Biographie

Blumentritt, Ferdinand

Herkunft: Sudeten (Böhmen u. Mähren, österr. Schlesien)
Beruf: Philippinenforscher
* 10. September 1853 in Prag
† 20. September 1913 in Leitmeritz/Böhmen

Das böhmische Leitmeritz an der Elbe hat heute eine Partnerstadt auf den Philippinen und Gedenktafeln für den philippinischen Unabhängigkeitskämpfer José Rizal. Grund dafür ist Ferdinand Blumentritt. Er wurde in Prag am 10. September 1853 geboren, kam aber als 24-jähriger Lehrer an die Oberrealschule nach Leitmeritz, wo er zeitlebens blieb und 1913, zehn Tage nach seinem 60. Geburtstag starb.

In Ostasien, in der Welt der 7.000 Inseln der Philippinen kennt ihn noch heute jedes Kind. Der Außenminister der Republik Österreich von 1976 bis 1983, Willibald Pahr, der auch Vorsitzender der Internationalen Kambodscha-Konferenz war, schreibt: „Als ich 1982 die Philippinen besuchte, war ich überrascht, wie lebendig die Gestalt des Gymnasialdirektors Ferdinand Blumentritt und die Geschichte der Freundschaft Blumentritts mit dem philippinischen Nationalhelden José Rizal im Bewusstsein der philippinischen Bevölkerung sind.“ Und sein philippinischer Kollege Außenminister Carlos P. Romulo stellte fest: „Es gehört zur Ironie der Geschichte, dass Dr. Ferdinand Blumentritt auf den Philippinen besser bekannt ist als in seinem heimatlichen Österreich.“ Wir fügen hinzu: „Als in seinem heimatlichen Böhmen.“ Nach Ferdinand Blumentritt sind nicht nur in der Hauptstadt Manila, sondern in fast allen Provinzhauptstädten Straßen, Plätze, Brücken und Gebäude benannt. Es gibt Haltestellen, Apotheken und Restaurants, die seinen Namen tragen. Blumentritt ist bis heute Ehrenbürger verschiedener philippinischer Städte. Schon einige Monate nach seinem Tode wird in Manila die Blumentritt-Gesellschaft gegründet und beschließt das Parlament die Herausgabe einer Festschrift für „Professor Blumentritt, den Förderer der Freiheit und des Fortschritts auf den Philippinen.“

Woher kam die Vorliebe Blumentritts für die Philippinen? Die Großmutter seines Vaters soll von einem spanischen Gouverneur der Philippinen abgestammt haben und eine Tante seines Vaters war die Witwe eines Kreolen, der in der Schlacht von Ayacucho 1824 in Peru fiel. „Diese Tante übersiedelte nach Prag und ich empfing in ihrem Hause jene Eindrücke, die mein Leben bestimmte: die Liebe zur spanischen Kolonialwelt,“ schreibt Blumentritt.

Als ausgezeichneter Schulmann und als Kommunalpolitiker in der Gemeindevertretung von Leitmeritz, als Direktor der Oberrealschule und Mitglied gelehrter Gesellschaften verfasste Blumentritt zahlreiche Werke über die Philippinen und stand seit 1886 in enger brieflicher Verbindung mit Vertretern der philippinischen Unabhängigkeitsbewegung, darunter ihrem Führer José Rizal. Mit dessen Geburtsstadt Calamba auf den Philippinen hat Leitmeritz heute eine Partnerschaft.

Rizal war sprachenbegabt und übersetzte aus dem Lateinischen, Griechischen, Arabischen, Russischen, Chinesischen und anderen Sprachen. Er korrespondierte in Spanisch, Französisch, Italienisch, Englisch und Deutsch. Sein Ziel war die Unabhängigkeit seiner Heimat von der spanischen Kolonialherrschaft. Dafür gewann er in Ferdinand Blumentritt seinen treusten Gefährten.

Es war ein ungleiches Freundes-, ja Brüderpaar: Der acht Jahre ältere k.k.-Beamte und loyale Untertan aus Böhmen und der revolutionäre Kämpfer gegen Reichtum und weltliche Allmacht der Kirche in Manila. Das war kein Hindernis, „dass im verschlafenen Leitmeritz ein Zentrum der philippinischen Revolution entstand … in der kleinen Dienstwohnung von Blumentritt, die zum Treffpunkt der Exilfilipinos wurde“ (Hary Sichrowsky). 1887 war Rizal auf seiner Europareise Gast in Leitmeritz, wo er und seine Begleiter vier Tage mitten im Böhmischen mit heimischen Spezialitäten der Philippinen verwöhnt wurden: Es gab Adoba, Lechon, Lumpia, Paella u.a. typische Gerichte der Philippinen. Verschiedene Leitmeritzer und Prager Zeitungen berichteten über diesen Besuch. Am Sgrafittohaus „Zum Schwarzen Adler“ auf dem Leitmeritzer Hauptplatz erinnert heute eine Tafel daran.

In zahlreichen Büchern und Aufsätzen – insgesamt werden ihm 284 Veröffentlichungen und 11 Landkarten zugeschrieben – behandelte Blumentritt dieses ferne Land, das er selbst nie besuchte. Zu seinen Hauptwerken zählen Der Tratato Anomino über den Aufstand der Comuneros gegen Kaiser Karl V. (1887), Vokabular einzelner Ausdrücke und Redensarten, welche dem Spanischen der Philippinischen Inseln eigen sind (1882), Versuch einer Ethnographie der Philippinen (1882), Diccionario mitologico de Filipinas (1896), Die Chinesen auf den Philippinen und Holländische Angriffe auf die Philippinen im 16., 17. und 18. Jahrhundert. Er beherrschte außer Spanisch auch das Tagalische perfekt. Mit zahlreichen Auszeichnungen wurde sein Wirken gewürdigt. So erhielt er das Ritterkreuz des Ordens Isabellas der Katholischen (1888), wurde Ehrenmitglied der königlichen Gesellschaft der Vaterlandsfreunde in Manila, der Gesellschaft der Handelsgeographie in Madrid, der K.k. Geographischen Gesellschaft in Wien und des Militärwissenschaftlichen Vereins in Theresienstadt.

Sein Freund, der Revolutionär und Freiheitskämpfer Rizal war von Beruf Arzt, aber er schrieb auch zwei Romane, die von den Mönchen der Philippinen als „antikatholisch, protestantisch, sozialistisch und proudhonistisch“ verketzert werden. Blumentritt verteidigt sie, denn er ist davon begeistert. Er hält Vorträge darüber und muss sich selber verteidigen, weil er den Roman Noli me tangere ins Deutsche übersetzen will. Schwer trifft Blumentritt deshalb die Nachricht von der Verhaftung und Verbannung Rizals. 1896 wird Rizal schließlich hingerichtet. In seinem Abschiedsbrief schreibt er an Blumentritt: „Mein lieber Bruder, wenn Du diesen Brief erhalten hast, bin ich schon tot. Morgen um sieben Uhr werde ich erschossen.“ Den Schock über den Verlust hat Blumentritt nie überwunden, aber er führt das Anliegen Rizals weiter und gilt als profilierter Vorkämpfer der philippinischen Unabhängigkeit. Es kommen auch nach Rizals Tod weiterhin Filipinos nach Leitmeritz, die später zu den Schöpfern der Republik gehören. Der Maler Juan Luna schenkt Blumentritt ein Bild, das die Flagge der Philippinen über der Elbe und den Hügeln von Leitmeritz zeigt.

Im Spanisch-amerikanischen Krieg 1898 wird zwar die spanische Herrschaft beendet, aber nun okkupieren die USA praktisch die Philippinen. Blumentritt unterstützt offen die Freiheitskämpfer, die nun statt der Spanier die Amerikaner als Besatzer haben. „Man hatte Blumentritt als Autorität angerufen, als man die Auseinandersetzungen zwischen den Amerikanern und den Philippinos bereinigen wollte, und Leitmeritz wäre beinahe zum Ort des Friedensschlusses im Jahre 1898 geworden“ (Rudolf Hemmerle). Als österreichischem Beamter war aber Blumentritt die Rolle eines Schiedsrichters versagt. Dass er weiterhin die Sympathien der philippinischen Bevölkerung genoss, zeigt sein Tod. Als Blumentritt 1913 stirbt, trauern alle Filipinos; die spanischen und tagalischen Zeitungen sprechen von einem „unermesslichen Verlust.“ Erst 1946 wird das Land wirklich unabhängig.

Bild: Zeichnung von Juan Luna, 1899.

Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Ferdinand_Blumentritt

Rudolf Grulich