Dem illustrierten Faltblatt zur Ausstellung Herbert Volwahsen im Bielefelder Kunststudio am Jahnplatz (Winter 1984) sind folgende Sätze aus einem Brief des Berliner Bildhauers Gerhard Marcks an seinen Kollegen aus Schlesien vorangestellt: „… Sie haben Darstellung und Ausdruck mit dem Architektonischen, auch in etlichen kleinen Arbeiten, überzeugend vereint, d.h. Sie sind unserem Grundproblem nachgegangen, ohne Kompromisse, manchmal bis an die Grenze des Ausdrückbaren. Unser Themenkreis ist ja relativ beschränkt; Sie haben ihm unverwechselbare Nuancen entlockt, sind immer lebendig geblieben. Das ist unverlierbar. Seien Sie beglückwünscht und bedankt!“
Marcks war damals, als er dies schrieb (22.3.1977) 88 Jahre alt. Im Œuvre beider Künstler steht die menschliche Gestalt im Mittelpunkt – in Monumenten unter freiem Himmel, als Kunst am Bau und im weiten Gebiet der Kleinplastik. Beide sind – grob betrachtet – dem gleichen klassisch-modernen Stil zuzurechnen, doch jeder besitzt seine ganz persönliche Handschrift. Herbert Volwahsen gehört zu jenen Menschen aus dem deutschen Osten, die nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches an ein gemeinsames Wirken der deutschen Künstler in allen vier Besatzungszonen geglaubt hatten. 1946 organisierte er zusammen mit Karl Hofer, Joseph Hegenbarth, Max Pechstein und Will Grohmann die „Erste Deutsche Kunstausstellung“ in Dresden, in der u.a. bisher verfemte Künstler gezeigt werden konnten. Von 1946 bis 1948 entstand sein monumentales Kalksteinrelief „Passion“ für Halle an der Saale: Der künstlerische Niederschlag seiner Erlebnisse des vernichtenden Bombenangriffs auf Dresden 1945 und seiner Begegnung mit ausgemergelten KZ-Häftlingen, eine ergreifende Darstellung in einem realistisch-expressionistischen Stil – sie reiht sich würdig in die Gestaltungen des „Totentanzes“ in der deutschen Kunstgeschichte ein.
1953 übersiedelt Volwahsen in die Bundesrepublik, weil er sich entschied – wie Dr. Ernst Schremmer schrieb –„dorthin zu gehen, wo eine Reglementierung der künstlerischen Tätigkeit nicht zu befürchten war“. Ein Jahr davor hatte er den „Kunstpreis der Stadt Köln“ erhalten. Bald gesellten sich weitere Erfolge hinzu: Ausstellungen (Haus der Kunst München, Deutscher Künstlerbund, Plastik-Biennale Antwerpen, Quadriennale Nationale d’Arte in Rom und Mailand, Ausstellungsbeteiligungen in Peru, Columbien, Ägypten, Belgien etc.), Ankäufe durch Museen (Kunsthalle Mannheim, Wallraf-Richartz-Museum Köln, Ostdeutsche Galerie Regensburg, Kunsthalle Bielefeld u.a.). Von 1956 lehrte er an der Werkkunstschule Bielefeld, danach als Professor bis zu seiner Emeritierung (1972) an der Dortmunder Fachhochschule.
Volwahsens künstlerische Wurzeln reichen in die Zeit vor der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten in die alte Heimat zurück. Nach dem Besuch eines Breslauer Gymnasiums erlernte er das Handwerk des Holzschnitzers und studierte anschließend an der Kunstakademie Dresden (Rudolf Born, Karl Albiker). Diese Stadt war damals auf dem Gebiet des modernen Tanzes führend. Mary Wigman leitete eine Schule für tänzerische Gymnastik und künstlerischen Tanz, ihre Schülerin Gret Palucca gründete eine eigene Schule, 1925, als Volwahsen nach Dresden kam; bald gehörte der junge Kunststudent zum Freundeskreis dieser Bahnbrecher des modernen Tanzes. Hierzu der Bildhauer: „In ihrer Tanzschule wurde mir erst das Gesetz der körperlichen Bewegung in vollem Ausmaße bewußt, die ungehemmt aus dem Zentrum fließt und darum einen seelischen Vorgang auszudrücken vermag. In diesem Sinne sollen das Bewegungsmotiv und der formale Ablauf einer Plastik kongruent sein, die innere Spannung mit dem Erscheinungsbild identisch werden.“ Genannt seien besonders seine Bronzen „Schlittschuhläufer“, „Balance“, „Fußwaschende“, „Aria“, auch der stark abstrahierte Verkündigungsengel an der Mauer der Evangeliumskirche zu Gütersloh und der Entwurf zur Freiplastik St. Michael.
In Prof. Herbert Volwahlsens Werk vereinen sich seine ostdeutsche Herkunft, in seiner alten Heimat empfangene Lehre und Eindrücke mit den Erfahrungen des reifen Künstlers in Westdeutschland. So mag die Verleihung des Kulturpreises Schlesien 1979durch den Niedersächsischen Minister für Bundesangelegenheiten Wilfried Hasselmann an den Künstler nicht zuletzt auch eine symbolische Bedeutung haben.