formte. Er war erst 16 Jahre alt, als er als Fähnrich in das Infanterie-Regiment von Grolman (1. Pos.) Nr. 18 in Osterode eintrat. Sein Leutnantspatent war an seinem 17. Geburtstag ausgefertigt. 2 ½ Jahre zur Militär-Turnanstalt kommandiert, besuchte er von 1908 bis 1911 die Kriegsakademie.
Als Kompanieführer zog er ins Feld, kämpfte im Elsaß und in Nordfrankreich und erhielt schon im März 1915 das E. K. I. Im Sommer 1915 kam er zum Jäger-Regiment 3 des Alpenkorps, führte in den Dolomiten dessen M. G. K. und im serbischen Feldzug das I. Bataillon. Im Frühjahr 1916 begann die Generalstabsausbildung des bewährten Frontoffiziers beim Generalkommando des X. Armeekorps in Frankreich. Im Oktober wurde Hauptmann Blaskowitz 1. Generalstabsoffizier der 75. Reserve-Division und nahm in den nächsten beiden Jahren an Kämpfen in Galizien und bei Smorgon, bei Riga und im Westen teil. Zuletzt war er Verbindungsofizier bei der k. u. k. 37. Honved-Inf.-Division.
Seine Teilnahme am Aufbau des 100000-Mann-Heeres beginnt mit der Ernennung zum Generalstabsoffizier beim Wehrkreiskommando V in Stuttgart, wo er anschließend die gleiche Funktion beim Infanterie-Führer V ausübte. Dorthin kehrte Blaskowitz, nachdem er 3 ½ Jahre das III. Bataillon des Infanterie-Regiments 13 in Ulm geführt hatte und Oberstleutnant geworden war, am l. Februar 1928 als Chef des Stabes der 5. Division zurück. Am l. Dezember 1930 wurde er Kommandeur des 14. Infanterie-Regiments in Konstanz. Noch als Regimentskommandeur zum Generalmajor befördert, erfolgte am 1. Februar 1933 die Berufung zum Inspekteur der Waffenschulen in Berlin, wo ihm die Leitung der Ausbildung des Offiziersnachwuchses des Heeres oblag. Der 1. Dezember 1933 brachte ihm die Beförderung zum Generalleutnant, am 1. April 1935 erfolgte die Ernennung zum Kommandeur der 2. Division (Kdr. General des II. Armeekorps) und Befehlshaber im Wehrkreis II in Stettin, am 2. August 1936 wurde er General der Infanterie. Bereits hier Nachfolger des späteren Generalfeldmarschalls v. Bock, war er es auch bei der Ernennung vor dem Kriege: O.B. der Heeresgruppe 3 in Dresden am 15.11.38. Damit war General der Infanterie Blaskowitz in eine der sieben höchsten Kommandostellen des Heeres eingerückt. Es gibt keinen größeren Beweis für seine soldatische Tüchtigkeit und sein großen Leistungen, die er zuerst beim Aufbau des 100000-Mann-Heeres vollbracht hatte, und für die später, bei der Ausbildung des Offiziersnachwuchses in der Übergangszeit zur Allgemeinen Wehrpflicht und nach deren Einführung, erworbenen bedeutenden Verdienste.
Im März 1938 besetzte seine 8. Armee Böhmen mit der Hauptstadt Prag. Als Oberbefehlshaber dieser Armee zog General Blaskowitz auch in den Krieg gegen Polen. Er siegte bei Kutno und nach schweren Krisen in der Schlacht an der Rawka Bzura, eroberte Warschau, wurde Generaloberst und erhielt das Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes. Schon war er, zum Oberbefehlshaber der 2. Armee ernannt und froh, bei einer etwaigen Entscheidung dort an verantwortlicher Stelle mitwirken zu können, auf dem Weg nach dem Westen, als die Ernennung zum Oberbefehlshaber Ost ihn zurückrief.
In diesem Augenblick beginnt die Tragik bei Generaloberst Blaskowitz. Als deutscher General konnte und wollte er es nicht dulden, daß in seinem Befehlsbereich Maßnahmen durchgeführt wurden, die sich mit der Ehre des deutschen Volkes und des deutschen Soldaten nicht vertrugen. Der Oberbefehlshaber Ost protestierte aufs schärfste gegen die Methoden des zivilen Generalgouverneurs. Es nutzte nichts. Da legte Generaloberst Blaskowitz Hitler eine vom O.B. des Heeres, Generaloberst v. Brauchitsch, gebilligte Denkschrift vor. In aller Schärfe führte er in ihr aus, daß Willkür das eroberte Land niemals befrieden könnte, sondern zwangsläufig zu Empörung und Aufruhr führen würde. Er behielt recht. Hitler nahm den Bericht zur Kenntnis.
Blaskowitz wurde bald nach Beginn der deutschen Offensive im Westen Oberbefehlshaber der dort neugebildeten 9. Armee, die zur Teilnahme an der 2. Phase des Westfeldzuges bestimmt war. Doch kurz nur währte seine Freude über diese soldatische Berufung. Denn am 30. Mai erfolgte die Versetzung zur Führerreserve. Würdig und gefaßt ertrug Generaloberst Blaskowitz diese ebenso unverdiente wie unerwartete Maßregelung. Die wenige Tage später ausgesprochene Ernennung zum Militärbefehlshaber Nordfrankreich konnte kein Ausgleich sein, zumal sie nach Eintritt des Waffenstillstandes wieder aufgehoben wurde.
3 ½ Jahre vergingen in verhältnismäßiger Ruhe in seinem Befehlsbereich zwischen der Bretagne und den Pyrenäen. Dann wurde Generaloberst Blaskowitz – fünf Wochen vor der Invasion – als Oberbefehlshaber einer Armeegruppe, zu der außer seiner 1. die 19. Armee gehörte, mit dem Kommando in Südfrankreich betraut. Als solchem erwuchs ihm die schwierige Aufgabe, seine Armeen an die elsaß-lothringische Grenze zurückzuführen. Er hat diese Aufgabe in vorbildlicher Weise gelöst und dafür Anerkennung gefunden, nicht allein durch Verleihung des Eichenlaubs zum Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes. Trotzdem wurde er erneut in die Führerreserve versetzt. Doch man holte ihn wieder: „Weihnachten zum zweiten Mal Oberbefehlshaber der Heeresgruppe G im Saargebiet und in der Rheinpfalz, bildeten seine Truppen die südliche Flanke des deutschen Westheeres. Ende Januar 1945 über nahm er als Oberbefehlshaber der Heeresgruppe H (Niederrhein, Holland) die Nordflanke der Westfront. Aber militärische Führungskunst, wie Generaloberst Blaskowitz sie beherrschte, wog schon lange nicht mehr, nicht allein infolge der erdrückenden feindlichen Überlegenheit auf allen Gebieten der Kriegführung. Als er Anfang April 1945 mit dem Oberbefehl in der „Festung Holland“ betraut wurde, erhielt er gleichzeitig die Schwerter zum Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes mit Eichenlaub. Holland war durch den englischen Vorstoß nach Ostfriesland aus der zusammenhängenden deutschen Westfront herausgebrochen worden und blieb nun bis Kriegsende allein auf sich gestellt. Der deutsche General und seine Truppen taten bis zuletzt – trotz aller Hoffnungslosigkeit – ihre schwere Pflicht.
Mit der Verhaftung des Generalobersten Blaskowitz als „Kriegsverbrecher“ im Sommer 1945 nahm die Tragik im Leben dieses untadeligen Soldaten ihren Fortgang. Er, der sich furchtlos als Fürsprecher der Menschlichkeit bekannt hatte und dafür Ungnade auf sich nahm, wurde jetzt von den Siegern der Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt. Auch diesen harten Schlag trug er im Gefühl seiner Unantastbarkeit mit Würde. Unfaßbar war diese Anklage auch seinen Freunden, die in ihm die „Verkörperung des echten deutschen Soldatentums im besten Sinne des Wortes, edel und ritterlich gegen Freund und Feind“ sahen.
Aber sie brachten den Generalobersten nicht mehr auf die Anklagebank. Am 4. Februar 1948 schied er aus dem Leben – ob freiwillig oder durch einen unglücklichen Sturz im Treppenhaus des Nürnberger Gefängnisses, das wird wohl nie ganz geklärt werden können. „Keiner hätte einem Mann wie Blaskowitz etwas anhaben können“, sagte sein Verteidiger.
Hanns Möller-Witten