Licht und Farbe in der Backsteinarchitektur des südlichen Ostseeraums

Kunsthistorische Fachtagung, Stralsund, 13. – 16. Juni 2002

Licht und Farbe in der Backsteinarchitektur des südlichen Ostseeraums

Ehrenvorsitz: Prof. Dr. Marian Kutzner, Posen/ Poznań
Wissenschaftliche Leitung: Prof. Dr. Dr. Gerhard Eimer, Kopenhagen, Prof. Dr. Ernst Badstübner, Berlin, Priv. Doz. Dr. Matthias Müller, Greifswald
Planung und Redaktion: Dr. Ernst Gierlich, Bonn

Prägen mittelalterliche sakrale und profane Backsteinbauten bis heute die Städte und Dörfer des südlichen Ostseeraums – von Schleswig-Holstein über Mecklenburg, Pommern und Ostpreußen bis ins Baltikum sowie ins südliche Skandinavien und nach Mitteldeutschland ausgreifend – so sind die Lichtführung im Innenraum und die innere und äußere Farbigkeit, die das Erscheinungsbild dieser Bauten in starkem Maße bestimmen, doch infolge der wechselnden Nutzungsformen und des sich wandelnden Zeitgeschmacks starken Veränderungen unterworfen worden. Die bis heute andauernden Wiederherstellungsarbeiten und die dabei durchgeführten restauratorischen Untersuchungen haben diesen Sachverhalt bewusst werden lassen, der sich seitdem als Aufgabe und Herausforderung für die kunstgeschichtliche Forschung wie für die Denkmalpflege stellt. Die neuen Erkenntnisse geben Anlass zu einer Revision bestehender Vorstellungen von Licht und Farbe im Raum, deren Wirkung von den architektonischen Formen ebenso wie von der farbigen Raumfassung, von der figürlichen oder dekorativen Ausmalung, von der Glasmalerei in den Fensterverglasungen und von der Farbigkeit der liturgischen Ausstattung bestimmt wird. In gleicher Weise müssen die Vorstellungen von der farbigen Erscheinung des Äußeren mittelalterlicher Backsteinbauten revidiert werden.

Licht und Farbe – auch für die spätmittelalterliche Backsteinarchitektur des südlichen Ostseeraums wichtige Bedeutungsträger und damit wesentliche Gestaltungsmerkmale – standen im Mittelpunkt der kunsthistorischen Fachtagung, die das Caspar-David-Friedrich Institut für Kunstwissenschaften der Ernst-Moritz-Arndt Universität Greifswald in Verbindung mit der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen, Bonn, im Johanniskloster zu Stralsund ausgerichtet hat.

Die Tagung setzte die Reihe der Greifswalder Backsteinkolloquien fort und knüpfte ebenso an die Kunsthistorischen Fachtagungen der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen zu Aspekten der mittelalterlichen Backsteinarchitektur an.

Vorbereitung und Leitung der Tagung lagen seitens des Caspar-David-Friedrich-Instituts bei Priv. Doz. Dr. Matthias Müller, Greifswald, seitens der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen bei Prof. Dr. Dr. Gerhard Eimer, Kopenhagen, und Dr. Ernst Gierlich, Bonn. In den Vorträgen kamen – als allgemeine Überblicke und als Darstellungen zu einzelnen Bauten – Fachwissenschaftler und wissenschaftlicher Nachwuchs zu Wort. Eine eintägige Busexkursion stand ebenso auf dem Programm.

Die bisherige kunsthistorische Forschung hatte bei der Betrachtung der gotischen Architektur außerhalb ihrer westeuropäischen Heimat, wo sie spät ankam und trotz zahlreicher und immer neuer befruchtender Impulse nur wahlweise Motive und Strukturen in klassischen Formen übernahm, allzu oft den Fehler begangen, sich in erster Linie für die materielle Seite der Baukunst zu interessieren, d.h. für die aus greifbarer Materie bestehenden Teile eines Gebäudes, wie Wände und Gewölbe.

Dabei übersah man häufig, daß diese doch dazu dienten, einen gewünschten Ausschnitt des dreidimensionalen Raumes, entsprechend den jeweiligen Bedürfnissen, für den Bauherrn abzugrenzen. Das Greifbare eines Gebäudes war also dazu da, das Ungreifbare – den offenen Raum – zu „fangen“. Allzu oft beschränkte man sich in der Forschung auf das Vergleichen von Grund- und Aufrissen. Dabei wurde die dreidimensionale Wirkung eines geschlossenen, durch die materielle Hülle des Gebäudes „gefangenen“ Raumes, die nicht zuletzt durch derart schwierig zu beschreibende Komponenten wie die Farbe und das von ihr abhängige Licht bestimmt wird, außer Acht gelassen. Auffallend ist hier das Missverhältnis zwischen der Forschung zu klassischen Kathedralen Frankreichs und der sakralen Gotik Mittel- sowie Nordeuropas. Während bei den ersten in zahlreichen Arbeiten große Abschnitte dem Licht und seiner angenommenen metaphysischen Wirkung gewidmet wurden, spielte diese Problematik im zweiten Fall kaum eine Rolle. Dabei war man sich doch eigentlich der Besonderheiten dieser Architektur immer bewusst, die im Backsteingebiet an der Ostsee nicht zuletzt durch die Eigenschaften des Materials mitbestimmt waren.

Eine ganze Reihe von damit zusammenhängenden Problemen wurde bis jetzt nur in Einzelfällen dargestellt. War die Backsteingotik in dieser Hinsicht lediglich ein unvollkommenes und verunstaltetes Abbild der gotischen Kathedralen Frankreichs? Oder hat sie, nachdem der Höhepunkt der Entwicklung der klassischen Gotik im Westen im 13. Jahrhundert überschritten war, nun Selbständigkeit erreicht und entsprechend auch eigene Formen hervorgebracht, die nach anderen Maßstäben zu beurteilen sind? Waren diese Erscheinungen von den neuen Frömmigkeitsformen und der Spiritualität des späten Mittelalters mitbestimmt? Es gibt hier zahlreiche Anhaltspunkte, die zu solchen Schlussfolgerungen führen. Verstellte Achsen, überdimensionale oder verkleinerte Fenster, die differenzierte Beleuchtung verschiedener Abschnitte des Raumes ermöglichen, pseudobasilikale Lösungen mit ins Dunkle getauchtem Hauptschiff, verstellte Querschiffe, aus glasierten Backsteinen bunt gestaltete Dekoration im Äußeren und im Inneren, kontrastierende Formen der miteinander verbundenen Pfeiler und Arkaden eines Hallenraumes, sind nur einige Beispiele dafür. Diese gegenüber der klassischen Gotik andere Formenwelt deckt sich zeitlich auffallender Weise mit den großen gesellschaftlichen und religiösen Umwälzungen des 14. und 15. Jahrhunderts. In den für das christliche Europa vor nicht sehr langen Zeit gewonnenen und wirtschaftlich erst kürzlich aufgeblühten Regionen an der südlichen Ostsee lag die entscheidende Investitionskraft in den Händen des Bürgertums der großen und mächtigen Hansestädte. Währenddessen versank die zuvor scheinbar so klar geordnete, von Aristokraten beherrschte westeuropäische Welt eines Ludwigs des Heiligen im Chaos des Hundertjährigen Krieges und war den Heimsuchungen der großen Pest ausgeliefert. Spiegeln die Elemente voller Widersprüche, der Differenziertheit, der Täuschung, der Überraschung und des Kontrasts, die im Gegensatz zum klaren Aufbau einer klassisch-gotischen Kathedrale stehen, diese neue, bürgerliche

Realität des späten Mittelalters an der Ostsee wider?
Um auf diese Probleme nun endlich nachdrücklich aufmerksam zu machen und ernsthaft nach Antworten auf solche Fragen zu suchen, hat die Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen vom 13. bis zum 16. Juni 2002 eine internationale kunsthistorische Fachtagung in Stralsund veranstaltet, ist doch ein nicht unbedeutender Teil der zu untersuchenden Denkmäler in den ehemals deutschen Ostgebieten und Siedlungsgebieten zu finden. Diese Tagung verstand sich als vierte der Reihe von Tagungen zu Problemen der Backsteingotik und kehrte an den Ort der zweiten Tagung des Jahres 1998 zurück (1. Tagung 1990 in Frankfurt/M., 3. Tagung 1999 in Marienburg/Malbork). Der Tagungsort war nicht zufällig gewählt, bietet doch die in die UNESCO-Weltkulturerbe-Liste eingetragene Hansestadt hervorragende Beispiele der Backsteingotik, sowie die Möglichkeit, weitere für das Thema der Tagung überaus wichtige Objekte, namentlich die Kirchen Stettins und Stargards, im Rahmen einer Exkursion zu besichtigen. Ein Teil der Teilnehmer gehörte bereits der „Stamm-Mannschaft“ der Tagungsreihe an und folgte der Einladung des Veranstalters zum wiederholten Male. Vertreten waren fünf Ostseeländer: Schweden, Finnland, Estland, Polen und Deutschland. Als Tagungsraum konnte dank der organisatorischen Hilfestellung der Hansestadt Stralsund der mit Wandgemälden ausgeschmückte spätgotische Kapitelsaal des ehem. Dominikanerklosters gewonnen werden, dessen einmalige Atmosphäre die Konzentration der Tagenden begünstigte und stets an das Thema erinnerte.

Die wissenschaftliche Leitung hatten Prof. Dr. Gerhard Eimer, der an der Universität Frankfurt am Main jahrelang eine Arbeitsgruppe zur Erforschung des mittelalterlichen Backsteinbaus führte, sowie seitens des die Tagung mitorganisierenden Instituts für Kunstwissenschaften der Universität Greifswald Prof. Dr. Ernst Badstübner und PD Dr. Matthias Müller inne. In den drei Tagen wurden nicht weniger als 23 Referate zu den erwähnten Aspekten der Backsteingotik dargeboten, die viel neues Material brachten und die Problematik teilweise in völlig neuem Licht erscheinen ließen. Es bleibt nun mit Spannung auf die Veröffentlichung des Ergebnisbandes mit den vollständigen Referattexten zu warten, die zu Vortragszwecken in vielen Fällen erheblich gekürzt werden mussten.

Bericht von Waldemar Moscicki M.A