Biographie

Dohna-Schlobitten, Heinrich Burggraf und Graf zu

Herkunft: Ostpreußen
Beruf: Generalmajor, Landwirt, Widerstandskämpfer
* 15. Oktober 1882 in Waldburg/Königsberg i.Pr.
† 14. September 1944 in Berlin-Plötzensee

Rückblickend hat der Theologe Hans-Joachim Iwand (1899-1960), mit dem Graf zu Dohna viele Kontakte gehabt hatte, nach dem mißglückten Attentat vom 20. Juli 1944 formuliert, als der Graf und seine Frau bald danach verhaftet wurden: „Als wir hörten, daß Graf Heinrich zu Dohna, Tolksdorf im Verfolg der Aktion des 20. Juli 1944 mit seiner Gattin verhaftet worden war, wußten wir, daß hiermit ein Leben seinen Abschluß fand, das bemüht gewesen war, die besten Traditionen des ostpreußischen Adels … zu verkörpern und … zum Einsatz zu bringen, … Kirche und Staat, Gottes Wort und die Heimat – um diese Einheit ging es ihm in seinem Leben, aber doch so, daß Gott das erste Wort hatte“.

Dass sein Leben einmal in dieser Weise enden würde, war nicht vorauszusehen gewesen, als er noch in kaiserlicher Zeit seine erste militärische Ausbildung erhalten hatte, nachdem eine Sehbehinderung ein zunächst angestrebtes vermutlich geisteswissenschaft­liches Studium verhindert hatte. Geboren und aufgewachsen ist er auf dem elterlichen Gut bei Königsberg, stark beeinflusst hat ihn der christliche Glaube seiner Mutter. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs hat er die militärische Lauf­bahn, zeitweilig beim Generalstab, verlassen, um Landwirtschaft zu lernen. Er strebte danach, im Kreis Rastenburg das Gut Tolksdorf seiner Schwiegereltern von Borcke zu übernehmen. Als Major a.D. begann er nun Landwirtschaft zu lernen, zunächst als Lehrling bei einem westpreußischen Großbauern, ehe er später neben der weiteren Ausbildung einige Semester in Königsberg studierte. Es entsprach seiner kritischen Einstellung zu einigen Traditionen, dass er es ablehnte, in ein studentisches Corps einzutreten. Nachdem er zunächst mit seiner verwitweten Mutter das Gut Maulen bewohnt hatte, lebte er dann zunächst mit seiner werdenden Familie 1922-1929 im Gutshaus Seepothen, ehe 1927 nach dem Tode seines Schwiegervaters seine Frau als Erbin und er dessen Gut Tolksdorf übernahmen, wohin sie mit ihren inzwischen vier Kindern 1929 in das erneuerte Gutshaus übersiedelten. Graf zu Dohna gelang es, in verhältnismäßig kurzer Zeit den Betrieb zu sanieren, ohne die staatliche „Osthilfe“ in Anspruch zu nehmen. Auch mit seinen Erfolgen in der Pferdezucht hatte er im Kreis Rastenburg ein gutes Ansehen.

Dieses war bald so groß, dass ihm in Kreis und Provinz zahlreiche Ehrenämter angetragen wurden. Nach Kriegsende schrieb dazu lobend der frühere Landrat Dodo Freiherr zu Inn- und Knyp­hausen (1877-1967): „Sein Gerechtigkeitssinn, sein soziales Gewissen, seine Wahrheitsliebe waren unerschütterlich. So war es kein Wunder, daß er bald von weiten Kreisen der Provinz als eine Persönlichkeit geachtet, sein kluger Rat überall geschätzt wurde, und er in vieler Augen als einer der besten Männer Ostpreußens galt; — wenn er gebraucht wurde, war er zur Stelle und setzte sich dann auch mit Wärme, Tatkraft und mit klugem abgewogenem Rat für die Sache ein.“ Als dieser Landrat nach über zweijahrzehntelanger erfolgreicher Amtszeit Ende 1934 vom nationalsozialistischen Innenminister Wilhelm Frick aus politischen Gründen vorzeitig in den Ruhestand geschickt wurde, wollte Graf zu Dohna aus Protest sich aus dem Kreisausschuss ebenfalls zurückziehen. Obwohl er nicht bereit war, in die NSDAP einzutreten, ließ er sich, um dem Gemein­wohl weiterhin zu dienen, zum Bleiben bewegen, zumal der neue Landrat als reiner Parteifunktionär sein Amt nicht gut ausfüllen konnte. Die Gegnerschaft gegen die NSDAP als politischer Kraft und als Ideologie hatte sich bei Graf zu Dohna wie auch bei seiner Frau nachweisbar schon seit 1930 entwickelt. Daher missbilligte er die Politik der Deutsch-Nationalen Volkspartei (DNVP) unter Hugenberg, die zur Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten bereit war und 1933 mit deren Parteiführer Hitler eine erste Koalition bildete. Graf zu Dohna versuchte ihm bekannte einflussreiche Persönlichkeiten vor den Gefahren zu warnen, die von Hitler ausgehen würden.

Da Graf zu Dohna schon vor dem nationalsozialistischen Kirchen­kampf Verantwortung in der Kirche übernommen hatte – so gehörte er seit 1929 dem Vorstand der Carlshöfer Anstalten an bis zu deren Auflösung 1939 – hat er nach der nationalsozialistischen Machtergreifung 1933 die Bedrohung des kirchlichen Lebens wegen deren antichristlichem Charakter zu spüren bekommen. In den sogenannten „zerstörten“ Kirchen, in denen bald die „Deutschen Christen“ als Parteigänger der nationalsozialistischen Regierung eine Mehrheit in den Kirchenleitungen hatten erringen können wie in allen preußischen Provinzialkirchen, entstanden dagegen im Widerstand staatlich nicht anerkannte „Bekennende Kirchen“ – so auch in Ostpreußen. Diese wurde von einem aus Theologen und Nichttheologen bestehenden Bruderrat geleitet, dem Graf zu Dohna von Anfang an angehört hat. In der Auseinandersetzung mit den Deutschen Christen gab es Beziehungen zu anderen Kirchen; er vertrat Ostpreußen im Juli 1935 auf dem „Lutherischen Tag“ in Hannover und auf der anschließenden Bekenntnissynode im Februar 1936 in Bad Oeynhausen. Seine dabei vertretene Haltung charakterisierte später der oben zitierte Theologe Hans-Joachim Iwand: „Er gehörte zu jenen Männern, die noch so viel Wurzel hatten, um wesenhaft, abseits von allen Überlegungen Nein zu sagen. Graf Dohna mag es gegangen sein, wie vielen von uns, dass wir erst wußten, wo wir zu stehen hatten, als vom Glauben her im Bekenntnis dieses Glaubens die Opposition als eine von Gott her gebotene erkannt wurde.“ In diesem Sinne haben Graf zu Dohna und seine Frau auch ihre heranwachsenden Kinder erzogen, um zu verhindern, dass diese deutsch­christ­lichen oder anderen nationalsozialistischen Vorstellungen verfallen könnten. Er unterstützte Iwand, der seit 1935 zunehmend von den nationalsozialistischen Behörden mit Verboten in seiner Wirksamkeit eingeschränkt wurde. So war er dabei, als im Januar 1936 das „illegale“ Predigerseminar in Bloestau im Samland eingeweiht wurde. Später hat er es riskiert, Iwand in sein Gut einzuladen, damit dieser vor einer größeren Gruppe von Menschen vortragen könne. Auch setzte er sich für die Freilassung verhafteter Pfarrer ein, was politisch nicht ungefährlich war.

Obwohl den nationalsozialistischen Behörden die politische und christliche Haltung von Graf zu Dohna bekannt sein musste, wurde er seit 1937 zu Wehrübungen herangezogen, so dass er noch vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zum Chef des General­stabs des Stellvertretenden Generalkommandos Königs­berg ernannt wurde. Bald darauf wurde er zum Oberst i.G. beför­dert und an der Front eingesetzt, wo er in Frankreich und Finnland militärische Erfolge erzielte und schließlich zum Generalmajor befördert wurde. Das bewahrte ihn nicht vor Konflikten mit staatlichen Stellen. Als Chef des Heimat-Generalkommandos XX in Danzig hat er nur manche menschenfeindlichen Maßnahmen verhindern können, aber nicht mehr eine Zwangsrekrutierung von Polen zum Kriegsdienst. Daher hat er schließlich im Mai 1943 seine Entlassung beantragt und, kaum zu glauben, auch bekommen. Damit konnte er sich verstärkt im Widerstand einsetzen. Schon im August 1938 hatte er Carl Friedrich Goerdeler (1884-1945) in Tolksdorf empfangen und zugesagt, im Falle eines erfolgreichen Umsturzes Verweser für die Provinz Ostpreußen zu werden. In der folgenden Zeit versuchte er, hohe Militärs im Sinne der Widerständler anzusprechen. Während seiner kriegsbedingten Abwesenheit hat seine Frau die Beziehungen zu zivilen und militärischen Regimegegnern unterhalten. 1943/44 hatte er auch Verbindungen zum Kreisauer Kreis und wiederholte seine Zusage, ggf. „Landesverweser“ für Ostpreußen zu werden, obwohl er die Aussichten für einen Umsturz nicht günstig einschätzte. Am Tag nach dem Attentats­versuch vom 20. Juli 1944 wurden Graf zu Dohna und seine Frau verhaftet, obwohl er das Entstehen und Aufbewahren von möglicherweise belastendem schriftlichem Material vermieden hat.

Während seine Frau in Ravensbrück überlebt hat, wurde er selbst am 14. September 1944 vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt, was noch an demselben Tag vollstreckt wurde. Noch während der Haftzeit der beiden ist die Frau des Theologen Iwand nach Königsberg gekommen, um wenigstens das Familiensilber der Dohnas nach Cappenberg bei Dortmund zur Schwester der Gräfin Dohna (seiner Mutter) zu bringen. Iwand war dort nach seiner 1937 erfolgten Ausweisung aus Ostpreußen vielfach Gast der Grafen von Kanitz gewesen.

Lit.: Annedore Leber, Das Gewissen entscheidet, Berlin/ Frankfurt a. M. 41960, S. 238-241; neue 2. Aufl. hrsg. v. Karl Dietrich Bracher, Mainz 1984, S. 392-394 (textgleich mit der Aufl. von 1960). – Manfred Koschorke (Hrsg.), Geschichte der Bekennenden Kirche in Ostpreußen 1933-1945, Göttingen 1976, S. 140 u.ö. (im Personenregister unter Dohna-Tolksdorf). – Hans-Adolf Jacobsen (Hrsg.), Opposition gegen Hitler und der Staatsstreich vom 20. Juli 1944, Bd. 1-2, Stuttgart 1989, S. 26 u.ö. (im Personenverzeichnis unter Dohna-Tolksdorf). – Lothar Graf zu Dohna, Heinrich Graf zu Dohna (1882-1944), in: Rund um die Rastenburg, Bd. 3, 1980-1986, S. 281-286. – Ders., Vom Kirchenkampf zum Widerstand, in: Deutschland und Europa in der Neuzeit. Festschrift für Karl Otmar Freiherr von Aretin, Bd. 2, Stuttgart 1988, S. 857-879. – Ders., Die Dohnas und ihre Häuser, Göttingen 2013, Bd. 2. – Bernhart Jähnig, Dohna-Schlobitten, Heinrich Burggraf und Graf zu, in: Altpreußische Biographie, Bd. 5, Marburg 2015, S. 2039f.

Bild: Das Gewissen steht auf. Lebensbilder aus dem deutschen Widerstand 1933-1945, gesammelt und hrsg. von Annedore Leber in Zusammenarbeit mit Willy Brandt und Karl Dietrich Bracher, Mainz 1984, S. 393.

Bernhart Jähnig