Biographie

Heym, Georg

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Schriftsteller
* 30. Oktober 1887 in Hirschberg/Schlesien
† 16. Oktober 1912 in Berlin

Georg Heym müssen Ahnungen von einem frühen Tod heimgesucht haben, wenn er bereits am 26. August 1906 in Neuruppin in sein Tagebuch einträgt: „… Fast ist es so, als sollte ich noch verschenken, was ich irgend besitze, damit mein Tod mich nicht unvorbereitet trifft. Ich glaube, ich sterbe bald.“ Und im Oktober desselben Jahres: „Ja, denn das Leben ist mir bis auf den Tod feindlich, so auch die meisten Mitmenschen. Und dann, den Ruhm, das höchste, erreiche ich vielleicht durch meinen Tod.“ Aber es war nicht allein sein frühes Sterben und die Umstände, die dazu führten, daß man von ihm sprach, sondern was er als Schreibender bis dahin auszusagen vermochte.

Wie äußerte sich Kurt Pinthus darüber: „Nachdem ich Heyms ungeheuren Nachlaß durchgesehen habe: Tagebücher, Dramatisches, Prosa, Grotesken und Gedichte, Gedichte, Gedichte auf unzählige Blätter, Fetzen, in viele Hefte fast unleserlich hingehauen und dennoch immer wieder durchgearbeitet und umgeformt, scheue ich mich nicht zu sagen, daß dieser Heym seit Georg Büchner diestärkste dichterische und eruptive Begabung der Deutschen war und daß er unter den Dichtern seiner Generation an visionärer Seherkraft und sicher packendem Griff, an Fülle der heranströmenden Bilder und Weite des düster-feurigen Umblicks nicht seinesgleichen hatte.“

Georg Heym wurde am 30. Oktober 1887 in Hirschberg im Riesengebirge geboren, wo er auch seine Kindheit verlebte. Sein Vater stand im preußischen Justizdienst und wurde 1900 Staatsanwalt in Berlin. So kam es zur Übersiedlung der Familie in die Hauptstadt, wo Heym das Joachimsthalsche Gymnasium besuchte. Dem Heranwachsenden brachte vor allem der Vater wenig Verständnis für seine Neigungen entgegen und sah für ihn nach Ende des Schulbesuches das Jurastudium vor. Das führte schon früh zu Auseinandersetzungen. Wie äußerte Georg sich später in einer Tagebuchaufzeichnung v. 3. November 1911: „… Nur eines: Ich wäre einer der größten Dichter geworden, wenn ich nicht so einen schweinernen Vater gehabt hätte. In einer Zeit, wo mir verständige Pflege nötig war, mußte ich alle Kraft aufwenden, um diesen Schuft von mir fern zu halten. Wenn man mir nicht glaubt, so frage man meine Mutter nach meiner Jugend.“ Aber auch die Mutter, eine damals schon kränkelnde und sehr sentimentale Frau, fand nicht die rechte Einstellung und äußerte sich zu dem, was er schrieb, sie könne „so was nicht lesen“. Daher mag er der Erwachsenenwelt gegenüber eine feindlich gesinnte Einstellung angenommen haben, und er ließ es an abfälligen Äußerungen nicht fehlen. Der Vater schickte den „schwierigen Jungen“ auf ein Internat nach Neuruppin, wo dieser mit seinen ersten Tagebuchaufzeichnungen begann und zum „Schreibenden“ wurde. 1907 trug sich Heym in die juristische Fakultät der Universität Würzburg ein, wo er auch Corpsstudent war, aber dieses Leben in der Verbindung als „furchtbar, geisttötend, stumpfsinnig und lächerlich empfand“. Dort erschien in einem unbedeutenden Verlag sein Drama „Der Feldzug nach Sizilien“. Es folgten Semester in Berlin und Jena. Im Februar 1911 wurde Heym nach dem juristischen Staatsexamen Referendar am Landgericht II in Berlin, und Ende desselben Jahres promovierte er in Rostock zum Dr. jur. Seine in diesen Jahren geschriebenen Tagebücher beinhalten Ausführungen, die sich mit einer wütenden Entschiedenheit gegen den herrschenden Zeitgeist wenden: „Ich ersticke noch in meinem brachliegenden Enthusiasmus in dieser banalen Zeit. Ich sehe michin meinen wachen Phantasien immer als ein Danton oder einen Mann auf der Barrikade, ohne meine Jakobinermütze kann mich eigentlich gar nicht denken.“

Im „Neuen Club“, wo Hiller, van Hoddis, Ernst Blaß anzutreffen sind und wo auch Karl Kraus ihn hört, liest Heym zum erstem Mal öffentlich aus seinen Gedichten, die er mitunter stammelnd vortrug, aber vom Text her aufhorchen ließen. Wie er sich verstanden wissen will, geht aus Aufzeichnungen v. 20. Juli 1909 hervor: „Ich liebe alle, die in sich ein zerrissenes Herz haben, ich liebe Kleist, Grabbe, Hölderlin, Büchner, ich liebe Rimbaud und Marlowe. liebe alle, die nicht von der großen Menge angebetet werden. Ich liebe alle, die oft an sich verzweifeln, wie ich fast täglich an verzweifle.“

Ernst Rohwolt entdeckt, wie manchen anderen, auch Georg Heym undübernimmt 1911 die Herausgabe seines ersten Gedichtbandes unter dem Titel „Der ewige Tag“, welches das einzige zu Lebzeiten veröffentlichte Werk ist. Die nachgelassenen Gedichte „Umbra vitae“ erschienen 1912, seine Novellen „Der Dieb“ 1913, die Sonnette „Marathon“ 1914. 1922 wurden seine gesammelten Gedichte und seine Prosa unter „Dichtungen“ in München, eine vierbändige Gesamtausgabe im Verlag Heinrich Eilermann 1960 herausgegeben.

Am 16. Januar 1912 war Georg Heym mit seinem Freund Ernst Balcke zum Schlittschuhlaufen auf die Havel gegangen,und als dieser plötzlich in einer nicht vermuteten Fahrrinne versinkt, will er ihm zu Hilfe kommen und ertrinkt dabei schließlich selber. Anderthalb Jahre zuvor hatte Heym einen Traum aufgeschrieben, der dieses Schicksal bereits anzukündigen schien: „Ich stand an einem großen See, der ganz mit einer Art Steinplatten bedeckt war. Es schien mir eine Art gefrorenen Wassers zu sein. Plötzlich fühlte ich, wie die Platten unter mir schwanden, aber ich fiel nicht. Ich ging noch eine Weile auf dem Wasser weiter. Da kam mir der Gedanke, ich möchte fallen können. In diesem Augenblick versank ich auch schon in ein grünes schlammiges schlingpflanzenreiches Wasser …“

Dieser von Ahnungen und Gesichten bedrängte Georg Heym, der, kaum 25jährig, im Alter Büchners sterben mußte, hinterließ ein Dichtwerk, das über Jahrzehnte hinweg kaum etwas von seiner Faszination eingebüßt hat.

Bild: Radierung von Ernst Ludwig Kirchner, 1923