Denkmalpflege und Architekturvollendung
in der Romantik
Die Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen, Bonn, hat am 26. und 27. Oktober 2017 im Kölner Maternushaus gemeinsam mit dem Deutsch-Polnischen Forschungsinstitut am Collegium Polonicum, Słubice, eine kunsthistorische Fachtagung zum Thema „Denkmalpflege und Architekturvollendung in der Romantik“ abgehalten. Die wissenschaftliche Leitung der Veranstaltung hat Prof. Dr. Christofer Herrmann übernommen, der an der Universität Danzig/Gdańsk lehrt und derzeit an der TU Berlin tätig ist.
Im Mittelpunkt der Fachtagung standen mit der Marienburg an der Nogat und mit dem Kölner Dom am Rhein zwei gewaltige mittelalterliche Denkmäler. Aus Anlass des 200-jährigen Jubiläums des Restaurierungsbeginns in Marienburg (1817) und des 175-jährigen Jubiläums des Beginns des Weiterbaus des Kölner Doms (1842) wurden Themen rund um die Wiederherstellung beziehungsweise um die Vollendung dieser Gebäude im Geist der Romantik aus aktueller Forschungsperspektive vorgestellt.
Die Wiederherstellung der Marienburg in Westpreußen markiert den Beginn der Denkmalpflege in Preußen beziehungsweise in Deutschland. Sie bahnte den Weg für die 25 Jahre später in Angriff genommene Fertigstellung des Kölner Domes als eines Symbols staatlicher und kultureller Einheit Deutschlands.
Die beiden Bauten stehen für eine wichtige Zeitenwende in der Geschichte der Preußen und der Deutschen. Die Fachtagung befasste sich u.a. mit der Rolle und dem Schicksal der beiden Denkmäler in der Zeit um 1800 und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In den Referaten und Diskussionsrunden ging es u.a. um die Anerkennung und Würdigung der Gotik als eine nachahmenswerte Kunstepoche und um die Entstehung der Idee der Denkmalpflege und der rekonstruierenden Restaurierung.
Mit Blick über den Tellerrand hinaus gab es bei der Veranstaltung auch Informationen zu weiteren wichtigen Restaurierungs- und Vollendungsprojekten, nämlich jenen des Magdeburger Doms und des Prager Doms.
Der Zeit voraus
In seinem Einführungsvortrag zitierte Prof. Herrmann zwei Gelehrte, die als „Kinder der Aufklärung“ gelten und die sich dennoch im Innersten von der Magie der bis dahin eher verachteten gotischen Architektur berührt zeigten. Georg Forster und Friedrich Gilly bewunderten die Marienburg und den Kölner Dom. Sie schätzten nicht nur die Leistungen der mittelalterlichen Baumeister, sie äußerten auch den Wunsch, dass diese Zeugen der Vergangenheit wieder hergestellt beziehungsweise vollendet werden sollen. Damit waren sie ihrer Zeit weit voraus.
Georg Forster (1754-1794) schrieb 1790 bei seiner Reise entlang des Niederrheins: „So oft ich Köln besuche, gehe ich immer wieder in diesen herrlichen Tempel, um die Schauer des Erhabenen zu fühlen. … Es ist zu bedauern, dass ein so prächtiges Gebäude unvollendet bleiben muss.“
Friedrich Gilly (1772-1800), der 1794 die Marienburg besucht und in Skizzen festgehalten hatte, verfasste einen Kommentar zu seinen Zeichnungen: „Das Schloss zur Marienburg gewährt dem Beobachter ein vielfaches Interesse. Es ist so merkwürdig von Seiten seiner Architektur, seiner kolossalen kühlen Struktur und eines wirklich großen einfachen Stils dieser Art, als es ein wichtiges Denkmal für den Antiquar und für die vaterländische Begebenheit ist.“
Thematische Sektionen
Die zweitägige Fachtagung bot den Teilnehmern Vorträge und Diskussionsrunden in drei Sektionen, die von Prof. Dr. Christofer Herrmann und Dr. Ernst Gierlich moderiert wurden. Im Rahmen des Themenschwerpunktes „Marienburg“ sprachen Prof. Dr. Udo Arnold aus Bad Münstereifel und Prof. Dr. Bernhart Jähnig aus Berlin, die sozusagen zum „Urgestein“ der Forschung des Deutschen Ordens und seiner Geschichte gehören.
Unter dem Titel „Der Deutsche Orden und der preußisch-deutsche Patriotismus im 19. Jahrhundert“ hob Prof. Arnold einige wichtige Stationen aus der Geschichte hervor und skizzierte den Wandel, das Bild und die Symbole des Ordens bis zur Gegenwart. Ein erster Meilenstein war das Jahr 1808, als der Philosoph Johann Gottfried Fichte seine „Reden an die deutsche Nation“ veröffentlichte und somit eine Grundlage des sich entwickelnden Nationalismus schuf. Es folgten die Burschenschaftsbewegung, die Revolutionen von 1830 und 1848 – letztere mit Gründung einer Nationalversammlung. 1871 entstand ein neues preußisch dominiertes Kaiserreich mit einem übersteigerten Nationalismus, das im Ersten Weltkrieg mündete.
Prof. Arnold schlussfolgerte: „Heute ist die Marienburg ein Teil der europäischen Tradition und des Weltkulturerbes. Die Geschichte des Deutschen Ordens dient nicht mehr als politische Argumentationshilfe.“
Prof. Jähnig führte die Tagungsteilnehmer mit seinem Vortrag „Theodor von Schön als Initiator der Wiederherstellung der Marienburg“ näher an die Zeit des ersten Wiederaufbaus der Marienburg heran. Theodor von Schön (1773-1856) gehörte als einer der jüngeren Staatsdiener zu den preußischen Reformern, die vor allem nach den Befreiungskriegen den Denkmalschutz entdeckten.
Konkrete Aspekte der Restaurierung der Marienburg stellte Dr. Kazimierz Pospieszny aus Marienburg/ Malbork in seinem Vortrag „Die Bedeutung der Bauforschung in der Restaurierung des Marienburger Hochmeisterpalastes 1817 bis 1925“ vor. Er bot einen Überblick über das Forschungsprojekt, das die ursprünglichen Zustände des Bauwerkes herausfand.
Justina Lijka vom Schlossmuseum Marienburg/ Malbork behandelte in ihrem reich bebilderten Referat das Thema „Im Dienst der Idee. Die Ansichten des Marienburger Schlosses des Danziger Vedutenmalers Johann Carl Schultz (1801-1873) aus der Zeit der romantischen Restaurierung.“
Ebenfalls zu diesem Themenkreis hielt Izabela Brzostowska aus Thorn/ Torun den Vortrag „Der Restaurierung zweiter Teil – Die Marienburg unter Conrad Steinbrecht (1849-1923)“. Die Referentin verwies auf Aspekte der Konzeption und Arbeitsweise des Architekten, preußischen Baubeamten und Denkmalpflegers Steinbrecht, der über einen längeren Zeitraum als Hauptleiter der Restaurierungsarbeiten der Marienburg tätig war.
Die zweite Sektion war der „Architekturvollendung und frühen Denkmalpflege im 18./19. Jahrhundert“ gewidmet. Beiträge boten Dr. Rita Mohr de Pérez aus Berlin und Ing. Arch. Petr Chotebor aus Prag. Die Referenten sprachen über „Die Restaurierung des Magdeburger Doms in der Frühzeit staatlicher Denkmalpflege“ bzw. über „Die Vollendung des Prager Doms“.
Das Kapitel Marienburg wurde mit dem Abendvortrag von Prof. Christofer Herrmann unter dem Motto „Die romantische Wiederherstellung der Marienburg ab 1817 – 200 Jahre Denkmalpflege in Deutschland“ abgeschlossen.
Kölner Dom
Die dritte Tagungssektion, die sich mit dem Kölner Dom befasste, begann mit dem Vortrag „Die Preußischen Könige und der Weiterbau des Kölner Doms im Spannungsfeld zwischen Preußen und den Rheinlanden“ von Prof. Dr. Stefan Samerski aus Berlin. Der Referent verwies darauf, dass bei der Motivik für die Domvollendung – deren Interpretationen in der Literatur gerne auseinandergehen – besonders auf nachfolgende Fragen geachtet werden müsse: „Wer hatte welches Motiv und was sollte in welchem Jahrzehnt gemacht werden: Renovierung, Erhaltung oder Vollendung?“ Anhand des Großprojektes wurde auch die politische Anfälligkeit und Instrumentalisierung der Denkmalpflege angesprochen.
Michael H. G. Hoffmann aus Köln stellte die „Vorgeschichte und Gründung des Zentral Dombau Vereins (ZDV) Köln“ vor. Der nunmehr 13. Präsident dieser Einrichtung informierte die Tagungsteilnehmer über wichtige Bauperioden des Kölner Doms, der übrigens an einer Stelle steht, wo es bereits im 4. Jahrhundert Vorbauten gab. Bei der Gründung des ZDV zu Köln in 1841 wurde darauf geachtet, dass die Bürgerinitiative unabhängig, überkonfessionell und überparteilich war – was sie bis heute ist. Derzeit bringt der Verein rund 60 Prozent der jährlichen Baukosten zur Erhaltung des Domes auf. Das Geld der Mitglieder wird ausschließlich in die Renovierungs- und Erhaltungskosten des Kölner Wahrzeichens investiert.
Elmar Scheuren, Leiter des Siebengebirgsmuseums in Königswinter, sprach über die Bausubstanz, aus der der Dom besteht und hob in seinem Vortrag „Auf der Suche nach dem richtigen Stein – Ernst Friedrich Zwirner, der Dom und der Drachenfels“ auch Schlaglichter der Baugeschichte sowie Tätigkeitsschwerpunkte des Dombaumeisters hervor. Im Fokus standen die beiden bedeutenden Monumente mit hohem Symbolwert, die aneinander gerieten. Von der Grundsteinlegung in 1248 an bis zum Ende der mittelalterlichen Bautätigkeit im Jahre 1560 wurde am Dom für Sichtflächen fast ausschließlich der Trachyt vom Drachenfels verwendet.
Dr.-Ing. Thomas Schumacher aus Köln referierte über „Die Kölner Dombauhütte im 19. Jahrhundert“. Anhand von Dokumenten, Skizzen und Bildern wurden die Technik der damaligen Zeit beschrieben. Hinzu kamen Informationen zum Wirken von preußisch/ ostdeutschen Persönlichkeiten wie Karl Friedrich Schinkel (Oberlandesbaudirektor), Sulpiz Boisserée (Kunstsammler und Dombauförderer) und Ernst Friedrich Zwirner (Dombaumeister).
Resümee von Prof. Christofer Hermann: „Wir haben versucht, die beiden wichtigen Bauten im Osten und Westen des preußischen Königreiches miteinander zu vergleichen. Interessant ist, dass die Idee der Restaurierung und Vollendung oder Wiederherstellung eigentlich gleichzeitig erfolgte in 1815 sowohl in Köln als auch in Marienburg. Es gibt auch weiterhin viele Möglichkeiten, diese Dinge, die aus der gleichen Wurzel kommen, aber sich dann doch verschieden entwickelt haben, intensiver wissenschaftlich miteinander zu vergleichen.“
Den Abschluss der kunsthistorischen Fachtagung bildete eine informative Führung des Leiters des Dombauarchivs, Dr. Klaus Hardering, durch den Kölner Dom.
Dieter Göllner