Am Volkstrauertag, dem 17. November 2024, hatte der Bundesverband der Landsmannschaft der Donauschwaben zu einer großen Gedenkfeier ins neu renovierte Weltheimathaus nach Sindelfingen geladen. Die Donauschwaben erinnerten sich an die Ereignisse des blutigen Herbstes 1944, die den Beginn der Flucht und Vertreibung aus ihren historischen Siedlungsgebieten markieren. Vor 80 Jahren wurden sie aus ihrer jugoslawischen Heimat nahezu vollständig vertrieben und ausgerottet. Damals waren für die Deutschen des Landes völlige Enteignung und Entrechtung, Internierung in Konzentrationslagern, Deportation und Zwangsarbeit, Massenerschießungen sowie Misshandlungen und Folter, Hunger und Krankheiten an der Tagesordnung.
Zu Beginn der Feier um 10 Uhr zogen die Trachtenträger aller vier derzeit noch aktiven donauschwäbischen Tanzgruppen aus Speyer, Ulm, Reutlingen und Mosbach zusammen mit mehreren Fahnenträgern unter Fanfarenbegleitung auf die Bühne des kleinen Festsaals, neuerdings auch Saal Banat genannt. Auf Holzkreuzen trugen sie die Namen der Todes- und Vernichtungslager für die Deutschen in Titos Jugoslawien.
Jürgen Harich, der seit dem 7. April 2024 amtierende neue Bundesvorsitzende der Landsmannschaft, begrüßte die zahlreichen, auch das Foyer füllenden Besucher. Schon als Kind hatte er von seinen Großeltern väterlicher- wie mütterlicherseits von den Lagern und Deportationen gehört, zunächst noch ohne das entsetzliche Leid ermessen zu können, das dabei mitschwang. Er erinnerte an die von Pater Wendelin Gruber in den Lagern Gakowa und Rudolfsgnad 1946 gegründete Gelöbniswallfahrt, die bis heute u. a. in Bad Niedernau, Spaichingen und Altötting, in Brasilien und Nordamerika durchgeführt wird, um Dankbarkeit fürs Überleben dieser mörderischen Zeit zu demonstrieren. Ein Drittel der Volksgruppe jedoch habe es nicht geschafft, sondern verhungerte in den Lagern, starb an den Strapazen, der Kälte und Krankheiten, an der brutalen Willkür des Lagerpersonals und den Massenerschießungen der Tito-Partisanen. Keine andere deutsche Volksgruppe habe einen so hohen Blutzoll entrichten müssen, es sei ein Völkermord gewesen. Doch in der Stuttgarter Charta der Heimatvertriebenen von 1950 haben die Heimatvertriebenen unisono Abstand von Rache und Vergeltung genommen und sich für den Aufbau eines vereinten Europas eingesetzt, wie es zuvor schon in kleinem Maßstab in der Woiwodina existiert hatte. Die Donauschwaben wollten Brückenbauer sein und sind es bis heute geblieben. Auch er als Bundesvorsitzender der Landsmannschaft und Präsident des Weltdachverbandes verstehe sich als Vermittler und Versöhner, freilich ohne zu vergessen, was geschah. Eine Willkommenskultur wie heute habe es nach dem Krieg nicht gegeben. Aber mit ihrem Aufbauwillen, so Harich, haben die Vertriebenen sich bestens integriert. Heute seien die Donauschwaben zwar weltweit zerstreut, stünden aber als Volk dennoch zusammen. Zuletzt dankte Harich allen für ihren „großartigen Einsatz zur Bewahrung unserer donauschwäbischen Geschichte und gemeinsamen Kultur“.
Dr. Matthias Beer, der Geschäftsführer und stellvertretender Leiter des Instituts für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde (IdGL) in Tübingen war, hielt den Festvortrag „1944 – Eine Zeitenwende der donauschwäbischen Geschichte“. Das Ende des Zweiten Weltkriegs markiere in der donauschwäbischen Geschichte eine bis dahin nicht gekannte Zäsur: das Ende einer Ära und zugleich den Neuanfang unter ganz anderen Voraussetzungen. Das werde erst deutlich, wenn man die donauschwäbische Geschichte insgesamt in den Blick nehme und sie vor dem Hintergrund von drei maßgeblichen historischen Wendepunkten betrachte, nämlich der Epoche der Ansiedlung, der Gruppenbildung und der Zwangsmigration. Eine gezielte Ansiedlung erstreckte sich über das gesamte 18. bis Mitte des 19. Jahrhunderts. Ihr Ziel war es, das Land zu sichern, zu kultivieren und das Steueraufkommen zu erhöhen. Bis zu 400.000 Auswanderer kamen nach Pannonien und entwickelten ein blühendes Wirtschafts- und Gemeindeleben. Die Phase der Gruppenbildung betrachtete Beer – nach der Zugehörigkeit der „Schwaben“ zum Ungarischen Königreich innerhalb der k. u. k. Monarchie – in der Zeit ihrer spezifisch nationalstaatlichen Entwicklungen nach den neuen Grenzziehungen durch den Ersten Weltkrieg als Bürger Ungarns, Rumäniens und des Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen, des späteren Jugoslawien. Eine Konjunktur in der Selbstfindung brachte die „Entdeckung“ der Auslandsdeutschen durch das „deutsche Mutterland“ in der Zwischenkriegszeit. Unter dem Einfluss Nazi-Deutschlands versprachen sich die deutschen Volksgruppen eine Verbesserung des eigenen Minderheitenstatus. Mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs seien sie in die rassisch motivierte Eroberungs- und Vernichtungspolitik des Deutschen Reichs einbezogen worden – „an der sie sich auch aktiv beteiligten – organisatorisch und wirtschaftlich“. Dass es auch erhebliche Widerstandsbewegungen gegen die Herrschaft der NS-Ideologie und die Zwangsrekrutierungen gab, erwähnte Beer nicht. Er stellte abschließend die unterschiedlichen Verläufe und Folgen der „Zwangsmigration“ in den drei Heimatländern der Donauschwaben dar: in Jugoslawien, wo das kommunistische Regime, der Kollektivschuldthese folgend, radikal gegen seine deutsche Bevölkerung vorging und wo es seit dem Ende der 1950er Jahre keine nennenswerte deutsche Minderheit mehr gibt; in Ungarn, wo, vom Potsdamer Abkommen ermächtigt, nur etwa die Hälfte der Deutschen ausgesiedelt wurde und der Rest sich nach der Assimilationspolitik des Kalten Krieges revitalisieren konnte; und in Rumänien, dessen deutsche Bevölkerung nicht ausgewiesen wurde und wo bis in die jüngste Vergangenheit eine intakte deutsche Minderheit existierte. Die Zeitenwende von 1944 lasse sich also, schloss Beer, in vier Punkten zusammenfassen: 1. Sie stehe für das Ende eines Prozesses, der mit der Instrumentalisierung der deutschen Minderheiten durch das NS-Regime „und deren Selbstinstrumentalisierung zugunsten dieses Regimes“ begann. An Umsiedlungen, Evakuierungen, Deportationen, Internierungen, Flucht und Ausweisung seien donauschwäbische Gruppen als Täter und Opfer beteiligt gewesen. 2. Grundsätzlich markiere 1944 das Ende der donauschwäbischen Geschichte im Sinne von bis dahin existierenden und anerkannten Minderheitengruppen in den drei Staaten, auch wenn sich dieses Ende in den drei Ländern unterschiedlich gestaltete. 3. 1944 sei der Ausgangspunkt für eine globale Streuung der Angehörigen aller donauschwäbischen Gruppen und sei 4. auch Voraussetzung für eine weit vom Herkunftsgebiet entfernte Erinnerungskultur, die an die Nachkommen weitergegeben wird und vielfältigen Ausdruck findet, insbesondere in den kulturellen Aktivitäten der Landsmannschaften, der Übernahme von Patenschaften, der Gründung von Instituten (IdGl, DZM). So spreche alles dafür, dass diese Zeitenwende ohnegleichen auch Symbol einer neuen Ära ist.
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Im Ehrenhof, wo die Namen der donauschwäbisch bewohnten Ortschaften Jugoslawiens mit ihren Opferzahlen in Stein gemeißelt sind, wurde anschließend, begleitet von getragenen Klängen aus den Trompeten von Rainer Raisch, Jonathan Schröck und Johannes Fritz, ein Kranz niedergelegt, bevor der Landtagsabgeordnete, Stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU und Hausherr Raimund Haser in seiner dortigen Ansprache auf die Situation einging, als Simon Petrus im Garten Gethsemane sein Schwert zieht, um das rechte Ohr des Malchus, Knecht des Hohenpriesters, abzuhauen, Jesus das Ohr aber wieder heilt und Petrus gebietet, sein Schwert in die Scheide zu stecken. Kein Krieg könne ein Gotteskrieg sein, erläuterte Haser, Gott lehne den Krieg so sehr ab, dass seine Botschaft stets laute: „Hört auf damit!“ Das heiße nicht, dass der Mensch nicht kämpfen darf und soll, um seine Familie und sein Haus zu schützen, jedoch könne er nicht erwarten, dass Gott es gutheißt. Ob Kinder in der Ostsee ertrinken, in einem jugoslawischen Lager verhungern oder heute in der Ukraine ermordet werden, allen sei gemeinsam, dass sie für eine Sache gestorben sind, die sie nicht verschuldet oder gewollt haben. Ausgerechnet die Vertriebenen müssten deshalb stets diejenigen sein, die nach Frieden und Einigkeit trachten. Das lehre uns die eigene Geschichte.
Ähnliche Worte fand beim ökumenischen Gottesdienst danach wieder im Saal Banat Diakon Manfred Leitheim. Er versieht sein geistliches Amt an der katholischen Pfarrei Sankt Josef in Mosbach, einer Kirche, die 1957 von Vertriebenen erbaut und dem Schutzpatron der Flüchtlinge geweiht wurde. In eindringlichen Worten schilderte der Diakon die Flucht seiner Familie aus Etschka im serbischen Banat, fragte sich, welche unverzichtbaren Dinge und Habseligkeiten er in der gebotenen Eile mitnehmen würde, machte klar, dass niemand leichtfertig alles aufgibt, nur um das nackte Leben vor Diktatur, Tod und Folter zu retten. Das Schicksal der Heimatvertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg gleiche dem Schicksal der von König Nebukadnezar 597 vor Christi Geburt nach Babylon deportierten Juden, sagte Leitheim in seiner Predigt. Beide hätten die alte Heimat zwar nicht aus dem Sinn verloren, aber zugleich das Beste der neuen befördert. Sie blieben nicht bei Trauer, Zorn und vergeblichen Hoffnungen stehen, sondern leisteten ihren Beitrag zu Aufbau und Erneuerung Babylons dort und Deutschlands hier. Vielleicht seien Flüchtlinge und Heimatvertriebene von Gott besonders damit beauftragt, denn sie hätten am eigenen Leibe erfahren, wie vergänglich Eigentum und Besitz und wie lebenswichtig christliche Werte sind. – Für die evangelische Seite zeichnete Pfr. Jakob Stehle aus Mramorak seinen Lebensweg nach, um zu zeigen, dass für ihn dieses Gedenkjahr der Donauschwaben 2024 unter der Jahreslosung steht: „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe!“ (Korinther 16,14) Für ihn selbst, der diese „80 Jahre Flucht und Vertreibung“ erlebte, sei das Thema der Liebe Gottes und seiner Angehörigen wie ein roter Faden eingewoben in das Gewand eines Flüchtlings. Seine Biographie sei das Zeugnis eines Vertriebenen, der die Liebe Gottes und der Nächsten erfahren hat. Alle Angst und Schrecken der Vertreibung, Enteignung und Internierung im Hungerlager, alle Leiden in der Einkerkerung und auf der langen Flucht seien von der Liebe seiner Verwandten getragen gewesen, die ihn geprägt und zu einem Menschen gemacht habe, der ohne Hass auf Partisanen und Serben das Evangelium verkündet. Dies sehe er als gnädige Fügung Gottes. Liebe schaffe Versöhnung, was ihn auch an der Charta der deutschen Heimatvertriebenen mit ihren versöhnlichen und weitsichtigen Visionen bis heute beeindrucke. Diese Liebe fange im kleinen Kreis der Familie an und präge uns für den großen Kreis der Gemeinschaft im eigenen Volk und unter den Völkern. Der Chor der Donauschwaben aus Mosbach begleitete den Gottesdienst mit geistlichen Liedern.
Nach dem Mittagessen mit donauschwäbischen Gerichten im Saal Batschka hatten die Gäste die Möglichkeit, das renovierte Haus mit Bibliothek und Bauernstube zu besichtigen und sich auf die informative Wanderausstellung des Zentrums gegen Vertreibungen in Berlin „Erzwungene Wege – Flucht und Vertreibung im Europa des 20. Jahrhunderts“ im Raum Ungarn des Erdgeschosses einzulassen.
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Im Saal Banat schlossen sich die von Jürgen Harich moderierten „Zeitzeugengespräche“ an, die Gelegenheit für vier Personen auf der Bühne boten, jeweils in etwa zehn Minuten ihren Flucht- und Lebensweg darzustellen. – Elisabeth Arnolds Kindheit hörte im Alter von elf Jahren schlagartig auf, als sie mit der Mutter, der blinden Oma und der 7-jährigen Schwester am 8. Oktober 1944 Tscherwenka verlassen und die Flucht antreten musste. Die Familie irrte mit dem Fuhrwerk durch Ungarn und Österreich, kam schließlich in ein Auffanglager in St. Pölten, wo man die Schuhe von den geschwollenen Füßen schneiden musste. Im Viehwaggon ging es dann für acht Wochen ins friedliche Schlesien, bis auch dort die Front näherkam. Im amerikanisch besetzten Tschechien machten die Tschechen ihnen das Leben schwer, bis sie, wochenlang in einen Waggon eingesperrt, mehr tot als lebend an einem ungarischen Bahnhof sieben Wochen lang bettelnd vegetieren mussten. In Kaisersteinbruch im Burgenland kosteten sie in einem Raum mit 80 Personen und einem Heer von Läusen die „Vorstufe zur Hölle“ aus. Dort wurden junge Frauen vergewaltigt, auch die Mutter blieb tagelang aus, verschleppt von den Russen. – Ria Schneiders Fluchtweg dauerte insgesamt sieben Jahre. Ihre traumatischen Erlebnisse schrieb sie sich von der Seele, als der Leidensdruck immer größer wurde. Ihrem Ehemann oder ihren Kindern wollte sie das nicht zumuten. Heute betrachtet sie sich – nach mancherlei Fahrten in die alte Heimat seit 2002 mit positiven menschlichen Begegnungen – als eine Brückenbauerin. Sie besuchte auch die Heimat ihrer Eltern in Parabutsch, zunächst ängstlich zurückhaltend, dann herzlich empfangen. Noch bevor dort Gedenkstätten errichtet wurden, besuchte sie heimlich die als Weiden genutzten Massengräber in Gakowa und Kruschiwl, sah in Sombor das von einem Busbahnhof überbaute Massengrab und fand die Spuren von viel Hass, Rache und Zerstörungswut. Zweimal fuhr sie zusammen mit vielen anderen Donauschwaben per Schiff von Passau nach Novi Sad. 2005 wurden sie dort mit Strudel und warmen Worten empfangen, Geschenke wurden ausgetauscht, Fernsehen und Zeitungen berichteten darüber. Vermittelt vom Deutschen Verein konnte die Tochter der ehemaligen Bundestagsabgeordneten Annemarie Ackermann auch ihr Elternhaus im früheren Neusatz (Novi Sad) besuchen und wurde von den heutigen Bewohnern bewirtet. Von der serbischen Restitution hält sie nicht viel, auch weil der deutsche Staat sich um solche Fragen nicht kümmert. Aber sie freut sich über die neue Offenheit der Serben ihrer eigene Geschichte gegenüber. – Sebastian Gerber wurde 1936 in Kischker geboren, eine von fünf rein deutschen und vielleicht die reichste Gemeinde der Batschka, evangelisch-lutherischen Bekenntnisses, mit 3.700 Einwohnern 1944. Gerber berichtete über den Einmarsch der Deutschen und die Kinderlandverschickung, an die er sich erinnern kann. „Immer in der Defensive gegen Ungarn und Serben“, habe damals „die Mehrheit der Bürger große Hoffnungen auf die neue Reichsregierung in Berlin“ gesetzt. „Es ging darum, die eigene Identität zu behaupten.“ Als zuletzt 87 Gefallene aus dem Ort gemeldet waren und die Gewalttaten der Partisanen immer bedrängender wurden, machten sich die ersten Flüchtlingstrecks auf den Weg nach Westen. Der kopf-, schutz- und ziellose Fluchtweg von Gerbers Familie ging meist unter großen Entbehrungen 22 Monate lang hin und her über Ungarn. Österreich, Schlesien, Tschechien, die russische, amerikanische und schließlich französische Besatzungszone, bis im Juli 1946 eine 40-köpfige Gruppe aus Kischker im badischen Bretten ankam, um dort ein neues Leben zu beginnen, anfangs noch als Eindringlinge und Schädlinge desavouiert. „Waren jemals Menschen physisch und psychisch ausgebrannter als wir Flüchtlinge“, fragte Gerber, lobte dann aber die im persönlichen Bereich freundliche, fördernde und teilnahmsvolle Aufnahme in der neuen deutschen Heimat. Dennoch beklagte der Zeitzeuge: „Als Volksdeutsche sind wir unschuldige Opfer, als Reichsdeutsche dagegen werden wir immer noch als Täter beschuldigt.“ Am Ende kam Gerber auf seine Besuche in Serbien ab 2008 zu sprechen, bezeichnete sie als ein „Aufbrechen von Vorurteilen“ und bekannte, jedes Mal „zugängliche, interessierte, freundliche“ Menschen getroffen zu haben, es sei Vertrauen gewachsen, er habe viele Serben kennen und achten, mit den Augen der Anderen zu sehen gelernt. „Versöhnung, ein Wachstumsprozess?“ Sebastian Gerber hat 2018 in Erinnerung an seinen verlorenen Bruder einen Stifteranteil für das Haus der Donauschwaben gezeichnet. – Paul Beiwinkler schilderte seine Herkunft aus Banostor in Syrmien, wo es seit dem 12. Jahrhundert ein Kloster gibt. Die Minderheit der deutschen Bevölkerung war dort zweisprachig, verhielt sich nach dem Einmarsch der Wehrmacht neutral, aber ein deutscher Offizier ersetzte den serbischen Bürgermeister durch den sich sträubenden Großvater Beiwinklers. Als sich Partisanengruppen zu bilden begannen, zog seine Familie nach Semlin, aber bald flohen die Franztaler, was die Beiwinklers zur Rückkehr in ihre Heimatgemeinde bewog. In der Karwoche 1945 wurden sie im Sterbelager Mitrowitz interniert, dabei gründlich gefilzt, sogar Goldzähne wurden ihnen gezogen. Es reichte, deutscher Herkunft zu sein, um als schuldig abgestempelt zu werden. Von der schwer verdaulichen und völlig unzureichenden Verpflegung im Lager erfuhren die Amerikaner und schickten Ei- und Milchpulver. Dass er aber drei Jahre der Internierung überlebte, so der Zeitzeuge, sei dem Umstand zu verdanken, dass er heimlich mit anderen Buben außerhalb des Lagers in Hessendorf Nahrungsmittel erbetteln konnte.
Im Saal Batschka traten anschließend die donauschwäbischen Tanz- und Trachtengruppen aus Mosbach, Reutlingen, Speyer und Ulm auf der Bühne auf. Ihre Lebens- und Feierfreude lassen Donauschwaben sich nicht rauben, den düsteren Anlass des Gedenkens überstrahlte das farbenfrohe, der Gegenwart zugewandte Temperament ihrer rhythmisch auch aufs Publikum wirkenden Tänze. Bundesjugendleiterin Maja Kirschenheuter fragte eingangs, warum junge Donauschwaben heute noch Tracht tragen und traditionelle Tänze pflegen – und antwortete: „Weil es uns doch wichtig genug ist, nicht loszulassen, weil wir irgendwie eine kleine Familie mit einem Alleinstellungsmerkmal sind. Und weil es uns eben auch wichtig ist, das zu zeigen, für was unsere Vorfahren gekämpft haben – anzukommen, ein Zuhause zu finden, neu zu beginnen.“ Kirschenheuter kommentierte bei den Auftritten der Gruppen deren Werdegang, Umzüge, an denen sie teilnahmen, Wettbewerbe und Reisen im In- und Ausland, Trachten und Tänze sowie deren Herkunft. Das Publikum lud sie ein, sich von den Tänzen und Klängen zu einer kleinen Reise durch den Lebensraum der Deutschen im Donauraum entführen zu lassen.
Zum fünften Mal – wie zuvor schon zwischen den Themenblocks – traten danach Joana Maranca, die für den BdV im Haus der Heimat in Stuttgart tätig ist, und Stefan Teppert ans Mikrophon, um jeweils ein Gedicht vorzutragen. Teppert, der ehemalige Kulturreferent im Haus der Donauschwaben (1988-1999), hatte zehn zum Anlass passende Poeme von Lyrikern aus allen drei Herkunftsländern ausgesucht, die selbst noch Verbannung und Internierung, Flucht und Vertreibung miterlebt und in konzentrierter Form eingefangen hatten.
Nach Kaffee und donauschwäbischem Kuchen bildete den Schlussakkord dieser Gedenkfeier die Theaterminiatur „Auf den Wogen der Donau“, eigens zu diesem Anlass geschrieben und uraufgeführt von der Theatergruppe „Meine Leute“ aus Eppingen unter der Leitung von Katharina Martin-Viroleinen. Im Stück wird die Geschichte der Donauschwaben in bündige Szenen gesetzt, angefangen von der Auswanderung und Ansiedlung entlang der Donau unter der Herrschaft von Maria Theresia über die dunklen Kapitel der Verschleppung in sowjetische Zwangsarbeit während des Zweiten Weltkriegs und noch lange nach seinem Ende sowie der Vertreibung aus der Heimat bis zu der Spurensuche und Erinnerungsarbeit der jungen Generation in den ehemaligen Siedlungsgebieten ihrer Vorfahren.
Zum Schluss ehrte Jürgen Harich alle im Hintergrund verborgenen Helfer des Hauses der Donauschwaben, die organisatorisch im Vorfeld der Veranstaltung und durch die gute Zusammenarbeit mit dem Bundesverband zum Gelingen des Tages beigetragen hatten, indem er sie nach vorne rief und zusammen mit Waltraud Dinges kleine Geschenke überreichte: an Geschäftsführerin Bettina Schröck, die wissenschaftliche Mitarbeiterin Dr. Danica Trifunjagić, Bibliothekarin Sylvia Hermann und die Hausmeister-Familie Cibić.
Insgesamt hat diese würdige Gedenkfeier exemplarisch gezeigt, dass die Donauschwaben trotz des Verlustes ihrer Heimat und Existenz, trotz schwerster Verbrechen gegen sie bis hin zur Auslöschung eines Drittels der Volksgruppe im ehemaligen Jugoslawien und der nahezu vollständigen Vertreibung aus dem Lande – ein Genozid, dessen Evidenz im Ergebnis eindeutiger kaum sein könnte – zwar keineswegs vergessen konnten, was geschah, sich aber nie von Hass und Rachegelüsten, sondern vielmehr von christlichen Werten, religiöser Zuversicht und Versöhnungsbereitschaft gegenüber den einstigen Nachbarn, vom Willen zu neuem Aufbruch und dem Aufbau eines gemeinsamen Europa leiten ließen – und lassen.
Stefan P. Teppert