Terra sanctae Mariae – Mittelalterliche Bildwerke der Marienverehrung im Deutschordensland Preußen

Kunsthistorische Fachtagung, Thorn/Toruń, 21. – 24. Juni 2007

Terra sanctae Mariae – Mittelalterliche Bildwerke der Marienverehrung im Deutschordensland Preußen

Średniowieczne obrazy czci Marii w państwie krzyżackim w Prusach

Internationale kunsthistorische Fachtagung der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen, Bonn, in Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl für Kunst- und Kulturgeschichte der Nicolaus-Copernicus-Universität Thorn/Toruń

Wissenschaftliche Leitung und Planung: Prof. Dr. Dr. Gerhard Eimer, Kopenhagen, Prof. Dr. Matthias Müller, Mainz, Dr. Anna Błażejewska, Thron/Toruń, Dr. Kazimierz Pospieszny, Thorn/Toruń

Redaktion: Dr. Ernst Gierlich

Seit seiner Gründung im Jahre 1190 als „Ordo domus Sanctae Mariae Theutonicorum Ierosolimitanorum“ pflegte der Deutsche Orden eine ausgeprägte Verehrung für seine Patronin, die Gottesmutter Maria, was seinen Ausdruck in einer Vielzahl hochrangiger Mariendarstellungen fand – gipfelnd in dem heute zerstörten monumentalen Mosaikbild in der Ostnische der bedeutende Reliquien der Gottesmutter bergenden Kirche der Marienburg an der Nogat. In diese monumental ausgebaute Burganlage war im Jahre 1309 der Sitz des Hochmeisters verlegt worden war. Das Deutschordensland Preußen kann aufgrund dieser Bezüge geradezu als „Terra sanctae Mariae“ gelten.

Gleichwohl ist der spezifisch marianische Aspekt der Spiritualität bzw. des Selbstverständnisses des Deutschen Ordens bislang nur in geringem Maße in das Blickfeld der Historiker gerückt. Ebenso sind die zahlreichen erhaltenen oder dokumentierten mittelalterlichen Bildwerke der Marienverehrung im Deutschordensland Preußen mit ihren vielfältigen ikonographischen und stilistischen Besonderheiten lediglich als Einzelstücke, nicht aber vor diesem Hintergrund und in ihrer Gesamtheit von der kunsthistorischen Forschung gewürdigt worden.

Die internationale Fachtagung, welche die Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen gemeinsam mit dem Lehrstuhl für Kunstgeschichte an der Universität Thorn veranstaltet, will Historiker und Kunsthistoriker aus Polen und Deutschland zusammenführen, die sich gemeinsam um die Erhellung des bislang vernachlässigten, für das Verständnis des preußischen Deutschordenstaates jedoch wesentlichen Merkmals der „Terra sanctae Mariae“ bemühen. Es ist jedoch ebenso die Teilnahme von weiteren Interessierten erwünscht. Neben den Fachvorträgen zur Thematik werden Exkursionen zu bedeutenden Bildwerken in Thorn und in Westpreußen geboten werden.

Aus der Ostnische der Schlosskirche der Marienburg an der Nogat gleichsam hervortretend, blickte vor ihrer Zerstörung am Ende des Zweiten Weltkrieges die riesige Figur der Gottesmutter mit weit geöffneten Augen über das Preußenland hinweg, bis hin zu den Heiden, deren Bekämpfung und Bekehrung der Deutsche Orden gelobt hatte. Die halbplastische, von goldschimmerndem, starkfarbigem Mosaik überzogene Madonna bildete den sinnfälligsten Ausdruck für das Patronat der Gottesmutter über den Deutschen Orden, der sich im Jahre 1190 als „Ordo domus Sanctae Mariae Theutonicorum Ierosolimitanorum“ gegründet und 1309 die gewaltig ausgebaute Marienburg als neue Residenz seines Hochmeisters gewählt hatte.

So offenkundig bei der Marienburg und anderenorts im Deutschordensland Preußen der Bezug auf die Ordenspatronin bis heute auch erscheint, stets bleibt im Einzelfall kaum zu unterscheiden, ob es sich bei den entsprechenden Darstellungen und Benennungen um den Ausdruck allgemeiner christlicher Verehrung der Gottesmutter oder um einen solchen der Repräsentation und der spezifischen Spiritualität des Deutschen Ordens handelt. Diese Unsicherheit hat bislang die Forscher – Historiker wie Kunsthistoriker – davon abgehalten, Maria als Patronin des deutschen Ordens ebenso in den Blick zu nehmen, wie dies längst mit den Nebenpatronen, der hl. Elisabeth und dem hl. Georg, geschehen ist.

Gleichwohl unternahm gerade dies eine internationale Fachtagung unter dem Titel „Terra sanctae Mariae – Mittelalterliche Bildwerke der Marienverehrung im Deutschordensland Preußen“, welche die Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen gemeinsam mit dem Lehrstuhl für Kunstgeschichte der Universität Thorn im Juni in Thorn an der Weichsel veranstaltete. Historiker und Kunsthistoriker aus Polen und Deutschland bemühten sich um die Erhellung des für das Verständnis des preußischen Deutschordenstaates wesentlichen Merkmals des Marienpatronats.

Die wissenschaftliche Vorbereitung und die Leitung der im Universitätshotel abgehaltenen Veranstaltung hatten Prof. Dr. Gerhard Eimer, Kopenhagen, Prof. Dr. Matthias Müller, Mainz, und Dr. Kazimierz Pospieszny, Thorn, übernommen.
Grundsätzliches bot eingangs anhand mittelalterlicher chronikalischer und urkundlicher Quellen sowie zahlreicher Beispiele für Mariendarstellungen als offizielle Herrschaftszeichen Prof. Dr. Udo Arnold, Bad Münstereifel. Demnach finden sich Bildnisse Mariens nicht nur deutlich sichtbar auf der Amtskette des Hochmeisters, auf Siegeln, Fahnen oder gar auf Kanonen. Bisweilen ist der Bezug auf die Patronin auch weniger augenfällig, wie etwa bei einer bildlichen Darstellung des mit Wappenschilden des Deutschen Ordens behängten, als Symbol für Maria zu verstehenden „Turms Davids”. Die von der Gottesmutter bestärkte Wehrhaftigkeit des Ordens wird dort zum Ausdruck gebracht.

Anhand erhaltener Inventare der Konventskapellen machte Dr. Waldemar Rozynkowski, Thorn, deutlich, wie sehr die Marienverehrung bis in die Einzelheiten der Gestaltung des liturgischen und profanen Alltags der Ordensritter, -priester und -brüder sowie, damit verbunden, in die heute verlorene Ausstattung der Burgen des Ordens hineinwirkte. Dies galt natürlich in besonderem Maße für die Marienburg als Hochmeisterresidenz, die in ihrer Anlage, insbesondere in der Gestaltung ihrer der hl. Maria geweihten Schlosskirche, den Geist des Ordens für Bewohner und Besucher zu repräsentieren hatte, wie Dr. Kazimierz Pospieszny, Marienburg/Thorn, in seiner Analyse der Sakraltopographie von Burg und zugehöriger Stadt, „Castrum et civitas Mariae”, darlegte.

Wird auf diese Weise die besondere Funktion Marias als Ordenspatronin hervorgehoben, so machte Prof. Dr. Matthias Müller, Mainz, am Beispiel der Marburger „Elisabethkirche” deutlich, dass der Orden es verstand, in den Kult der Hauptpatronin den weiterer, potentiell konkurrierender Patrone zu integrieren. Die der hl. Maria geweihte Marburger Kirche ummantelt und beschützt so das Grab der jungen Ordenspatronin Elisabeth, die im Bildprogramm der Glasfenster und des Reliquienschreins als „similitudo Mariae” mit der Gottesmutter in typologische Beziehung gesetzt wird.

Die Mosaikmadonna in der Ostnische der Marienburger Schlosskirche, um deren Deutung sich bereits etliche Forschergenerationen bemüht haben, stand naturgemäß im Mittelpunkt mehrerer Vorträge der Tagung. Ihre Einzigartigkeit beruht, wie Prof. Dr. Gerhard Eimer, Kopenhagen, darlegte, in kunsthistorischer Sicht u.a. darin, dass kein weiteres Beispiel für eine mit Glasmosaik farbig gefasste Monumentalplastik in Antike oder Mittelalter bekannt ist. Immerhin zeigen Beispiele aus dem Ordensland, wie das Widmungsbild des Bischofs Johannes in Marienwerder, dass man sich dort auf die Mosaikkunst verstand, vielleicht vermittelt durch im Mittelmeerraum, etwa in Apulien und Sizilien, wirkende Ordensangehörige. Mögli¬cherweise reichen die hier zu berücksichtigenden Verbindungen aber noch weiter bis zu den hl. Stätten in Palästina, wie Prof. Dr. Albert Boesten-Stengel, Thorn/Würzburg, darlegte. Er deutete die Marienburger Schlosskirche samt der Annenkapelle, der Grablege der Hochmeister, als „Jerusalem-Imagination”, wobei er die Mosaikmadonna anhand ihrer Gewandung als Verbildlichung der Braut des Hohen Liedes Salomos interpretierte.

Die intellektuelle Subtilität, die in der Marburger Elisabeth-/Marienkirche und in der Marienburger Schlosskirche als den ranghöchsten und künstlerisch bedeutendsten Kirchen des Deutschen Ordens aufscheint, dürfte allerdings kaum für die Masse der in den preußischen Konventsburgen dienenden, theologisch wenig gebildeten Ordensangehörigen kennzeichnend gewesen sein. Wie Prof. Dr. Stefan Kwiatkowski, Thorn, in einem im Artushof der Stadt gehaltenen Festvortrag ausführte, erforderte die brutale Wirklichkeit des Heidenkampfes im Preußenland ein einfaches, geradezu dualistisches Weltbild augustinisch-neuplatonischer Tradition. Bezeichnend ist in diesem Sinne für das Deutschordensland die Beliebtheit endzeitlicher Bilder: Die Deutschordensritter konnten sich als Reiter der Apokalypse begreifen, die Christus begleiten, um das Übel der Welt zu vernichten. So kämpfen in dem von Heinrich von Hesler verfassten illustrierten Kommentar zur Offenbarung des Johannes, von dem sich gleich zwei Exemplare in Thorn erhalten haben, die Ritter des Deutschen Ordens gegen die Völker des Bösen Gog und Magog.

Auch Maria erscheint im genannten Apokalypsenkommentar, und zwar im Bild der vom siebenköpfigen Drachen bedrohten, über diesem jedoch letztlich triumphierende „Apokalyptischen Frau” – ein Motiv, das Barbara Dygdala-Klosinska, Thorn, in ihrem Vortrag geradezu als Propagandabild des Deutschen Ordens herausstellte. Gleichzeitig tritt sie dort auf als von Gott Gekrönte, der sich der Deutschordensritter nicht nur in allgemeiner Verehrung, sondern in innigem Minne-Verhältnis von „knecht und frouwe” zuwendet, worauf Sabine Vogt, Berlin, hinwies.
Weniger die Mariendarstellungen gängiger Art, die sich in großer Zahl im Deutschordensland erhalten haben, galt es auf der Tagung in den Blick zu nehmen, als vielmehr ikonographische Besonderheiten. Zu diesen ist etwa die bildliche Umsetzung des „Defensorium inviolatae virginis beatae Mariae”, einer Schrift volksbildenden Charakters des in der Zeit um 1400 lebenden Dominikaners Franz von Retz, am Chorgestühl der Klosterkirche zu Pelplin zu zählen. Der Tierwelt entnommene Szenen mythologischen Charakters dienen hier dazu, wie Kathrin Wagner, Berlin, ausführte, die Jungfräulichkeit Mariens belegen. Gleiches gilt für die mancherorts, etwa als Schlußstein in der Kulmer Marienkirche, zu findenden Darstellungen von Straußen und Straußeneiern, die Dr. Tadeusz Jurkowlaniec, Warschau, vorführte: Wenn – so die mittelalterliche Erklärung – allein die Sonne die Eier des Vogel Strauß auszubrüten vermag, warum soll dann nicht als Werk der wahren Sonne die Jungfrau gebären?

Eine Tagung zu Bildwerken der Marienverehrung in Thorn kann indes nicht umhin, sich mit der sog. „Schönen Madonna”, der seit 1945 verschollenen Marienstatue der Thorner St. Johanniskirche, zu beschäftigen. Dr. Monika Jakubek-Raczkowska, Thorn, erläuterte Form und Funktion der „Schönen Madonnen” des sog. „Weichen Stils” des 14. Jahrhunderts. Im Böhmischen entwickelt, verbreiteten sich demnach die „Schönen Madonnen” über Schlesien bis ins Deutschordensland, wo sich neben Thorn auch in Danzig bedeutende, wohl vor Ort entstandene Vertreterinnen finden lassen. Dass dieser Typus weiter nach Westen ausstrahlte, zeigte Burkard Kunkel, Stralsund, der mit der Stralsunder „Junge-Madonna” gleichsam ein hölzernes Ebenbild der steinernen Thorner Madonna vorweisen konnte. In welcher Weise sich diese Ausstrahlung konkret vollzog, ob durch persönliche Verbindungen der Auftraggeber oder durch Wanderung von Künstlern, lässt sich mangels erhaltener Quellen indes kaum mehr ausmachen. Die ganze Bandbreite der Ausdrucksmöglichkeiten plastischen Marienbildwerke des Deutschordenslandes demonstrierte ergänzend Dr. Anna Błażejwska, Thorn, mit der aus der selben Zeit stammenden Pieta von Osterode, einer alles andere als lieblich wirkenden, im Geist spätmittelalterlicher Passionsfrömmigkeit geschaffenen Darstellung.

Kann Maria gemäß theologischer Deutung als Urbild der Kirche gelten, so umgekehrt der konkrete Kirchenraum als Versinnbildlichung der Gottesmutter. Auf diese Zusammenhänge verwiesen mehrere Vortragende der Tagung, so Dr. Liliana Krantz-Domasłowska, Posen, die den „Mariencharakter” der Domkirche zu Marienwerder anhand von Architektur und Ausstattungsstücken demonstrierte, und Dr. Juliusz Raczkowski, Thorn, der die Chorverzierungen des Doms zu Königsberg, insbesondere den Apostelzyklus, in diesem Sinne interpretierte. Überboten einander diese prominenten Kirchen des Deutschordenslandes geradezu mit Marien-Bezügen, so war es gleichfalls für die Domkirche zu Frauenburg wichtig, die Gottesmutter Maria als Patronin herauszustellen, ging es doch, wie Waldemar Moscicki, Bonn, ausführte, nicht zuletzt um die Demonstration der Eigenwertigkeit und Eigenständigkeit der Bistümer gegenüber dem Deutschen Orden als Territorialherren.

Einen Ausblick auf die Neumark als ein nur kurzeitig zum Deutschordensland gehörendes und daher in diesem Zusammenhang kaum behandeltes Gebiet gab abschließend Peter Knüvener, Berlin. Immerhin reichten die wenigen Jahrzehnte in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts aus, um eine Reihe von künstlerischen Wechselwirkungen mit dem übrigen Deutschordensland, auch und gerade, was Mariendarstellungen anbetrifft, zu ermöglichen, wenngleich andere künstlerische Verbindungen, etwa zum böhmischen Raum, deutlich stärker erscheinen.

Anschauungs- und Vergleichsobjekte bot den ca. 60 Tagungsteilnehmern die Stadt Thorn mit ihren architektonisch bedeutenden und mit mittelalterlichen Bildwerken üppig ausgestatteten Kirchen in reichlichem Maße. Entsprechend konnten sie neben den Vorträgen auch eine von Dr. Elżbieta Pilecka und Dr. Krantz-Domasłowska sachkundig geführte Exkursion nach St. Johannis, St. Jakobi und St. Marien erleben. Eine ganztägige Busexkursion führte nach Marienwerder, Marienburg, Pelplin und abschließend in den Wallfahrtsort Pehsken, wo man sich – die angeregten Fachgespräche unterbrechend – bei einem kleinen improvisierten Orgelkonzert von Paul-Heinz Broel vor dem mittelalterlichen Gnadenbild der Mutter Gottes versammelte. Die Busexkursion leitete umsichtig Dr. Kazimierz Pospieszny, dem auch die gesamte, reibungslos verlaufende Organisation vor Ort zu verdanken war.

Wenn auch die über der gesamten Tagung stehende Frage, in wieweit die erhaltenen mittelalterlichen Bildwerke der Marienverehrung tatsächlich im Zusammenhang mit dem Patronat der Gottesmutter über den Deutschen Orden stehen, für den Einzelfall nicht immer zu beantworten war, so erwies sich doch in der Zusammenschau das Deutschordensland als wesentlich von der Marienverehrung geprägt, als wahre „Terra sanctae Mariae”. Dass man in den oft lebhaften Diskussionen zu den Vorträgen dringenden weiteren Forschungsbedarf konstatierte, ist nicht das schlechteste Ergebnis einer wissenschaftlichen Fachtagung.