Biographie

Drawert, Horst

Herkunft: Ungarn
Beruf: Botaniker
* 4. Dezember 1910 in Graudenz/Westpr.
† 8. Januar 1976 in Hamburg

Horst Drawert wurde am 4. Dezember 1910 als zweiter Sohn des Handelslehrers Ernst Drawert in Graudenz in Westpreußen geboren. Seine Mutter Luise D. (geb. Stahl) war Leiterin dieser Handelsschule. Als die Familie nach dem Ersten Weltkrieg Graudenz verlassen musste, siedelte sie sich im thüringischen Jena an. Dadurch musste Horst Drawert nach anfänglichem Besuch der Oberrealschule zu Graudenz seine schulische Ausbildung an der Oberrealschule in Jena fortsetzen, die er Ostern 1932 mit dem Reifezeugnis verlassen konnte. Anschließend begann er das Studium der Naturwissenschaften an der Universität Jena. Von April bis Oktober 1936 hielt er sich im botanischen Institut bei Kurt Mothes (1900-1983, dem späteren Präsident der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina) in Königsberg auf, was ihn nach eigenem Bekunden stark geprägt hat. Danach kehrte er nach Jena zurück und konnte eine Assistentenstelle beim damaligen Ordinarius für Botanik Professor Otto Renner (1883-1960) an der Botanischen Anstalt der Universität antreten. Hier wurde er 1936 mit einer reizphysiologischen Arbeit zum Dr. phil. promoviert, die Erwin Bünning (1906-1990, später Lehrstuhlinhaber und Rektor der Universität Tübingen) betreute. Bereits 1939 habilitierte er sich bei Otto Renner mit einer zellphysiologischen Arbeit. Dabei ging es darum, durch Färbung lebender Zellen mit basischen Farbstoffen Feinstruktur der Zelle und deren physiologische Eigenschaften zu erforschen. Dieses Thema, die so genannte Vitalfärbung, sollte für Horst Drawert fortan ein Hauptinhalt seines Forschungsinteresses bleiben. Zunächst wurde jedoch diese Periode fruchtbarer Forschung an der Jenaer Universität durch die Einberufung zum Wehrdienst unterbrochen. 1940 wurde er zum Dozent ernannt und noch vor Kriegsende an das von dem Mikrobiologen und Mediziner Hans Knöll (1913-1978) in Jena gegründete Mikrobiologie-Institut berufen, aus dem sich später das Zentralinstitut für Mikrobiologie und experimentelle Therapie der Deutschen Akademie der Wissenschaften entwickelte und das heute unter dem Namen Hans-Knöll-Institut in der Leibniz-Gesellschaft weiter arbeitet. Hier sollten Antibiotika und pflanzliche Wirkstoffe erforscht und entdeckt werden, was unter den sich verschlechternden Kriegsbedingungen eher illusorisch war. Nebenbei entstand aber als Folge dieser Tätigkeit ein kleines populärwissenschaftliches Bändchen über Pflanzenwirkstoffe, das 1949 veröffentlicht werden konnte.

Nach Kriegsende und Wiedereingliederung in die Universität erlebte Horst Drawert die schwierige Phase des Wiederaufbaus in Jena mit. Er musste mit seiner Familie zunächst sehr schlechte Wohnbedingungen in Kauf nehmen und konnte dann in das Inspektorhaus des Jenaer Botanischen Gartens umziehen. Dieses Haus hatte auch schon Goethe bei mindestens einem seiner Aufenthalte in Jena bewohnt und zwei Zimmer waren als Museum eingerichtet, das auch noch heute existiert. Es wird berichtet, dass anlässlich einer Wohnungskontrolle in einem angefertigten Protokoll zu lesen war: Hauptmieter: Goethe, Untermieter: Drawert; eine Anekdote, die Drawert gern zum Besten gab.

Nach dem Weggang Otto Renners nach München 1948 hat Drawert auch die Genetik-Vorlesung übernommen. In der Sowjetunion hatte T. D. Lyssenko (1898-1976) aus ideologischen Gründen eine dominierende Position erlangt, die natürlich auch in der sowjetischen Besatzungszone und in den Anfangsjahren der DDR durchgesetzt werden sollte. Drawert widerlegte jedoch durch eigene Pfropfexperimente an Tomaten einige Behauptungen Lyssenkos und scheute auch die offene Auseinandersetzung mit Anhängern Lyssenkos nicht, beispielsweise mit dem Zoologen Georg Schneider (1909-1970), der den „schöpferischen Darwinismus“ Lyssenkos vertrat und Vertreter der klassischen Genetik als politische Gegner verunglimpfte. 1950 wurde er dennoch Lehrbeauftragter und ein Jahr später außerplanmäßiger Professor in Jena. Im gleichen Jahr erhielt er auch einen Ruf an die Freie Universität Berlin, der zunächst als Ruf an das Max-Planck-Institut getarnt wurde. Obwohl dieses Manöver von den DDR-Behörden erkannt worden war, konnte schließlich doch ein legaler Umzug nach Westberlin erfolgen, wohl nicht zuletzt deswegen, weil gleichzeitig ein Privatdozent aus Tübingen einen Ruf nach Leipzig erhalten hatte. Zuvor hatte Horst Drawert Rufe an die Universität Leipzig und an die TH Dresden abgelehnt.

An der FU Berlin wurde Drawert 1952 zum Ordinarius ernannt und konnte mit zahlreichen Schülern eine fruchtbare Tätigkeit entfalten, obwohl zunächst nur wenig Platz zur Verfügung stand, da das ehemalige pflanzenphysiologische Institut der Friedrich-Wilhelms-Universität jetzt mit dem Zoologischen Institut gemeinsam genutzt werden musste und dieses den überwiegenden Raum beanspruchte. Im Mittelpunkt standen zunächst weitere Untersuchungen zur Vitalfärbung unter Einbezug weiterer Farbstoffgruppen. Dadurch konnten wichtige Details im Aufbau pflanzlicher Zellen geklärt werden, beispielsweise hinsichtlich des Feinbaus der Mitochondrien. Als es möglich wurde, ein Elektronenmikroskop anzuschaffen, nutzte Drawert die damit verfügbar gewordenen neuen Möglichkeiten als einer der ersten Botaniker zur Absicherung seiner Ergebnisse und zur Erschließung weiterer Details. 1958 wurde er in Berlin zum Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät gewählt. Bereits 1955 wurde Horst Drawert auch, wie zu dieser Zeit üblich, für ein Jahr gewählter Präsident der Deutschen Botanischen Gesellschaft.

1959 folgte Drawert einem Ruf an die Phillips-Universität Marburg. Das Elektronenmikroskop machte diesen Umzug mit und besonders in den ersten Jahren in Marburg erfolgten intensive Untersuchungen zum Bau und zur Entwicklung von mikroskopischen Algen (besonders der Zieralgen oder Desmidiaceen), die sich in einer Reihe von Veröffentlichungen niederschlugen. In Marburg war Drawert auch maßgeblich an der Planung des Umzugs des Botanischen Instituts und Gartens von der Stadt in die Lahnberge beteiligt.

Nachdem Horst Drawert einen Ruf auf den Lehrstuhl für Botanik in Münster abgelehnt hatte, nahm er 1964 einen Ruf nach Hamburg an. Hier übernahm er das Ordinariat für Allgemeine Botanik und die Leitung des Botanischen Gartens. Leider hatten sich schon am Ende der Marburger Zeit erste Zeichen einer zunächst nicht erkannten Krankheit eingestellt. Die Zeit in Hamburg war in der Folge des sich verschlechternden Gesundheitszustandes getrübt. Dass sich seine nachlassenden Kräfte auch schließlich in der Lehre auswirkten, die für ihn immer besonders wichtig war, konnte er nur schwer verkraften. In die Hamburger Zeit fiel aber auch die Fertigstellung seines wissenschaftlichen Hauptwerks zur Vitalfärbung und Vitalfluorchromierung pflanzlicher Zellen und Gewebe, ein fast 750 Seiten starkes Werk, das das gesamte Wissen zu diesem Thema zusammenfasst. Kaum ein anderer hätte diese Arbeit leisten können und Horst Drawert gilt sicher zu recht als Meister der Vitalfärbung und der pflanzlichen Zytologie. Auch wenn diese Methoden schon zu Lebzeiten Drawerts an Bedeutung verloren hatten, bleibt doch festzustellen, dass durch dieses Werk die gesamte Literatur zum Thema und das Methodenspektrum unter einheitlichen Gesichtspunkten zusammengefasst und erschlossen wird und das Buch somit ein Grundlagenwerk von bleibender Bedeutung darstellt. Insbesondere die Verwendung von Fluorochromen zur Färbung von speziellen Eiweißen oder zur Sichtbarmachung von Mitochondrien in lebenden Zellen ist jedoch weiterhin von Bedeutung und wird auch aktuell weiter genutzt.

Im Laufe seiner Lehrtätigkeit an vier Universitäten betreute Horst Drawert insgesamt 29 Doktorarbeiten (2 in Jena, 20 in Berlin, 3 in Marburg und 4 in Hamburg). 15 Jahre lang von 1959 bis 1974 wirkte Horst Drawert auch als Herausgeber der Flora, der ältesten in Deutschland erscheinenden botanischen Fachzeitschrift (Band 148-163).

Eine biografische Skizze zu Horst Drawert bliebe jedoch sehr unvollständig, würde man nicht auf die musikalischen Interessen und Begabungen eingehen. Er war offensichtlich musikalisch hochbegabt und lernte Geige und Bratsche zu spielen. Es wird berichtet, dass er selbst äußerte, am Ende seiner Gymnasialausbildung mit dem Gedanken gespielt zu haben, Musiker oder Dirigent zu werden. Musik spielte jedenfalls in seinem Leben eine wesentliche Rolle und noch in seiner Marburger Zeit nahm er selbst an Sonntagvormittagen Geigenunterricht. Er besaß auch, neben den von ihm selbst gespielten, die weiteren Instrumente für ein Streichquartett und so fanden bei ihm regelmäßig Hausmusikabende statt. Ebenso wird berichtet, dass er in seiner Wohnung Mitarbeiter und Freunde auf gemeinsame Konzertbesuche vorbereitete. Ihm stand dafür nicht nur seine umfangreiche Plattensammlung sondern oft auch die Partitur und weitere Literatur zur Verfügung. Er konnte sich dabei, wie in seinem akademischen Unterricht, verwirklichen und fand Anerkennung und Bestätigung.

Horst Drawert war seit 1938 mit der promovierten Biologin Erika Laué verheiratet. Der Ehe entsprangen 3 Töchter.

Professor Horst Drawert verstarb nach längerer Krankheit am 8. Januar 1976 in Hamburg. Am 4. Dezember des gleichen Jahres würdigte ihn seine Universität mit einem Gedächtnis-Kolloquium. Schon 1950 hatte sein vormaliger Lehrer Otto Renner einen Bastard zweier Nachtkerzen ihm zu Ehren als Oenothera x drawertii benannt.

Werke (Auswahl): Untersuchungen über den Erregungs- und den Erholungsvorgang in pflanzlichen Geweben nach elektrischer und mechanischer Reizung. – Planta 26: 391-419 (1937) [= Dissertation]. – Zur Frage der Stoffaufnahme durch die lebende pflanzliche Zelle. I. Versuche mit Rhodaminen, Planta 29: 376-391 (1939); II. Die Aufnahme basischer Farbstoffe und das Permeabilitätsproblem, Flora 134: 159-214 (1940) [= Habilitationsschrift]; III. Die Aufnahme saurer Farbstoffe und das Permeabilitätsproblem, Flora 135: 21-64 (1941). – Die Pflanze und ihre Wirkstoffe (CES-Bücherei Bd. 28), Stuttgart: Schwab (1949). – Der pH-Wert des Zellsaftes, in: Ruhland, W.: Handbuch der Pflanzenphysiologie Bd. I: 627-648 (1955); Die Entstehung der Vacuolen, ibid. 661-667. – Die Aufnahme der Farbstoffe. Vitalfärbung, ibid. Bd. II: 252-289 (1956); Stoffaufnahme und innerer pH-Wert, ibid. 409-417. – Licht- und elektronenmikroskopische Untersuchungen an Desmidiaceen I., XI, I: Planta 56: 213-228 (1961, mit I. Metzner-Küster); II: Planta 56: 237-261 (1961, mit M. Mix); III: Flora 150: 185-190 (1961, mit M. Mix); IV: Z. Naturforsch. 16b: 546-551 (1961, mit M. Mix); V: Planta 56: 648-665 (1961, mit M. Mix); VI: Planta 57: 51-70 (1961, mit M. Mix); VII: Mikroskopie 16: 207-212 (1961, mit M. Mix); VIII: Flora 151: 487-508 (1961, mit M. Mix); IX: Planta 58: 50-74 (1962, mit M. Mix); X: Arch. Mikrobiol. 42: 96-109 (1962, mit M. Mix); XI: Portugal. Acta Biol., Ser. A 7: 17-28 (1963, mit M. Mix). – Vitalfärbung und Vitalfluorchromierung pflanzlicher Zellen und Gewebe (Protoplasmologia II/D/3), Wien, New York: Springer.

Lit.: Anonymous (1970): Horst Drawert zum 60. Geburtstag, Mitteilungen aus dem Staatsinstitut für Allgemeine Botanik in Hamburg 13: 5. – Engelhardt, D. v. (2003) (Hrsg.): Biographische Enzyklopädie deutschsprachiger Naturwissenschaftler, 2 Bände, München: K. G. Saur. – Kies, L. (1987): Phykologie in Hamburg, Berichte der Deutschen Botanischen Gesellschaft 100: 233-250. – Mix, M. (1978): Die Schriften von Horst Drawert, Mitteilungen aus dem Institut für Allgemeine Botanik in Hamburg 16: 15-20. – Schnarrenberger, C. (1990): Botanik an Westberliner Universitäten, in: Schnarrenberger, C. & H. Scholz (Hrsg.): Geschichte der Botanik in Berlin (Wissenschaft und Stadt Bd. 15), Berlin: Colloquium Verlag – S. 47-74. – Schnarrenberger, C. & E. Höxtermann (2008): 50 Jahre Botanik am Fachbereich Biologie der FU Berlin – Wurzeln und Wege, in: Kubicki, K. & S. Lönnendonker (Hrsg.): Die Naturwissenschaften an der Freien Universität Berlin, Göttingen: V&R unipress, S. 127-160. – Schnepf, E. (1978): In memoriam Horst Drawert, Mitteilungen aus dem Institut für Allgemeine Botanik in Hamburg 16: 7-14. – Schnepf, E. (1979): Horst Drawert 1910 bis 1976, Berichte der Deutschen Botanischen Gesellschaft 92: 689-694.

Bild: Archiv des Autors

Peter Scholz