Biographie

Hamann, Johann-Georg

Herkunft: Ostpreußen
Beruf: Schriftsteller, Philosoph, Theologe
* 27. August 1730 in Königsberg i.Pr.
† 21. Juni 1788 in Münster/Westfalen

Er gilt den Experten der einschlägigen Wissenschaften und Künste im in- wie im Ausland als Promotor der neuzeitlichen christlichen Philosophie und der zeitgenössischen Literatur, den Literaturhistorikern vor allem als kritischer Wegweiser der „Sturm-und-Drang-Periode“ wie der Klassik. Als Mensch und Schriftsteller gab der „Magus aus Norden“, so sein Signet, Freunden wie Gegnern in Leben und Werk eine Fülle von Rätseln auf, die zu entziffern heute noch eine große Anzahl von Gelehrten und solchen, die es werden wollen, bemüht ist.

Die verschlungenen Wege und Irrwege dieses universal gebildeten „Privatgelehrten“, der sein Leben lang ein Vagans scholasticus blieb, aber auf seinesgleichen nicht nur, sondern auch auf große Geister seiner Zeit, hier seien nur Kant, Herder, Goethe, Lavater und Jacobi genannt, ungemein anregend und anziehend, aber auch irritierend gewirkt hat.

Die Daten dieses Weges im einzelnen sind in allen einschlägigen Nachschlagewerken verzeichnet. Hier sei lediglich festgehalten ein für seine geistige Entwicklung entscheidendes Ereignis. Im Jahre erlitt er während seines Aufenthaltes in London einen seelischen Zusammenbruch, der aus dem 37jährigen, bislang eher libertinös eingestellten Weltenbummler Saulus einen puritanisch-christlichen Paulus machte. Dank der Fürsorge von Freunden, vor allem seines Lehrmeisters Immanuel Kant, hatte er nach seiner Rückkehr nach Königsberg als Schreiber und Übersetzer bei der Provinzialakzise- und Zolldirektion, später als Packhofverwalter, endlich festen Boden unter den Füßen gewonnen. Nebenbei unterhielt der Verfasser der „Sokratischen Denkwürdigkeiten“, der „preußische Sokrates“, in seinem Hause eine Art platonischer Akademie, die von jung und alt, von Liebhabern und Gelehrten lebhaft frequentiert wurde. Sein schriftstellerischer Ruhm war trotz einer Vielzahl von Pseudonymen oder gerade deshalb weit über die Provinzgrenzen hinausgedrungen. Und als er im Jahre 1787 von rheinischen Freunden und von der Fürstin Gallitzin, einer hochgebildeten, aber wie er selbst schwärmerisch veranlagten märkischen Feldmarschallstochter nach Münster eingeladen wurde, im Kreis literarisch und theologisch interessierter Katholiken „Gastvorlesungen“ zu halten, ließ er seine beruflichen Verpflichtungen fahren und reiste stracks dorthin. Der „allerchristlichste Eulenspiegel“, so pflegte er sich selbst zu bezeichnen, wurde in allen Ehren empfangen und verwöhnt. Er selbst unterhielt auch sein münsteranisches Publikum mit geistreichen Gesprächen, Herzensergießungen und philosophischen „Denkwürdigkeiten“. Aber schon nach wenigen Monaten erkrankte er schwer und starb, noch ehe er, was er sehnlichst gewünscht hatte, in Weimar seinen Urfreund Herder und seinen prominentesten Verehrer, Johann Wolfgang Goethe, hätte aufsuchen können. Auf dem Überwasser-Friedhof in Münster liegt er, der einzige ostdeutsche Klassiker im deutschen Westen, begraben. Ein Gedenkstein erinnert noch heute an ihn.

Und was blieb von ihm über Zeit und Grab hinaus? Das war nachzulesen vor allem in einer 1956 im Berteismann-Verlag erschienenen umfangreichen, 30 Seiten umfassenden Bibliographie, zusammengestellt von Lothar Schreiner, im 1. Band einer wissenschaftlichen, auf 8 Bände disponierten Reihe „Hauptschriften Hamanns erklärt“, die leider in den Anfängen steckengeblieben ist. In der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts erstreckte sich seine geistige Auswirkung zunächst nur auf sektiererisch christliche Kreise, so auf die Erweckungsbewegung, die Fortsetzung der pietistischen Bestrebungen des 18. Jahrhunderts, der er als ein Prophet der reinen Glaubensbewegung galt und als kritischer Gegner der Aufklärung lieb war. Ernster zu nehmen war der Niederschlag seines johanneisch orientierten Logosdenkens im Spätidealismus vor allem Schellings und seiner Gefolgschaft. Über den dänischen Philosophen und Theologen Kierkegard setzte dann zunehmend eine Art Renaissance ein, diesmal in philosophischen und schultheologisch führenden Kreisen, in Strömungen, die in unserer Zeit in den christlichen Existentialismus einmündeten. Der entscheidende Durchbruch für die Bestimmung seines Ortes in der deutschen und europäischen Geistesgeschichte, vor allem auch im literargeschichtlichen Bereich, vollzog sich sodann in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts mit grundlegenden Werken von Rudolf Unger, der auch in Königsberg gelehrt hat. Ihm folgte am gleichen Ort und auf gleichem Katheder der deutsch-böhmische Literaturhistoriker Josef Nadler, dem wir die kritische Gesamtausgabe und eine Biographie Hamanns zu danken haben, ein Werk, das trotz der Kriegsmisere unter unsäglichen Schwierigkeiten erstellt worden ist. Hinzu kam dann seit 1956 eine im Insel-Verlag erschienene 8bändige Briefausgabe von Ziesemer und Henkel. Auf dieser Grundlage entwickelte sich eine Kette von Forschungen, die heute noch anhält und besonders in den „Internationalen Hamann-Colloquien“ ihren Niederschlag gefunden hat, die von dem Regensburger Germanisten Bernhard Gajek geleitet werden, der auch für das Jubiläumsjahr 1988 ein großes wissenschaftliches Forum organisierte. Bleibt zu hoffen, daß es der gelehrten Welt gelingt, die Essenz des Gesamtwerkes dieses großen ostdeutschen Denkers und Schriftstellers auch breiteren Kreisen überzeugend nahezubringen.

Werke: Sokratische Denkwürdigkeiten, 1759 (komm. J. C. O‘Flaberty, Baltimore 1967, S.. A. Jörgensen 1968); Wolken, 1761; Kreuzzüge des Philologen 1762; Des Ritters von Rosencreuz letzte Willensmeynung, 1772; Golgatha und Scheblimini, 1784. – SW, hkA. hg. J. Nadler VI 1949-57; Briefwechsel, hg. W. Ziesemer, A. Henkel VIII 1955 ff.; Hauptschriften, erklärt, hg. F. Blanke, L. Schreiner VIII 1956ff.; Ausw. M. Seils 1963.

Lit.: R. Unger, H. u. die Aufklärung, II 1911, *1968 (m. Bibl.); J. Blum, Paris 1912; E. Metzke, H.s Stellung i.d. Philos. d. 18. Jh., 1934; J. Nadler, 1949; F. Blanke, H.-Stud., 1956; H. A. Salmony, H.s metakrit. Philos., I 1958; W. Leibrecht, Gott u. Weh b. H., 1958; R. G. Smith, Lond. 1960; R. Knoll, J. G. H. u. F. H. Jacobi, 1963; W. Koepp, D. Magier unter d. Masken, 1965; W. M. Alexander, Den Haag, 1966; B. Gajek, Sprache b. jg. H. 1967; H. Sievers, J. G. H. s Bekehrung. Ein Versuch, sie zu verstehen. Zu. u. Stg. 1969, G. Baudler, Im Worte sehen, 1970; H.-M. Lumpp, Philologia crucis, 1970; H. Herde, 1971; V. Hoffmann, J. G. H.s Philologie, 1972, G. Nebel, 1973.