Als Autor und Pastor war Eginald Schlattner lebenslang ein Opfer und Erforscher des Totalitarismus stalinistischer Prägung. Schon seine erste Erzählung „Gediegenes Erz“ (1956) war das literarische Ereignis seiner Generation. Schon hier versuchte Schlattner, die 800jährige siebenbürgisch-sächsische Geschichte in die neuen Bedingungen des Ostblocksozialismus zu retten
Über das ,Kulturhaus‘ – Metapher für die Behausung einer der ältesten deutschsprachigen demokratischen Gemeinschaften, der der evangelischen Volkskirche der Siebenbürger Sachsen mit ihren gewählten Nachbarschaften – wollte Eginald Schlattner eine Einbindung seiner Landsleute in die neuen Gegebenheiten erreichen.
Schlattners deutschsprachige Landsleute waren von dem Frontwechsel Rumäniens vom 23. August 1944 bis zum Jahr 1948 aller Bürgerrechte im Namen der Kollektivschuld beraubt. Erst dann erhielten die Rumäniendeutschen ihre Bürgerrechte zurück. Hervorgehoben werden muß aber, daß hauptsächlich Dank der siebenbürgisch-sächsischen evangelischen Kirche Rumäniens das deutschsprachliche Schulwesen – und dies sogar im Banat bei den überwiegend katholischen Banater Schwaben – erhalten bleiben konnte, so daß sehr wohl auf den Dörfern einiges an deutscher und siebenbürgisch-sächsischer wie banat-schwäbischer Kultur in die neuen Kulturhäuser eingebracht hätte werden können. Später geschah dies dann auch, wenn auch etwas bescheidener, als möglich dies gewesen wäre.
Schon für diese Prosa „Gediegenes Erz“ erhielt der Erzähler Eginald Schlattner des 4. Preis des vom „Neuen Weg“ ausgelobten Erzählerwettbewerbs 1956. Der damals einflußreichste rumäniendeutsche Germanist und Literaturkritiker, Harald Krasser, Inhaber des Germanistiklehrstuhls in Klausenburg/Cluj, nannte Schlattner in Anbetracht dieser Erzählung mit einem Schillerzitat „Unter Larven die einzig fühlende Brust“. Von den prämierten Texten war es der mutigste und zukunftsweisendste.
Als Student in Klausenburg setzte Schlattner als Leiter des deutschen Literaturkreises der Klausenburger Studenten sein Engagement für die Rettung der deutschsprachigen Kultur Rumäniens fort, bis die Securitate, die stalinistische Geheimpolizei Rumäniens, ihn 1959 zum Kronzeugen der Anklage im Schriftstellerprozeß gegen Andreas Birkner, Wolf von Aichelburg, Georg Scherg, Hans Bergel und Harald Sigmund präparierte.
Monatelang wurde Schlattner in psychiatrischen Anstalten der Securitate „behandelt“, zwei Jahre lang als Gefangener im Kronstädter/Brasover Securitategefängnis verhört, bis er schließlich das Verlangte unterschrieb.
Es gab die bekannten unmenschlichen stalinistischen Einschüchterungsstrafen: Andreas Birkner 25 Jahre, Wolf von Aichelburg 25 Jahre, Georg Schaerg 20 Jahre, Hans Bergel 15 Jahre und Harald Sigmund 10 Jahre Gefängnis.
Einige der Verurteilten wurden nach drei, andere nach vier Jahren „amnestiert“. Eginald Schlattner erhielt die beiden Jahre Haft, die er mit der Untersuchungshaft schon abgesessen hatte.
Von der Universität, wo er vor dem Examen als Wasserbauingenieur stand, wurde er religiert. Er mußte nun die schwerste Zeit seines Lebens als Geächteter und Erniedrigter zunächst als Tagelöhner fristen, bis er dann aus seiner verzweifelten Notlage einen Ausweg als Spätberufener fand.
Er begann 1973, 40jährig ein Zweitstudium der evangelischen Theologie in Hermannstadt/Sibiu. Nach dessen erfolgreichen Abschluß wurde er in die siebenbürgische Gemeinde Rothberg/Rosia als Pfarrer gewählt. Dort überwinterte er bis zum Umsturz mehr als ein Jahrzehnt weit vom Schuß, hinter Gottes Angesicht, wie man in Siebenbürgen sagt. Nach dem Umsturz fand er die Kraft, seine Erfahrungen als Kind in der Zwischenkriegszeit bis zum Frontwechsel Rumäniens 1944 im Roman „Der geköpfte Hahn“ mit einer unglaublichen Anschaulichkeit von Land und Leuten aus dieser ehemaligen K.u.K.-Provinz Europas zu schildern.
Dem renommierten österreichischen Zsolnay Verlag (Wien) gebührt das Verdienst, diesen im besten Sinne des Wortes „Alt-Österreicher“ Schlattner entdeckt und veröffentlicht zu haben.
Seit der Erstauflage des „geköpften Hahnes“ 1998 sind inzwischen drei weitere gefolgt, so daß dieser Roman zur Zeit das erfolgreichste rumäniendeutsche Literaturwerk in Ost und West gleichermaßen ist.
Im Jahr 2000 folgte eine Art Fortsetzung, „Rote Handschuhe“, die die weitere Entwicklung des Haupthelden behandelt, der große Ähnlichkeit mit dem Autor aufweist, ohne aber ein absolutes alter ego zu sein. Das Buch ist ein Roman und kein Tatsachenbericht. Es ist in der rumäniendeutschen Nachkriegsliteratur das umstrittendste literarische Werk überhaupt, da Eginald Schlattner hier auch seine Präparierung durch die Securitate als Kronzeuge der Anklage wie auch seinen Verrat an den fünf Autoren literarisch gestaltet.
Obwohl bekanntlich im Stalinismus die Urteile in Schauprozessen von vornherein feststanden und in die Zeugen der Anklage das hineingefoltert wurde, was schon vorher beschlossene Sache war, tun sich hinter dieser unmenschlichen Bürokratie Abgründe von menschlichem Leid und Elend auf, die wahrscheinlich letztlich in ihrer Tiefendimension doch unbeschreibbar bleiben.
Jedenfalls ist Schlattners „Rote Handschuhe“ ein mutiger Versuch, sich im Eingeständnis der eigenen Schwäche vom schrecklichen Schicksal des eigenen Lebens und dem der Landsleute nicht endgültig niederdrücken zu lassen, sondern sich ihm zu stellen. Als Pfarrer in Siebenbürgen, der sich vorgenommen hat, in den „Sielen zu sterben“, d.h. als Pfarrer zu wirken bis allein der Tod ihm dies verwehren kann, leistet Eginald Schlattner zudem tätige Reue für seine schuldlos schuldige Einbeziehung in den Terror des stalinistischen Totalitarismus, indem er als Gefangenenseelsorger, als Beauftragter der evangelischen Kirche Rumäniens für die Gefängnisseelsorge wirkt. Diese bezieht Eginald Schlattner aber nicht nur auf die deutschsprachigen Siebenbürger sondern auch auf die rumänischen und ungarischen – denn, so Schlattner, Gott habe ihn, wenn auch auf Umwegen, als Pfarrer in Siebenbürgen berufen, für alle, die ihn brauchen.
Bild: Privatarchiv des Autors
Ingmar Brantsch