Während ihre ein Jahr ältere Dichter-Schwester Hedwig noch in Schweden geboren war, kam Ingrid Wagner-Andersson am 23. November 1905 in Allenstein als drittes Kind von Ernst und Hedwig Andersson zur Welt.
Die Anderssons saßen bald 400 Jahre auf ihrem Familiengut in Ljungbyhed in Skåne, der landwirtschaftlich reichsten, südlichsten Provinz in Schweden, doch waren sie nicht nur Landwirte; ihre Chronik verzeichnet auch einen Superintendenten und Professor.
Unter dem Einfluß der Jesuiten im nicht weit entfernten Kopenhagen konvertierte Ernst Andersson im Alter von 20 Jahren zum katholischen Glauben. Mutter Hedwig, geb. Herrmann und Gutsbesitzerstochter, stammte aus Grünhof(f), Kr. Rössel, also dem katholischen Ermland. Sie war musikalisch überdurchschnittlich begabt. Offensichtlich konnte sie in dem vorwiegend lutherisch geprägten Schweden nicht heimisch werden, so daß ihr Ehemann kurz vor der Geburt ihrer Tochter Ingrid den Hof verpachtete und mit der jungen Familie nach Allenstein verzog, wo er ein – damals noch am südwestlichen Stadtrand gelegenes – großes Grundstück mit einem ehemaligen Gutshaus darauf erwarb. Das geräumige Haus barg schließlich acht Kinder, fünf Mädchen und drei Jungen.
Schon recht früh zeigten sich bei der munteren, aufgeweckten Ingrid die von der Mutter geerbten musischen Anlagen, hier als ausgeprägtes Zeichentalent, das schon in der Schule sichtbar und von den Eltern nachhaltig unterstützt wurde.
Im Lyzeum, der Allensteiner Luisenschule, war Inga – wie sie nach schwedischer Art zu Hause genannt wurde – schnell mit ihren Zeichnungen bekannt geworden. Hier erhielt sie auch durch die dortige Zeichenlehrerin Frieda Stromberg, eine in der Region bereits bekannte Künstlerin, privaten Malunterricht, der nach ihrem Umzug nach Berlin 1927 durch den akademischen Kunstmaler und Zeichenlehrer der Koppernikus-Schule, H. B. Nern, fortgesetzt wurde. Mit bereits elf Jahren begann so ihr Schaffen. 1931 ging sie zur Königsberger Kunstakademie. Dort leitete seit zwei Jahren Prof. Alfred Partikel, Mitglied der Preußischen Akademie der Künste, die Schule für Landschaftsmalerei. Ingrid Andersson wurde 1936 seine Meisterschülerin; auch Prof. Fritz Burmann unterrichtete sie, der ab 1936 als Professor an der Hochschule für bildende Kunst in Charlottenburg wirkte.
1932 ging Ingrid Adersson zu einem Werklehrerseminar in der Reichshauptstadt und legte ihr Examen ab mit dem Ziel: Zeichenlehrerin werden. Nach ihrer Rückkehr nach Königsberg (1933) gab sie jedoch dieses Vorhaben zugunsten des freien Künstlerberufs auf. Seit 1934 war sie dann auf jeder Königsberger Kunstausstellung vertreten, die oft weiter „ins Reich“, nach Berlin, Hamburg, Düsseldorf, Wiesbaden und Mannheim ging, so daß ihr Name bald in den großen Zeitungen genannt wurde.
„Das Mädchen mit dem schwarzen Tuch“ erschien auf einer Sonderseite der Weihnachtsnummer 1934 der „Königsberger Allgemeinen Zeitung“, deren Rezension von einer statischen, abgeklärten und zum mindesten in der Form als streng und gemessen erscheinenden Kunst sprach. Das traf seit dieser frühen Phase bis zum Ende ihres Schaffens zu.
Der Königsberger Regierungspräsident von Keudell erwarb immer wieder ihre Bilder, um sie seinen Gästen zu schenken. Der erste große Auftrag, zwei Wände im „Haus Allenstein“ des Olympischen Dorfes in Berlin zu gestalten, fanden die besondere Anerkennung ihres Lehrers, Prof. Burmann, was sie mit Stolz erfüllte. Zwei Jahre später sah man ihre Arbeiten im „Gemeinschaftswerk deutscher bildenden Künstler“ in Bad Kreuznach. Es folgten Reisen nach Jugoslawien, Venedig, in die Alpen, die bei ihr bleibende Eindrücke hinterließen. Ebenso unvergeßlich war die große Ausstellung „Ostpreußenkunst 1937“ in der Hamburger Kunsthalle, zusammen mit Ruth Faltin, dem Herzogswalder Karl Kunz und ihrem Lehrer Partikel, in der sie von der Presse besonders gelobt wurde. Es folgten weitere Ausstellungen u. a. in Tilsit. Mehrere Wochen Aufenthalt in Nidden im Herbst 1940 ergaben mit den dort entstandenen Aquarellen eine künstlerische Steigerung.
1941 heiratete Ingrid Andersson einen Lehrer aus Schwaben und verließ die Königsberger Akademie. Dort wurde eine Gesamtausstellung ihres Schaffens veranstaltet, wobei elf Bilder verkauft wurden, die in Ostpreußen zurückblieben. Die Mannheimer Kunsthalle erwarb zwei Aquarelle für ihre permanente Ausstellung. 1942 zog die Künstlerin nach Süddeutschland, wo sie seit 1944 endgültig ihr Domizil, seit 1949 in Hofstetten, aufschlug.
Der Krieg mit allen Ungewißheiten, der Sorge um die Ihren in Ostpreußen, lähmte zunächst ihre Schaffensfreude, doch 1947 war sie dann Gründungsmitglied der „Arbeitsgemeinschaft Mittelrhein“ unter der Leitung von Prof. Thomaelen, dem Bildhauer, Kunstwissenschaftler und Professor an der Berliner Nationalgalerie. Im Jahre 1948 erhielt sie ein Stipendium für eine Studienreise nach Schweden, wo sie ausstellte. Weitere Ausstellungen folgten in Bad Kreuznach, Mainz, Kichberg, Verkäufe an Museen, nach Frankreich, Schweden, in die USA, Würdigungen ihres Schaffens im Südwestfunk und in der Presse, wo es u. a. hieß: „Bei Ingrid Wagner-Andersson zeigt sich die Ruhe als Grundzug einer klaren Sicht und einer abgeklärten Haltung, die in der Weite Südschwedens, im Bleigrau des Himmels und des Meeres ihrer Landschaften und in den Aquarellen neben Zeichnungen und gekonnt-dekorativen Blumenbildern ihren künstlerischen Wert finden“.
Bei der Sichtung ihres Gesamtwerkes 1970 konnte man an Hand der Skizzenbücher festsstellen, daß ihre Malerei etwas Fernöstliches hatte. Die Anfangsskizze hatte realistische Details, in den folgenden wurde immer mehr weggelassen, bis nur noch Konturen blieben, die schließlich auch verschwammen. Besonders zeigte sich dies in den Aktstudien, die in ihrer Endphase „hingehauchte Schönheit“ waren (Hermanowski). So boten diese Blätter mit Studien, Skizzen und Ausführung einen einmaligen Einblick in das Werden ihres Schaffens.
Obwohl über drei Jahrzehnte die Kunstkritik sie hundertfach bestätigt hatte, war immer der Zweifel in ihrer Seele geblieben, ob ihr Schaffen wirkliche, echte Kunst sei. Sie war bis in ihre letzten Jahre eine Suchende, die selten mit ihrem Werk zufrieden war.
Ingrid Wagner-Andersson ist oft umhergereist. Sie hat in Schweden, Norwegen, Österreich, Tirol, Jugoslawien, Italien, Oberbayern, in ihrer neuen Heimat, dem Hunsrück, an der Nordsee und später, als Ersatz für Nidden, auf Sylt gemalt. Ihr Werk blieb von ostpreußischen Motiven durchzogen. Sie holte ihre alten Skizzenbücher, in denen sie ihr Ostpreußen festgehalten hatte, immer wieder hervor, um die eine oder andere Skizze auszuführen. So war das verlorene und zu ihrer Lebenszeit unerreichbare Heimatland Ostpreußen für sie zu einem geistigen Besitzreservoir geworden, aus dem sie immer wieder zu schöpfen wußte, wie ein Kritiker es einmal ausdrückte.
Sie starb am 10. Juli 1970, erlöst von einem qualvollen Krebsleiden. Ihr schlichtes Waldgrab mit einem Holzkreuz des Bildhauers Steiner liegt an der stillen Mauer des Dorffriedhofs von Hochstetten. Neunundzwanzig ihrer Bilder aus dem Nachlaß kaufte das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales in Nordrhein-Westfalen anläßlich einer Gedenkausstellung in Gelsenkirchen an und übergab sie der Ostdeutschen Galerie Regensburg als Leihgabe.
Lit.: Hedwig Bienkowski-Andersson, Unvergeßliches Jugendland – Einnerungen an eine Stadt, in: Ruth Maria Wagner (Hrsg.), Im Garten unserer Jugend, 1. Aufl., Hamburg 1966. – Georg Hermanowski, Ingrid Wagner-Andersson – Ein Lebenswerk, in: Paul Kewitsch (Hrsg.), Bausteine zur Kultur – Allensteiner Profile, Sonderdruck des Allensteiner Heimatbriefs, o.O. (Gelsenkirchen) 1975. – Ders., zu Wagner-Andersson, Ingrid, in: Kurt Forstreuter, Fritz Gause (Hrsg.), Altpreußische Biographie, Band III, Marburg/Lahn 1975. – Ingeborg Kelch-Nolde, zu Burmann, Fritz, wie oben.