Sozialer Wohnungsbau in der jungen Bundesrepublik

Sechsfaches Jubiläum 2021

Die Integration von rund 15 Millionen Deutschen, die innerhalb weniger Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg aus ihrer Heimat im Osten Europas sowie den östlichen Teilen des Deutschen Reichs ins zerstörte West- und Mitteldeutschland geströmt sind, war schwierig und langwierig, aber im Ergebnis erfolgreich. Die Eingliederung so vieler seelisch und körperlich erschöpfter Menschen, die zudem völlig mittellos waren, hätte schon ein intaktes Staatswesen vor kaum lösbare Probleme gestellt. Sie schien in den ersten Jahren schlicht unmöglich. Neben Hunger und Elend herrschte Mangel an Wohnraum. Die Not der Vertriebenen äußerte sich nur deshalb nicht in Tumulten, weil sie in ihren Lagern und Notunterkünften zunächst in eine aus Hoffnungslosigkeit geborene Apathie versanken. Die Wartezeiten für eine Wohnungszuweisung betrugen beispielsweise in Stuttgart bis zu fünf Jahre. Aber statt sich abzukapseln, stellten sich die Heimatvertriebenen den gewaltigen Herausforderungen, bauten sich eine neue Existenz auf, engagierten sich sozial, politisch und kulturell, veränderten und prägten ihr neues Gemeinwesen, bereicherten die Aufnahmegesellschaft mit ihrem technischen, handwerklichen oder akademischen Wissen, mit ihrer interkulturellen Kompetenz, ihrer Mehrsprachigkeit, auch wenn sie zunächst nicht selten auf Ablehnung stießen und lange zwischen die Mahlsteine der politischen Auseinandersetzungen gerieten. Was anfangs unmöglich erschien, gelang zum Erstaunen vieler sowohl in der BRD als auch in der früheren DDR, wenn auch auf höchst unterschiedliche Weise, und gehört rückblickend zu den größten Leistungen der beiden deutschen Nachkriegsgesellschaften.

Eine zentrale Voraussetzung für diesen integrationsbereiten Aufbauwillen war der Soziale Wohnungsbau. Das Heimischwerden der Neubürger im Aufnahmeland ließ sich erst mit der Beendigung ihrer provisorischen Existenz in den Lagern oder sonstigen Einquartierungen, mit dem Einzug in menschenwürdige Wohnungen und dem Bau von Eigenheimen erreichen. Bereits an der Schwelle zur Nachkriegszeit hatte im Mai 1945 eine Gruppe deutscher Politiker im Schweizer Exil zukunftsweisende Vorstellungen. Ihre Köpfe waren der Sozialdemokrat und spätere bayerische Ministerpräsident Wilhelm Hoegner, sein Parteifreund, der legendäre frühere preußische Ministerpräsident Otto Braun, und der ehemalige Reichkanzler Josef Wirth vom Zentrum. Die Exilanten bildeten unter dem Namen „Das Demokratische Deutschland“ eine Arbeitsgruppe und veröffentlichten eine Broschüre mit Grundsätzen und Richtlinien für den Wiederaubau in Deutschland. Dort wurde auch eine besonders zu fördernde Familienpolitik mit der Forderung nach Einfamilienhäusern propagiert.

Nach dem Krieg waren in Westdeutschland und West-Berlin ca. 2,34 Millionen Wohnungen zerstört. Das entsprach etwa 22 Prozent des Wohnungsbestandes im Jahr 1939. Der Bedarf an zu schaffendem Wohnraum wurde auf rund 5 Millionen, ab Anfang der fünfziger Jahre auf 6,5 Millionen Wohnungen geschätzt. Noch vor der Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949 sahen sich die Verantwortlichen in dieser drangvollen Lage zu einer aktiven Wohnungspolitik veranlasst. In den einzelnen Bundesländern wurden die Wohnungsbauprogramme mit unterschiedlicher Intensität, auch in Relation zur Zahl der aufzunehmenden Flüchtlinge und Heimatvertriebenen je Region, angefahren. Weil Schleswig-Holstein deutlich mehr entwurzelte Menschen aufnehmen musste als jedes andere westdeutsche Bundesland, wurde dort auch bereits am 21. Februar 1946 (vor 75 Jahren) in Kiel die „Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen e. V.“ gegründet, um Konstruktionen zu typisieren, Planungsprozesse zu vereinfachen, Abläufe zu beschleunigen und Kosten zu verringern. In Schleswig-Holstein wurde auch das erste Sonderprogramm zum Bau von Flüchtlingswohnungen aus Geldern des Marshall-Plans realisiert.

Unmittelbar nach Kriegsende wurde im Odenwalddorf Hettingen eine Modellsiedlung für Vertriebene konzipiert. Der katholische Hirte des Ortes Heinrich Magnani gründete 1946 (vor 75 Jahren) eine kirchliche Baugenossenschaft, um für die rund 500 Neubürger, die es in die 1.500-Seelen-Gemeinde verschlagen hatte und die direkt bei den Familien im Dorf untergebracht waren, eigene Wohngebäude zu schaffen und so Spannungen abzubauen. „Es lässt sich nicht christlich leben ohne ein eigenes Heim“, war Heinrich Magnanis These. „Zwei Frauen in einer Küche, das gibt Krach.“ Der tatkräftige Geistliche gewann für sein Projekt keinen Geringeren als Architekt Egon Eiermann, der praktisch, innovativ, materialsparend und kostengünstig plante und zwei Typen von jeweils zweiteiligen Reihenhäusern schuf. Die Hettinger Bevölkerung und die katholische Kirche beteiligten sich finanziell am Projekt, während die Vertriebenen, die wenig Kapital einbringen konnten, 1.500 Stunden auf der Baustelle mitarbeiten mussten, um das Anrecht auf ein Haus zu erwerben. Zunächst wurden die Häuser vermietet, im Lauf der Jahre konnten die Bewohner sie mit günstigen Darlehen kaufen. Die ersten 14 Häuser der Siedlung wurden am 17. Oktober 1948 feierlich eingeweiht. Das Werk stärkte den sozialen Zusammenhalt, war ein Vorzeigeprojekt gelungener Integration und fand früh große Anerkennung in Staat und Kirche, sogar der Papst im fernen Rom spendete seinen Segen. Magnanis Projekt machte Schule: Nach dem Vorbild der Siedlungsgemeinschaft in Hettingen wurden noch 25 weitere Genossenschaften in der Erzdiözese Freiburg gegründet. Magnanis Baugenossenschaft erhielt bald den Namen „Neue Heimat“ und wandelte sich zum heutigen „Familienheim“.

Der bauliche Beginn des systematischen Sozialen Wohnungsbaus in der Bundesrepublik Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg fand am 5. März 1950 mit der Grundsteinlegung für eine Großbaustelle in Neumünster durch den SPD-Politiker und ersten Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes Hans Böckler statt, die später nach ihm benannte „Böckler-Siedlung“. Die politischen Rahmenbedingungen für den Wohnungsbau in der Bundesrepublik Deutschland mündeten dann in das I. (1950) und II. (1956) Wohnungsbaugesetz. 1953 rief der niederländische Prämonstratenserpater Werenfried van Straaten den „Internationalen Bauorden“ ins Leben, um Studenten zu motivieren, in Deutschland Flüchtlingen und Vertriebenen beim Bau von familiengerechten Eigenheimen zu helfen. In der DDR blieb der Wohnungsbau staatlich organisiert.

Große Wohnungsnot herrschte vor allem in den Ballungszentren oder in Orten mit Industrie und Arbeitsplätzen, etwa in Stuttgart, wo durch britische und amerikanische Luftangriffe 57,5 Prozent der Bausubstanz zerstört oder beschädigt waren. So waren im November 1945 die für 400 Personen vorgesehenen baufälligen Holzbaracken des Lagers Schlotwiese auf der Gemarkung des Stuttgarter Bezirks Zuffenhausen mit 1.200 volksdeutschen, vor allem aus der Batschka stammenden Menschen zum Bersten überbelegt. Obwohl die Schlotwieser in fürchterlicher Beengtheit hausen mussten, bildete sich allmählich ein funktionsfähiges Gemeinwesen mit selbst entwickelten Verwaltungs-, Wirtschafts- und Kulturstrukturen heraus. Der erste Schritt zur Auflösung dieser Zwischenheimat war die Gründungsversammlung der gemeinnützigen Bau- und Siedlergenossenschaft „Neues Heim“ am 17. November 1948 zusammen mit dem CDU-Stadtrat Dr. Herbert Czaja. Durch den teils mit Eigenleistung ermöglichten Neubau von zunächst 18 Wohnungen in einem Block am Rotweg konnte das erste Kontingent das Lager verlassen. Dieser Neubau wurde eingeweiht von Prof. Dr. Alfons Hufnagel. 1958 waren bereits fast alle Holzbaracken abgerissen.

Ebenfalls in Stuttgart sah der damalige Vorstand der noch jungen sudetendeutschen Ackermann-Gemeinde das Problem des Mangels an Wohnraum und überlegte, wie man Abhilfe schaffen konnte. Die Ackermann-Gemeinde in der Diözese Rottenburg-Stuttgart war 1947 von katholischen Heimatvertriebenen aus Böhmen, Mähren und Österreichisch-Schlesien gegründet worden und war die erste landsmannschaftliche Vereinigung Heimatvertriebener in der amerikanischen Zone. Zu ihren Begründern in Stuttgart und in der Diözese Rottenburg gehörte neben dem Vorsitzenden Heinrich Schubert und anderen auch Dr. Czaja. Im Mai 1952 wagte man einen sehr riskanten Einstieg in den Wohnungsbau. Auf zwei von der Stadt Stuttgart erworbenen Grundstücken in Mühlhausen wurden unter Mithilfe und Eigeninitiative der Käufer vier Riegelfachwerkhäuser mit insgesamt acht Wohneinheiten errichtet. Trotz großer Schwierigkeiten während der Bauzeit konnte die feierliche Einweihung dieser Häuser im Januar 1954 stattfinden. Dank der finanziellen Unterstützung durch die Diözese bei diesem Vorhaben konnte die Ackermann-Gemeinde hier den ersten Schritt auf dem Sektor des Sozialen Wohnungsbaus vollziehen.

Der in der Zwischenzeit gegründete eingetragene Verein plante bereits das zweite Bauvorhaben. Über Beziehungen erreichte der damalige Bundesvorsitzende der Ackermann-Gemeinde, Hans Schütz MdB, ehemals Verbandsobmann der Deutschen Christlichen Gewerkschaften in der Tschechoslowakei, zusammen mit Dr. Herbert Czaja (MdB seit September 1953), dem Motor der Gemeinde im Diözesanverband, beim Bundesfinanzminister Fritz Schäffer, dass der Ackermann-Gemeinde ein bundeseigenes Grundstück auf dem alten Exerzierplatz in Zuffenhausen-Rot als Bauland zur Verfügung gestellt wurde. Mit den Bauarbeiten konnte trotz großer finanzieller Schwierigkeiten im Frühjahr 1955 begonnen werden. In Stuttgart war es das erste Projekt im Sozialen Wohnungsbau.

Dank der großzügigen Hilfe des Augustiner-Konvents, des Diözesansiedlungswerkes und anderer waren die 15 Wohnungen des ersten Bauabschnitts bereits im Dezember 1955 bezugsfertig. Im März 1956 (vor 65 Jahren) konnte dann das ganze Objekt mit 40 Wohnungen fertig gestellt und von dem Vertriebenenreferenten des Rottenburger Domkapitels Domkapitular Prof. Dr. Alfons Hufnagel sowie dem evangelischen Pastor Franz Hein von den Donauschwaben – er nannte sich Bischof – eingeweiht werden. Unter großem persönlichen Einsatz des sudetendeutschen Amtsgerichtsdirektors Dr. Adalbert Langer (Diözesanvorsitzender der Ackermann-Gemeinde) und seines Stellvertreters Dr. Herbert Czaja wurde bei diesem Bauvorhaben die komplette Verwaltungstätigkeit ohne einen Geschäftsführer abgewickelt.

Kurz darauf wurde in Absprache mit dem Rottenburger Weihbischof Dr. Wilhelm Sedlmeier, Prälat Dr. Alfons Hufnagel und dem Flüchtlingsbeauftragten Ministerialrat Edmund Nowotny die Gründung einer eigenen Wohnungsbaugesellschaft festgelegt, der „Ackermann-Gemeinde Wohnungsbaugesellschaft“. Zugleich wurde Herbert Viehmann zum ersten hauptamtlichen Geschäftsführer der neuen Gesellschaft bestellt, später kam Norbert Umlauf hinzu. Das Unternehmen wurde am 5. April 1956 (vor 65 Jahren) gegründet, damals im Handelsregister jedoch als Gesellschaft mit beschränkter Haftung eingetragen. Diese Rechtsform hat man in den Folgejahren zur Co. KG erweitert und sich damit veränderten rechtlichen wie auch zweckdienlichen Bedürfnissen angepasst. Da zunächst keine Sicherheiten vorhanden waren, wurden die Hypotheken für die ersten Bauten der neuen Gesellschaft durch eine von Dr. Hufnagel organisierte Bürgschaft vom Ordinariat abgesichert. Ein Jahrzehnt später wollte das Diözesansiedlungswerk dafür die ganze Ackermann-Gemeinde Wohnungsbau GmbH einkassieren, was aber nicht gelang, denn inzwischen waren die verbürgten Mittel abgezahlt und eine Bürgschaft daher überflüssig geworden.

Die Siedlung der Ackermann-Gemeinde Wohnungsbaugesellschaft in Stuttgart-Steinhaldenfeld, Luftbild: Albrecht Brugger, Stuttgart, freigegeben vom Innenministerium Baden-Württemberg Nr. 2/12527

Geplant von Architekt Anton Wollensak wuchs auf bundeseigenem Gelände in den Jahren 1960/61 in der Falchstraße im Stuttgarter Stadtteil Steinhaldenfeld das erste Hochhaus der Ackermann-Gemeinde aus dem Boden. Sozialwohnungen und Eigenheime entstanden längs der Falch- und der Zuckerbergstraße. Eine ganze Siedlung konnte am 11. September 1961 (vor 60 Jahren) von Weihbischof Dr. Wilhelm Sedlmeier, Domkapitular Dr. Alfons Hufnagel und Dr. Herbert Czaja sowie zahlreichen Ehrengästen, Siedlern und Gemeindemitgliedern eingeweiht werden. Neben dem Hochhaus mit zehn Geschossen bestand die Siedlung damals aus 20 Einfamilienheimen und 120 Mietwohnungen in zwei Wohnblöcken mit je fünf und zwei Blöcken mit je vier Geschossen, 30 Garagen und einem noch im Bau befindlichen Lebensmittelladen. Übereinstimmend mit den Zielen der Ackermann-Gemeinde Wohnungsbau GmbH wurden die modern ausgestatteten Wohnungen zum größten Teil an Spätaussiedler und Flüchtlinge aus Lagern vergeben, in erster Linie waren es junge und kinderreiche Familien. Die Küchen waren vollelektrisch und die Wohnungen mit Ölzentralheizung und Warmwasserversorgung ausgestattet. In den Mietblöcken befanden sich vollautomatische Waschküchen. Durch Grünanlagen und Spielplätze erhielt die Siedlung einen modernen aufgelockerten Charakter. Später kamen weitere Wohnungen und eine Kirche hinzu.

Weihbischof Dr. Wilhelm Sedlmeier bei der Einweihung der Siedlung am 11. September 1961 (Foto: Ackermann-Gemeinde Wohnbaugesellschaft mbH)

Wenige Tage nach dieser Einweihung kam Bundeswohnungsbauminister Paul Lücke, der sich auf einer mehrtägigen Informations- und Vortragsreise durch Baden-Württemberg befand, nach Steinhaldenfeld, wo er sich von Dr. Czaja die neue, auch vom Bund ermöglichte Siedlung zeigen ließ, sich von der regen Bautätigkeit überzeugte und sich mit jungen vertriebenen Siedlern unterhielt, bevor er bei einer Veranstaltung der CDU in Stuttgart zum Thema „Städtebau, Raumordnung und Eigentumsbildung“ in einem Vortrag für die Gründung neuer Siedlungen und Städte in genügend großen Abständen von den überbevölkerten Ballungszentren der Großstädte plädierte.

In seiner Wahlheimat Stuttgart engagierte sich Herbert Czaja unermüdlich im Stadtrat wie auch später im Deutschen Bundestag für die Belange der Flüchtlinge wie Lastenausgleich, Eingliederung, Existenzförderung, Renten, Schul-, Gesundheits- und Familienpolitik. Mit dem Sozialen Wohnungsbau hatte er bis Mitte der 60-er Jahre ein einflussreiches Ressort im Bundestag inne. Diese Ziele verfolgte er u. a. zusammen mit Bundestagskollegen der CDU/CSU-Fraktion wie Fritz Baier, Hermann Götz, Edmund Leukert, Hans Schütz und Josef Stingl, die ebenfalls der Ackermann-Gemeinde angehörten. Eine enge Zusammenarbeit pflegte er mit dem sudetendeutschen Augustinerpater Dr. Paulus Sladek, dem ehemaligen Prager Studentenseelsorger, und dem oberschwäbischen Domkapitular Prof. Alfons Hufnagel, die wie er selbst hervorragende Kenner der scholastischen Theologie waren, besonders des Albertus Magnus und Thomas von Aquin. Geprägt von diesen Kirchenlehrern und der Christlichen Gesellschaftslehre setzten die Freunde neue sozialpolitische Maßstäbe. Czaja hat innerhalb der Ackermann-Gemeinde ein soziales Wohnungsbauunternehmen mit 950 Sozialwohnungen mitbegründet. Neben dem Wohnungsbauunternehmen der Ackermann-Gemeinde in Württemberg widmete sich der Wohnungs- und Siedlungsbau Badische Ackermann-Gemeinde GmbH & Co. KG ausschließlich dem Eigenheimbau. Der badische Zweig des Unternehmens wurde jedoch bereits in den 70-er Jahren eingestellt, während der württembergische auch heute noch existiert. In beiden Gesellschaften war Dr. Czaja Kommanditist und Vorsitzender des Beirates. Er vor allem war es, der dafür gesorgt hat, dass die Sozialwohnungen und Eigenheime preiswert finanziert wurden, so dass auch finanzschwache Heimatvertriebene ihr „Häuschen“ erwerben oder zu günstiger Miete wohnen konnten.

Siedlungshäuser in Stuttgart-Steinhaldenfeld (Foto: Eugen Schusteritsch)

In zahllosen Sitzungen fast während der ganzen zweiten Legislaturperiode des Deutschen Bundestages wurde um das Zweite Wohnungsbau- und Familiengesetz gerungen. Dr. Czaja stritt in vorderster Reihe um eine für sozial Schwache wirklich günstige und vor allem familienfreundliche Fassung des Gesetzes. Dabei hatte er gegen den Widerstand von Interessenverbänden, Ideologen und Spezialisten anzukämpfen. Als schließlich im Juli 1956 (vor 65 Jahren) das Zweite Wohnungsbaugesetz von beiden gesetzgebenden Körperschaften des Bundes verabschiedet wurde und am 1. Juli in Kraft trat, konnte Dr. Czaja, der es entscheidend mitgestaltet hatte, zwar aufatmen, aber er wusste, dass die Wirksamkeit des Gesetzes von dessen Durchführungsweise abhing. Der Kampf um das Familieneigenheim war für ihn keineswegs beendet, vielmehr in sein entscheidendes Stadium getreten. Deshalb veröffentlichte er 1957 die Schrift „Wie kommt man zu einem Familienheim?“, die vier Auflagen erreichte und nicht nur den umfangreichen Gesetzestext enthält, sondern auch Anleitungen für den Eigenheimer, um alle Vorteile ausschöpfen zu können, die das Gesetz bot. Im Familienheim sah Czaja nicht nur einen der gangbarsten Wege zur Eigentumsbildung sowie die Verbindung der Familie mit Natur und Boden, sondern auch ein Stück des Kampfes zur geistigen und sozialen Überwindung des Marxismus-Leninismus, da nur solche Menschen gegen die kommunistische Abschaffung des Privateigentums gefeit seien, die Eigentum besäßen. Demnach ist die öffentliche Förderung des Sparens für ein Eigenheim Teilstück echter Sozialreform.

Im eigenen Haus nahm für die Entwurzelten der Traum von neuer Beheimatung, Freiheit und Eigenständigkeit konkrete Gestalt an. Das Eigenheim symbolisierte einerseits den endgültigen Abschied von der Vorstellung, in die alte Heimat zurückzukehren, andererseits eine optimistische Zukunftshaltung. Es war der sichtbarste Ausdruck der eigenen Innovativkraft und Zugehörigkeit.

Sinn aller Bemühungen Czajas im Wohnungsbauausschuss des Deutschen Bundestages war es, durch soziale Leistungen mehr Chancen und Gerechtigkeit herzustellen. Maßgeblich war er auch an der Einführung des Wohngelds beteiligt, das am 1. April 1965 in seiner ursprünglichen Fassung verabschiedet wurde und zu dem er den ersten Gesetzesentwurf vorgelegt hatte.

Weitere Familienheime baute die Wohnbaugesellschaft der Ackermann-Gemeinde beispielsweise in Stuttgart-Feuerbach, Bretzfeld, Plüderhausen, Großbottwar, Ludwigsburg, Lonsee, Tettnang, Ravensburg, Neuenstein, Afaltrach, Heidenheim, Münsingen, Ulm-Eichenplatz, Herrenberg, Kirchberg an der Jagst, Rot am See und Gosheim. In Stuttgart (Zuffenhausen, Mönchsfeld) und Ravensburg-Mittelösch wurden Mietwohnungen errichtet. In Ludwigsburg-Grünbühl wurde eine Siedlung vor allem für polnische Displaced Persons gebaut. Seit ihrer Gründung errichtet oder erwirbt die Gesellschaft als freies Wohnungsunternehmen Wohnungen im eigenen Namen und verwaltet diese. Daneben kann sie Wohnungsbauten oder Kaufeigenheime betreuen, Kleinsiedlungen oder Wohnanlagen mit Eigentumswohnungen erstellen, verkaufen und verwalten. Das Unternehmen ist ausschließlich darauf ausgerichtet, zweckmäßig ausgestattete Wohnungen und Eigenheime zu angemessenen Preisen für wohnungssuchende Familien zu schaffen. Dieses Prinzip der Gesellschaft hat sich bis heute nur unwesentlich verändert.

Die Geschäfte der Ackermann-Gemeinde Wohnungsbaugesellschaft mbH & Co. KG werden durch die persönlich haftende Gesellschafterin, die Eigenheim-Wohnungsbau- und Verwaltungs-GmbH, geführt. Der Aktionsbereich umfasst primär das Gebiet Baden-Württemberg. Die Aktivitäten konzentrieren sich vorwiegend auf den Raum Stuttgart-Ludwigsburg. Auch auf dem Sektor Altenwohnungen wurde die Ackermann-Gemeinde tätig. So wurden sowohl im Raum Stuttgart als auch in Biberach zwei große Projekte speziell mit Wohnungen für ältere Mitbürger gebaut.

Die Ackermann-Gemeinde Wohnungsbaugesellschaft ist bis heute tätig und will sich auch in Zukunft im Sozialen Wohnungsbau engagieren, um zum Abbau der immer noch und neuerdings in verstärktem Maße bestehenden Wohnungsknappheit beizutragen. Diese Knappheit entsteht vor allem durch Zuwanderung und den Zuzug von Fachkräften aus dem Ausland. Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) berechnete einen Neubaubedarf für das gesamte Bundesgebiet von 2015 bis 2030 von 230.000 Wohneinheiten pro Jahr. Nach anderen Prognosen liegt der Bedarf sogar bei bis zu 341.700 Wohneinheiten pro Jahr.

Stefan P. Teppert