Biographie

Herzlieb, Minna

Herkunft: Ostbrandenburg
Beruf: Freundin Goethes
* 22. Mai 1789 in Züllichau/Neumark
† 10. Juli 1865 in Görlitz

„Ein Strahl der Dichtersonne fiel auf sie, der ihr Unsterblichkeit verlieh.“

Dieses Wort auf Friederike Brions Grabstein mag auch für einige andere Frauengestalten gelten, die Johann Wolfgang von Goethe leuchtend umkränzten. Wie z.B. Ulrike von Levetzow, Charlotte von Stein, Marianne von Willemer. Nicht ganz so im Vordergrund wie die Genannten stand auch ein Sprösslein aus Züllichau (Ostbrandenburg, seit 1945 polnisch Sulechów): Wilhelmine Herzlieb.

Wie kam es dazu, dass die Tochter des Züllichauer Pfarrers Herzlieb in der Gedankenwelt des großen Weimarer Poeten bald eine Rolle spielte? Wilhelmine (Minna, Minchen) war vier Jahre alt, als ihre Eltern kurz hintereinander an Schwindsucht starben. Die Vollwaise wurde von der Familie des Buchverlegers Carl Friedrich Frommann aufgenommen und zog als Pflegetochter mit nach Jena, wohin Frommann seine Firma 1798 verlegt hatte. Bald gingen in der Universitätsstadt an der Saale im gastfreien Hause des Verlegers viele Dichter und Philosophen ein und aus. Unter ihnen auch der Weimarer Goethe, um mit Frommann den Druck seiner Werke zu besprechen.

In diesem kulturreichen Umfeld wuchs Minchen zusammen mit den Kindern ihrer Pflegeeltern heran. Den sich väterlich gebenden 50jährigen Besucher aus Weimar nannte sie „den lieben alten Herren“. In einem 1936 in den Züllichauer Nachrichten veröffentlichten Artikel heißt es: „Minna ist eine zarte, entzückende Schönheit. Als Goethe die jetzt Achtzehnjährige in Jena wiedersah – Minna hatte inzwischen eine längere Zeit bei Verwandten in Züllichau gelebt – war der Eindruck, den das reizend erblühte Mädchen auf ihn machte, überwältigend. Die Ehrfurcht vor ihrer reinen Seele ließ ihn keine engere Annäherung wagen, war doch das Einverständnis ihrer Herzen süßschmerzliches Glück genug.“ Soweit das Zeitungszitat. Von den zahlreichen Anspielungen auf die geheimnisvolle Anziehungskraft, die von der hübschen großäugigen Züllichauerin ausging, können hier leider nur wenige Beispiele angeführt werden. Goethe widmete ihr neben Gedichten (Wachstum, Scharade) z.B folgenden Vers:

Die Sterne, die begehrt man nicht.
Man freut sich ihrer Pracht,
Und mit Entzücken blickt man auf
In jeder heitern Nacht.

Und als seine Wahlverwandtschaften das Licht der Welt erblickt hatten, da waren sich viele Literaten einig, dass der Dichterfürst Minchen in der Gestalt der Ottilie ein Denkmal gesetzt hatte. Zweiflern entgegneten sie u.a. mit: „Beide haben früh den Vater verloren, kurz danach die Mutter, sind mittellose Waisen, von befreundeten Familien aufgenommen, innerliche Naturen, beide gehen einem tragischen Schicksal entgegen.“ Und auch in seiner Dichtung Pandora wurden die inneren Beziehungen Goethes zu Minchen deutlich (Vers 2 u.3):

Der Seligkeit Fülle, die hab ich empfunden,
Die Schönheit besaß ich, sie hat mich gebunden,
Im Frühlingsgefolge trat herrlich sie an.
Sie steiget hernieder in tausend Gebilden …
Und einzig veredelt die Form den Gehalt,
Verleiht ihm, verleiht sich die höchste Gewalt,
Mir erschien sie in Jugend, in Frauengestalt.

Das Anhimmeln aus Dichtermund, hielt es Minchen davon ab, auf Romanzen einzugehen? Keineswegs. So verliebte sie sich z.B. während eines langen Aufenthalts in Züllichau in den Gymnasiasten Hans-Christian von Schweinitz. Nach einem Tanzabend mit dem schlesischen Adligen schrieb sie an eine Freundin: „Denk Dir, dass ich ihm neun Küsse gegeben habe und vier Quadrillen mit ihm tanzte.“

Doch seine Mutter war gegen die Verbindung mit der armen Minna, nahm ihren Sohn von der Schule und schickte ihn zur weiteren Bildung nach Leipzig. Als v. Schweinitz Minchen nach längerer Zeit hoffnungsfroh in Jena aufsuchte, wird er kühl abgewiesen, denn seine Schülerliebe hatte sich inzwischen mit dem Gymnasiallehrer Joh. Gottfried Pfundt verlobt. Aus einer Heirat wurde jedoch nichts, denn der Verlobte musste zum Landsturm, als 1812 die Befreiungskriege begannen. Als Pfundt nach seiner Entlassung nach Jena eilte, erklärt Minna dem Schockierten, sie liebe ihn nicht und könne ihn nicht heiraten. Erste Anzeichen einer beginnenden Gemütskrankheit? Die Pflegeeltern waren jedenfalls entsetzt, da sie gehofft hatten, die 25Jährige würde nun endlich eine respektable Ehe eingehen. Sie mussten noch sieben Jahre warten, bis die nunmehr 32Jährige auf einer festlichen Veranstaltung der Universität den Obergerichtsrat Prof. Dr. Carl Wilhelm Walch kennenlernte. Seinen dritten Heiratsantrag nahm sie schließlich an – von Torschlusspanik geplagt?

Vor dem Altar stand ein ungleiches Paar. Hier die schöne schlanke Minna, daneben der kleine, etwas verwachsene Endvierziger. Zur Trauung am 24. September 1821 war auch Goethe nach Jena gekommen. Es war wohl die letzte Begegnung der „Herzlieben“. Die Hochzeitsnacht verbrachte Minna allein auf ihrem Zimmer in der Villa ihres Angetrauten. Sie ging ihrem Ehemann aus dem Weg, wo immer sie konnte, und reiste bald wieder für Monate zu ihren Verwandten nach Züllichau. Zusammen wurde das Ehepaar Walch in Jena daher nur selten gesehen. Es waren nervende unglückliche Jahre, die für Minna 1853 mit dem Tod des 77jährigen Prof. Walch endeten. Die 64 Jahre alte Witwe – nunmehr mit einer guten Pension ausgestattet – unternahm viele Reisen und konnte sich lange Kuraufenthalte in Sanatorien leisten, um ihre stärker werdenden Depressionen zu lindern. Im Mai 1864 bezog sie ein Zimmer in der neuen Nervenklinik des Dr. Reimer am Rande von Görlitz, wo sie ein Jahr später geistig umnachtet nach einem Schlaganfall am 10. Juli 1865 gestorben ist. Die Malerin Luise Seidler (1786-1868) – das beigegebene Herzlieb-Portrait stammt von ihr – widmete ihr folgende Gedanken:

„Sie war geboren, andre zu beglücken,
Und fand selbst kein Glück.“

Was außer Dichterworten erinnert noch heute an die zarte unschuldige Liebesgeschichte zwischen dem Weimarer Dichterfürsten Goethe und dem Züllichauer Waisenkind Minna Herzlieb? Die bis 1945 in ihrem Geburtsort existierende Herzlieb-Abteilung im Heimatmuseum wurde restlos geplündert. Schrifttum, Bilder und Exponate, die in einer Verbindung zu Herzlieb-Goethe standen, sind verschwunden! Es ist Görlitzer Goethe-Freunden zu verdanken, dass wenigstens ihr Grab auf dem alten Teil des Stadtfriedhofs noch besteht. Es liegt in einer kleinen, von einer Mauer umschlossenen Anlage und wird von einer mächtigen Linde überkront. Am das Grab schützenden Eisengitter befindet sich eine von Goethe-Freunden 1965 anlässlich Minnas 100. Todestages gestiftete Metall-Tafel mit dem Spruch:

„Göthe’s Liebe verklärte Dir einst die glückliche Jugend
Göthe-Liebe schmückt Dir das erlösende Grab.“

Auf Initiative des Görlitzer Theater- und Musikvereins wurde 2005 anlässlich des 140. Todestages Minna Herzliebs Ruhestätte neugestaltet. Görlitz hat nun einen würdevollen Gedenkort an die junge Goethe-Muse.

Lit.: Paul Kühn, Die Frauen um Goethe. – Hannelore Lauerwald, Goethes Minchen in Görlitz. – Heimatbrief des Kreises Züllichau-Schwiebus. – Flyer des Theater- und Musikvereins Görlitz.

Bild: Ölgemälde von Luise Seidler, Goethe-Nationalmuseum in Weimar.

Lothar Meißner