Am Gründonnerstag, dem 1. April 2010, hat Professor Dr. Wilfried Schlau in Friedrichsdorf bei Bad Homburg vor der Höhe den Lauf seines Lebens vollendet. Am 27. April 1917 in Welikij-Ustjuk in Russland geboren, war er als Sohn eines Schuldirektors in der kurländischen Provinzhauptstadt Mitau aufgewachsen. Studiert hat er in Wien und Stuttgart-Hohenheim und leistete fünf Jahre Kriegsdienst.
Von 1968 bis 1970 war er hauptamtlicher Geschäftsführer des Ostdeutschen Kulturrates. In Friedrichsdorf im Taunus hat er eine Heimvolkshochschule aufgebaut und 18 Jahre geleitet, durch die er viele Menschen an die politischen und kulturellen Grundlagen unseres Staatswesens herangeführt hat.
Der habilitierte Soziologe wurde nach einem an der Stabshochschule der Bundeswehr in Hamburg verbrachten Jahr als Dozent Professor an der Erziehungswissenschaftlichen Hochschule des Landes Rheinland-Pfalz in Worms und schließlich 1980 bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1985 Soziologie-Professor an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz. Neben seiner eigentlichen akademischen Tätigkeit baute er eine Einrichtung zur Erlernung der polnischen Sprache durch deutsche Studenten und junge Wissenschaftler, das Collegium Polonicum, auf, das als Mainzer Modell geradezu Vorbildcharakter hatte. Es war ihm klar, dass die Zusammenarbeit zwischen Deutschen und Polen auf dem Felde der Wissenschaften nur sinnvoll möglich sein würde, wenn auch auf deutscher Seite gründliche Kenntnisse in der Sprache des Nachbarlandes eine gewisse Verbreitung haben. Er legte dabei nicht nur auf Sprachkenntnisse, sondern auch auf kulturgeschichtliches Wissen Wert. Diesem Aspekt dienten besonders seine beliebten Exkursionen nach Krakau im Rahmen des Collegium Polonicum.
Es kann hier nicht vollständig angeführt werden, in welchen Organisationen zur Pflege des deutschen Kulturerbes im Osten Schlau maßgeblich mitgewirkt hat. Der Deutschbalte war lange Zeit in Lüneburg Vorsitzender des Stiftungsrates der Karl-Ernst-von-Baer-Stiftung und Vorstandsmitglied der Carl-Schirren-Gesellschaft. Im Ostdeutschen Kulturrat hat Schlau sich große Verdienste erworben – keineswegs nur in den beiden Jahren seiner hauptamtlichen Geschäftsführung. Seit 1980 gehörte er dem Kuratorium, zeitweilig dem Stiftungsrat und von 1985 bis tief in die 1990er Jahre dem Vorstand der Stiftung Ostdeutscher Kulturrat an. Er ist der Vater unserer Studienbuchreihe, die inzwischen vollständig über alle Vertreibungsgebiete in zwölf Bänden vorliegt. Seine ausgebreiteten historischen und soziologischen Kenntnisse waren dafür eine ideale Voraussetzung. Den Band Die Deutschbalten hat er selbst verfasst. Auch die drei Bände zu Russland, Polen und Südosteuropa unter dem Titel Tausend Jahre Nachbarschaft waren von ihm mitinspiriert. Als Vorsitzender dee Sektion l (Bildung und Wissenschaft) der Stiftung Ostdeutscher Kulturrat war er viele Jahre hindurch Leiter der Jury des Wissenschaftspreises.
Damit ist wenigstens angedeutet, was die Stiftung Ostdeutscher Kulturrat und überhaupt die gesamte Arbeit gemäß § 96 des Bundesvertriebenen- und -flüchtlingsgesetzes dem Verstorbenen zu verdanken hat. Unvergessen ist mir ein richtungweisender Vortrag von ihm aus den 1980er Jahren, in dem er vorgerechnet hat, was zur Bewahrung des deutschen Kulturerbes des Ostens aufgewendet werden könnte, wenn auch nur ein Prozent des von den Vertriebenen in der Bundesrepublik Deutschland erarbeiteten Steueraufkommens für diese wichtige staatspolitische Aufgabe zur Verfügung stünde. Über solche durchaus angebrachten Hinweise ist die deutsche Öffentlichkeit geflissentlich hinweggegangen. Es war und ist ja auch heute Mode, die Bedeutung der Arbeit nach § 96 BVFG möglichst gering anzusetzen.
Persönlich kann ich nur sagen, dass die Zusammenarbeit mit dem Verstorbenen namentlich im Vorstand der Stiftung Ostdeutscher Kulturrat stets durch Sachlichkeit und Kollegialität geprägt war. Es war immer eine Freude, mit Herrn Schlau zusammenzuarbeiten. In großer Dankbarkeit und aufrichtiger Traurigkeit nehme ich Abschied von ihm.
Bild: Stiftung Deutsche Kultur im östlichen Europa – OKR.
Eberhard Günter Schulz