Noch in Goethes Faust, genauer gesagt in der klassischen Walpurgisnacht des zweiten Teiles des Dramas, finden sich Spuren einer Auseinandersetzung, die um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert weit über den Kreis der Fachwelt hinaus Beachtung gefunden hat. Es handelt sich um den Disput um die Entstehung der Gebirge auf der Erde, der zwischen „Neptunisten“ und „Vulkanisten“ mit nahezu unerbittlicher Härte ausgetragen wurde. Erklärten diese Gebirge als Folge von Erstarrungen aus dem Erdinneren aufgebrochener und ausgeschleuderter Gesteinsmassen, gingen jene von schrittweisen Ablagerungen eines Urmeeres aus. Einer der Hauptprotagonisten dieses Streites, der Wortführer der „Neptunisten“ und somit das Vorbild des Goethe’schen Thales, war der Geologe Abraham Gottlob Werner.
Geboren wurde er als Sohn des gräflich Solms’schen Hütteninspektors Abraham David Werner in der östlichen Oberlausitz. Nach erster Unterweisung seitens seines Vaters besuchte der Knabe ab 1759 die Waisenhaus-Schule in Bunzlau, dem Geburtsort seiner Mutter, bevor er 1764 zur Unterstützung seines Vaters eine Anstellung als Hüttenschreiber im Eisenwerk zu Wehrau erhielt. Bereits früh in die Mineralienkunde eingewiesen, weckte ein Besuch im sächsischen Freiberg 1767 in Werner den Wunsch, sich eingehender mit der Materie zu beschäftigen. So bezog er zwei Jahre später die Freiberger Bergakademie und vertiefte und vervollkommnete seine dort erworbenen Kenntnisse 1771 bis 1774 auf der Universität zu Leipzig. Während der Vorbereitungen zu einer größeren Studienreise erreichte ihn 1775 ein Ruf als Dozent und Inspektor an ebenjene Bergakademie, den er annahm und der ihn für den Rest seines Lebens in der kursächsischen Bergbaumetropole verbleiben ließ.
Werner reformierte den dortigen Unterricht, indem er den bislang als Einheit aufgefaßten Stoff in einzelne Bereiche gliederte und jedem ein zwar auf den anderen bezogenes, aber durchaus eigenständiges Profil zu geben bestrebt war. Aufbauend auf der „Oryctognosie“, der Lehre von den als einfachen, sichtbar nicht gemischten Mineralien definierten Fossilien, gelangte Werner in einer Differenzierung des Systems von Axel von Cronstedt zu einer Verfeinerung der Klassifizierung der Mineralien durch deren Unterteilung aufgrund des Mischverhältnisses in Gattungen und Arten. Neben der Farbe und der Beständigkeit der Kristallgrundformen legte er bei der Bestimmung nach äußeren Kriterien besonderen Wert auf das spezifische Gewicht der einzelnen Stoffe.
Hatte Werner in seiner ErstlingsschriftAbhandlungen über die äußeren Kennzeichen der Fossilien von 1774, der er wohl auch seine Dozentur in Freiberg verdankte, dazu den Grund gelegt und die Prinzipien seines Ordnungssystems erläutert, erschien eine zusammenfassende Darstellung des „Werner’schen Mineraliensystems“ erst nach seinem Tod im Jahre 1818, redigiert von seinem Schüler Breithaupt.
Über die Inhalte der von Werner neu begründeten „Geognosie“ als der Lehre von den Gebirgsarten als Mineraliengemengen liegt dagegen kein solch komplexes Werk vor. Vielmehr geben einzelne, zumeist im Zuge des Disputes mit den „Vulkanisten“ und deren Haupt Johann Carl Wilhelm Voigt ab 1788 entstandene Schriften hierüber Auskunft. Zu nennen wären etwa die Kurze Klassifikation und Beschreibung der verschiedenenGebirgsarten (1786), Bekanntmachung einer am Scheibenberger Hügel über die Entstehungdes Basaltes gemachten Entdeckung (1788) oder sein Versuch einer Erklärung der Entstehungder Vulkanen durch die Entzündung mächtiger Steinkohleschichten, als einBeytrag zu der Naturgeschichte des Basalts aus dem Jahre 1789.
Ausgehend von der definitorischen Unterscheidung zwischen Stein- und Erdarten erklärt Werner die Bildung der Gebirge auf der Erde als durch schrittweise Ablagerungen eines einst den gesamten Planeten bedeckenden Urmeeres hervorgerufen. Die angenommenen insgesamt sechs Phasen lassen sich anhand der unterschiedlichen Gesteinsschichten erkennen, deren Konsistenz Rückschlüsse auf die Art und die zeitliche Dauer von deren Genese zuläßt. Werner entwickelt ein in sich geschlossenes System jener unter dem Namen „Neptunismus“ zusammen gefaßten, bereits in der Antike bekannten geologischen Lehre und verabsolutiert deren Grundannahmen insoweit merklich, als er alle, auch die eindeutig vulkanischen Gesteinsarten als grundsätzlich nicht aus dem Erdinneren im Sinne der „Vulkanisten“ stammend auffaßt.
Dabei geht er von der Existenz eines zu Beginn ruhigen, unbelebten Urmeeres aus, in dem sich in einer ersten Phase durch chemische, kristalline Prozesse die von ihm sogenannten „uranfänglichen Gebirgsarten“ gebildet hätten. In einer anschließenden Übergangsphase, die durch leichte Bewegungen der Wassermassen und das Auftreten erster Lebewesen gekennzeichnet gewesen sei, sei es sodann zur Entstehung der „Übergangsgebirge“ gekommen, die von einer Periode mit heftigen Stürmen gefolgt worden sei. Diese hätten durch starke Bewegungen des Wassers nicht nur zu gänzlich neuen chemischen Reaktionen geführt, sondern auch zur stellenweisen Zersetzung bereits vorhandener Gesteine und könnten im sogenannten „Flötzgebirge“ nachgewiesen werden. In einer letzten Stufe habe sich dann das Urmeer auf deutlich höherem Niveau wieder beruhigt und das „Trappgebirge“ hervorgebracht.
Das Urmeer zog sich sodann aber, so die Annahme, nicht gänzlich zurück, es sei in Resten erhalten geblieben und in einer fünften, bis in die Gegenwart andauernden Phase für die Bildung der „aufgeschwemmten Gebirge“ verantwortlich. Deren Entstehung wie auch die der vulkanischen Gebirgsarten, Folge unterirdischer Steinkohlenbrände, könnten theoretisch noch heute beobachtet werden und zeigten in hohem Maße lokale Differenzierungen.
Gerade die zuletzt angeführte Deutung der Herkunft beispielsweise des Lavagesteins stieß auf dezidierte Ablehnung bei den „Vulkanisten“. Erschien diesen die noch immer auf der Erde festzustellende vulkanische Tätigkeit doch als Nachweis des grundsätzlich vulkanischen, also im Erdinneren zu verortenden Ursprungs aller Gesteinsarten. Auch geriet die Deutung der „Neptunisten“ zusehends in Widerspruch zu den Ergebnissen empirischer geologischer Forschung. Insbesondere mit Voigt und seinen Schülern entspann sich in den 1790er Jahren eine heftige Kontroverse, die erst Mitte des 19. Jahrhunderts allmählich auslief.
Weniger umstritten waren hingegen Werners Ansichten im Bereich der Bergkunde im engeren Sinne. Hier gab er sich insbesondere in seiner 1791 veröffentlichten Schrift Neue Theorie von der Entstehung der Gänge, mit Anwendung auf den Bergbau besonders imfreibergischen als Anhänger der „Deszen sionstheorie“ zu erkennen, die besagt, jene Erscheinungenrührten von der Füllung im Berg entstandener Spalten durch andere Mineralien als die des umgebenden Gebirges von oben her.
Die Tätigkeit Werners blieb indes nicht auf eine bloß lehrende beschränkt, obwohl er hierbei, sowohl was die Art als auch die Umsetzung seines Unterrichtes anbelangte, einen mindestens ebenso großen Ruhm erlangte wie durch seine zahlreichen Publikationen. Zu seinen Schülern in Freiberg zählten Alexander von Humboldt, Jean d’Aubuisson oder der Dichter Friedrich von Hardenberg (Novalis), in dessen Werk sich ja vielerlei Motive aus dem Bereich des Bergwesens finden lassen. Nicht zuletzt Goethe wurde maßgeblich von Werners Theorien in seiner eigenen Naturanschauung beeinflußt.
Neben Lehre und Forschung oblagen Werner auch eher administrative und koordinierende Aufgaben. So war er 1784 bis 1797 kursächsischer Edelstein-Direktor, ab 1792 zunächst als Bergkommissionsrat, dann (ab 1797) als Bergrat im Oberbergamt Freiberg Mitverantwortlicher für das sächsische Bergwesen in seiner Gesamtheit. 1791 bis 1811 leitete er die groß angelegte geognostische Landesuntersuchung Sachsens, deren Ziel die Lokalisierung verwertbarer Bodenschätze im Territorium war.
Als Mitglied von insgesamt 22 Akademien, darunter der in Berlin, Wien, Paris, London, Stockholm und St. Petersburg unternahm Werner neben mehreren Forschungsreisen vorwiegend im mitteldeutschen Raum auch zwei große wissenschaftliche Studienreisen nach Paris (1802) und Wien (1809), die dem Austausch von Ergebnissen und der Verbreitung seiner Ideen dienten. Ansonsten blieb er aber in seiner sächsischen Heimat verwurzelt und spielte nie mit dem Gedanken, andernorts eine vielleicht renommiertere Stellung anzustreben.
Stets von schwächlicher Konstitution und schwankender Gesundheit, unterzog sich Werner jährlich einem Kuraufenthalt in Karlsbad und sah sich aufgrund anhaltenden schweren Unwohlseins 1817 gezwungen, sich zum Zwecke eingehender ärztlicher Untersuchung nach Dresden zu begeben, wo er starb. Die sterblichen Überreste des lebenslang unverheiratet gebliebenen Gelehrten wurden in einem feierlichen Zug nach Freiberg überführt und im dortigen Dom beigesetzt.
Obgleich Werners Theorien als fast gänzlich überholt gelten dürfen, ist es ihm dennoch als Verdienst zuzuschreiben, den einzelnen Teilgebieten der Geologie durch klare definitorische Abgrenzung und eine Systematisierung ihrer Inhalte eigenständiges Gepräge verschafft zu haben. Als einer der berühmtesten und angesehensten Naturforscher im Deutschland seiner Zeit überdauert der mit der von ihm entwickelten Methodik und der Erinnerung an seine Art der Vermittlung von Erkenntnissen seine Lehre.
Lit.: Bingel, Heinrich: Abraham Gottlob Werner und seine Theorie der Gebirgsbildung, Diss. Marburg 1934. – Fischer, Walther: Gesteins- und Lagerstättenbildung im Wandel der wissenschftlichen Anschauung, Stuttgart 1961. – Gümbel, Werner von: Abraham Gottlob Werner, in: Historische Kommission bei der Königlichen Akademie der Wissenschaften (Hg.): Allgemeine Deutsche Biographie, 42. Band, Leipzig 1897, S. 33-39. – Guntau, Martin: Abraham Gottlob Werner (= Biographien hervorragender Naturwissenschaftler, Techniker und Mediziner, Band 75), Leipzig 1984. – Ospovat, Alexander: Werner, Abraham Gottlob, in: Gillispie, Charles Coulston (Hg.): Dictionary of Scientific Biography, Volume XIV, New York 1976, S.256-264.
Bild: Guntau, Martin: Abraham Gottlob Werner (= Biographien hervorragender Naturwissenschaftler, Techniker und Mediziner, Band 75), Leipzig 1984, Abbildung 1.