Am 29. April setzten die Föderalistische Union Europäischer Nationalitäten (FUEN) und die Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen ihre seit Oktober 2020 laufende Konferenzreihe „Minderheitenschutz und Volksgruppen-rechte in Mittel- und Mittelosteuropa“ fort. Diesmal standen Estland, Ukraine und Bulgarien in Mittelpunkt. In zehnminütigen Referaten sprachen Expertinnen und Experten über den aktuellen rechtlichen und praktischen Umgang mit Minderheitenrechten in diesen Ländern. Anschließend kam auch das Publikum zu Wort und konnte landesspezifische Problemfälle ansprechen.
Zum Anfang der Online-Konferenz, die live auch auf dem Youtube-Kanal der FUEN gestreamt wurde, fasst der Staats- und Völkerrechtler Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Gilbert Gornig die bisherigen Konferenzergebnisse zusammen. Obwohl dies der vorerst letzte Termin sei, gebe es noch viele weitere Länder zu besprechen und so hoffe er auf ein baldiges Wiedersehen mit diesem Konferenzformat, sagte er.
Anschließend sprach Sylvia Lehmann, MdB, in ihrem Grußwort über die Bedeutung des Minderheitenschutzes. „Es gilt, Minderheitenpolitik als aktive Friedenspolitik anzugehen“, sagte sie. Gerade in einer Staatengemeinschaft wie der EU, mit über 50 Millionen Angehörigen nationaler Minderheiten, bedeute das, sich vorbehaltlos für Minderheitenrechte zu engagieren. Die gleichberechtigte Teilhabe sei jedoch auch in der EU noch nicht überall selbstverständlich. Die Minority Safepack-Initiative der FUEN stelle daher einen wichtigen Schritt zur Schaffung von europäischen Standards dar und sollte durch die Europäische Kommission erneut aufgegriffen werden.
Danach übernahm Prof. Dr. Peter Hilpold von der Universität Innsbruck die Moderation der Veranstaltung. Der Rechtwissenschaftler und Minderheitenrechtsexperte hatte bereits im Februar in diesem Konferenzformat über die rechtliche Lage von Minderheiten in Österreich referiert.
Prof. Vello Pettai, Direktor des Europäischen Zentrums für Minderheitenfragen (ECMI), stellte im ersten Themenblock des Tages die rechtliche Situation des Minderheitenschutzes in Estland vor. Nach der wiedererlangten Unabhängigkeit des Landes 1991 habe Estland historisch gewachsene Systeme der kulturellen Autonomie für seine Minderheiten wiederbelebt, die jedoch bald an ihre Grenzen stießen. Zwar seien das Recht auf die Bewahrung der eigenen ethnischen Identität und Sprache in der Verfassung verankert, besonders die etwa 25 Prozent der Bevölkerung, die sich zur russischen Minderheit zählten, hätten bei der Umsetzung ihrer Sprachenrechte nicht überall im Land die gleichen Chancen, erklärt Pettai.
Der praktischen Umsetzung der gesetzlichen Rechte widmete sich Natalia Ermakov, die Vorsitzende der Estnischen Union nationaler Minderheiten. Sie unterstrich, dass alle Minderheiten in Estland die gleichen Möglichkeiten bei der Teilnahme am kulturellen Leben haben und der Staat ihre Aktivitäten fördert. Auch Minderheitensprachen könne man oft im Behördenverkehr nutzen und gerade in der aktuellen Corona-Krise hätten die Ämter mehrsprachige Beratungen angeboten. Im hochgradig digitalisierten Land seien zudem viele Behördenwebseiten mittlerweile dreisprachig und neben Estnisch auch auf Englisch und Russisch verfügbar.
In der anschließenden, offenen Diskussion wurde von Zuschauern die Frage aufgeworfen, ob Estland eine zweite offizielle Landessprache festlegen sollte. Man müsse mehr nach einer Balance im Lande suchen, um nicht durch die einseitige Stärkung des Estnischen andere Sprachen zu verdrängen, wurde angemerkt. Natalia Ermakov stimmte zu, dass die Sprachsituation ausbaufähig ist, gab jedoch zu bedenken, dass es bereits Schulen mit Minderheitensprachenunterricht, Medien und Kulturzentren für die Minderheiten in Estland gibt.
Für die Ukraine konnte Prof. Dr. Andrij Kudrjačenko von der Universität Kiew auf ein gesetzlich verankertes Recht auf das Erlernen der Muttersprache in Schulen und Universitäten verweisen. Auch die Ukraine hatte zur Zeit der Sowjetunion eine starke Verschiebung zugunsten der russischen Sprache erlebt. Darum war nach ihrer erneuerten Unabhängigkeit 1991 großer Wert auf die Festigung des Ukrainischen im Alltag gelegt worden. Die etwa 130 Nationalitäten und nationalen Gruppen im Land seien trotz politisch instrumentalisierter Sprachengesetze jedoch weiterhin gesetzlich in der Ausübung ihrer Kultur geschützt.
Die praktische Verwirklichung der staatlichen Vorgaben beleuchtete Dr. Olena Bogdan, Direktorin des staatlichen Dienstes der Ukraine für ethnische Angelegenheiten und Gewissensfreiheit. Studien wiesen darauf hin, sagte sie, dass viele Menschen mittlerweile keine eindeutige Identifikation mit einer Volksgruppe anstrebten, sondern sich multiple ethnische Identitäten zueigneten. In der Ukraine seien Informationen und Lehrbücher ebenso in verschiedenen Sprachen zugänglich wie auch Minderheitenmedien. Die regionale Kompetenz dieser Medien sei gegenüber dem großen Angebot aus dem Ausland ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal.
Insbesondere über die Lage der ungarischen Minderheit in der Ukraine sprach dann Prof. Dr. István Csernicskó, Rektor des Transkarpatischen Ungarischen Hochschulkollegs Ferenc Rákóczi II in Berehowe. Er bedauerte, dass die Ukraine sich nicht an die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen halte. Man habe etwa durch die Schaffung des Amtes eines Beauftragten zum Schutz der Landessprache die Politisierung des Themas vorangetrieben und nun zudem neue Gesetze auf den Weg gebracht, die etwa zweisprachige Orts- und Straßenschilder in Zukunft auch dort verbieten würden, wo es sie heute noch gibt. Damit solle die Wahl der Umgangssprache zum Ukrainischen gelenkt werden.
Dr. Alexey Pamporov von der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften erklärte anschließend die rechtliche Lage der Minderheiten in Bulgarien. Die Minderheitenpolitik des Landes basiere auf einem sehr restriktiven Zensus, der eine realitätsnahe Selbstverortung der Befragten nur unzureichend gestatte. Die Zahlen, die so auch an die EU weiterleitet würden, seien dementsprechend wenig aussagekräftig und sorgten für ein verzerrtes Bild der Bedarfslage in Bezug auf Minderheitenschutz. Politische Teilhabe sei durch ein Verbot von ethnisch oder religiös basierten Parteien zudem nur über etablierte Parteien möglich.
Auch Rakovsky Lashev, Leitender Diplomat im bulgarischen Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, sprach über die Einschränkungen im politischen Prozess. Zwar seien Wahlen und Wahlwerbung nur auf Bulgarisch vorgesehen, Diskussionen zu politischen Fragen seien davon aber nicht betroffen. Die Inklusion der Minderheiten sei durchaus gewollt, hänge aber nicht von der Anerkennung als Minderheit ab. Darum definiere man im Land Minderheitensprachen auch als „Muttersprachen“ und Minderheiten als „ethnische Gruppen“.
Zum vorläufigen Abschluss der Konferenzreihe dankten Éva Adél Pénzes, FUEN Generalsekretärin, und Thomas Konhäuser, Geschäftsführer der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen, den Referentinnen und Referenten. Beide betonten die hohe Bedeutung des Minderheitenschutzes und die Notwendigkeit, dieses Thema immer wieder mit aktuellen, vergleichenden Informationen ins Gespräch zu bringen. Thomas Konhäuser brachte dafür die Idee eines zukünftigen Fachsymposiums ein, das die Kompetenzen zu Minderheitenschutz und Volksgruppenrechten in Mittel- und Mittelosteuropa bündeln helfen könnte. Zunächst sei aber ein wissenschaftlicher Tagungsband geplant, der die in der Konferenzreihe besprochenen Themenkomplexe sammelt.
Abschließend dankten die Veranstalter dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat und dem Amt des Ministerpräsidenten der Republik Ungarn für die Unterstützung der Konferenzreihe.
- Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen
Die Aufzeichnung der Konferenz wird auf den Youtube-Kanälen der FUEN ( https://bit.ly/3ky0dZl ) und der Kulturstiftung ( https://bit.ly/kulturstiftungvideo ) abrufbar sein.
Weitere Informationen zu den Expertinnen und Experten und zum Konferenzprogramm finden Sie auf: https://minorityconf.org/
Der Text der Pressemitteilung als pdf:
2021-04-30-Pressemitteilung-KS-07-Tagung-Minderheitenschutz3