Der 8. August 1944 zählt zu den schwärzesten Tagen der deutschen Militärgeschichte. An diesem Tage wurden acht Offiziere vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und anschließend in Berlin-Plötzensee gehängt. Unter ihnen befand sich der bereits 1942 von Hitler aus der Wehrmacht ausgestoßene Generaloberst Erich Hoepner.
Als Sohn eines Militärarztes am 14. September 1886 in Frankfurt/ Oder geboren, verbrachte Hoepner seine Jugend in Metz und Berlin, wo er 1905 das Abitur am Kaiserin-Augusta-Gymnasium als Primus bestand. Danach trat er als Fahnenjunker in das Schleswig-Holsteinische Dragoner-Regiment Nr. 13 in Metz ein. Dieses Regiment wurde ihm Heimat. Im Juni 1910 heiratete er Irma Gebauer, die Tochter eines Kommerzienrates aus Charlottenburg. Nach einer Tätigkeit als Regimentsadjutant wurde er 1913 zur Kriegsakademie in Berlin kommandiert.
Als Ordonnanzoffizier beim XVI. Armee-Korps erlebte Hoepner die ersten Jahre des Ersten Weltkrieges, war er kurze Zeit Führer einer Infanterie-Kompanie, um dann in Korps- und Armeestäben und als 1. Generalstabsoffizier der 105. Infanterie-Division Verwendung zu finden. Vom Grenzschutz Ost in das 100000-Mann-Heer übernommen, wurde er zunächst Schwadronschef in Allenstein, war dann als Generalstabsoffizier in der Inspektion der Kavallerie im Reichswehrministerium tätig, um danach als l. Generalstabsoffizier der l. Kavallerie-Division in Frankfurt/Oder und anschließend des Wehrkreiskommandos I in Königsberg i. Pr. verwendet zu werden. 1930 wechselte er zur Truppe, wurde Bataillonskommandeur im 17. Infanterie-Regiment in Braunschweig und 1932 – nach Rückkehr zu seiner Stammwaffe – Kommandeur des 4. Preußischen Reiter-Regiments in Potsdam.
Doch waren ihm nur wenige Monate in dieser Stellung beschieden. Die Machtübernahme Hitlers am 30. Januar 1933 hatte zur Folge, daß der Befehlshaber im Wehrkreis I, Generalleutnant von Blomberg, zum Reichswehrminister ernannt wurde und seinen Chef des Stabes, Oberst von Reichenau, als Chef seines Ministeramtes berief. Hoepner wurde dazu ausersehen, dem mit Ostpreußen noch wenig vertrauten Nachfolger Blombergs, Generalleutnant von Brauchitsch, als Chef des Stabes zur Seite zu stehen. Beide arbeiteten in der wichtigsten Aufbauphase der längst beabsichtigten Heeresvermehrung harmonisch zusammen.
1935 wurde Hoepner Chef des Generalstabes der Heeresgruppe l in Berlin, die unter General von Rundstedt den Oberbefehl über die östlichen Wehrkreise des Reiches ausübte. Ab 1935 wurden außer Panzerverbänden auch motorisierte Verbände aufgestellt, die vornehmlich Aufgaben wahrzunehmen hatten, die früher der Kavallerie als Instrument der operativen Aufklärung und als berittener Infanterie zugefallen waren. Hoepner übernahm 1937 das Kommando über eine für diese Aufgaben vorgesehene Truppe, die 1. leichte Division in Wuppertal. Als verantwortungsbewußte Offiziere die maßlosen, nur durch Krieg erreichbaren politischen Ziele Hitlers erkannten und im Spätsommer 1938 eine Katastrophe nur durch seine Entmachtung vermeiden zu können glaubten, war Hoepner mit seiner Division ausersehen, dabei eine entscheidende Rolle zu spielen. Die Einigung der Regierungschefs im Münchener Abkommen machte es den zum Umsturz entschlossenen Offizieren unmöglich, ihren beabsichtigten Schritt überzeugend zu rechtfertigen.
Nach der Sudetenkrise wurde Hoepner Kommandierender General des XVI. Armee-Korps in Berlin, dem von den damals bestehenden fünf Panzer-Divisionen vier unterstanden. Dieses Korps war an der blitzartigen Besetzung der Rest-Tschechei im März 1939 beteiligt. Im Polenfeldzug bildete es die entscheidende Stoßgruppe der Armee Reichenau, die mit ihren Spitzen bereits acht Tage nach Feldzugsbeginn die Vorstädte von Warschau erreichte. Im Westfeldzug schlug Hoepners Korps bei Hannut in Belgien die erste Panzerschlacht und erreichte in fortwährendem Angriff über Cambrai vorgehend Armentières, wo es durch Hitlers Haltebefehl daran gehindert wurde, den Rückzug der Engländer von Dünkirchen über den Kanal zu unterbinden. In der zweiten Phase des Westfeldzuges stieß das Korps von Soissons über Auxerre – Dijon – Lyon bis Gre noble vor.
Am 19. Juli 1940 zum Generaloberst befördert, stand Hoepner ab 1. Februar 1941 an der Spitze der neu gebildeten Panzergruppe 4, die im Feldzug gegen die Sowjetunion der Heeresgruppe Nord unterstellt wurde und durch das Baltikum auf Leningrad vorstieß. Nachdem die oberste Führung den Entschluß gefaßt hatte, Leningrad nicht einzunehmen, sondern lediglich zu belagern, wurde die Panzergruppe 4 zur Heeresgruppe Mitte verlegt, um im Rahmen der 4. Armee (Feldmarschall von Kluge) an dem am 2. Oktober beginnenden Vorstoß auf Moskau mitzuwirken. Hier wurden – anders als bei der Heeresgruppe Nord – die Panzergruppen nicht der Heeresgruppe unmittelbar unterstellt, sondern (Infanterie-)Armeeoberkommandos. Dieser Umstand behinderte die auf schnelle Entschlußfassung angewiesene Führung der schnellen Verbände und führte zu ständigen Reibungen mit der Armeeführung. Hoepner hat sich während der Kampfhandlungen über die von ihm beanstandeten Führungsfehler Aufzeichnungen gemacht, die sich heute in seinem Nachlaß befinden.
Als sich die deutsche Offensive gegen Moskau auf Grund der klimatischen Bedingungen und des Einsatzes frischer, aus dem Fernen Osten herangeführter sowjetischer Verbände festgelaufen hatte, übernahm Hitler auch die unmittelbare Führung des Heeres, ein Befehl, daß jede rückwärtige Bewegung seiner Genehmigung bedürfe, machte es den verantwortlichen Frontführern unmöglich, der Lage entsprechende, militärisch sinnvolle Entscheidungen rechtzeitig zu treffen. Als das Hoepner unterstellte XX. Armee-Korps unmittelbar vor der Einschließung durch den Feind stand und Gefahr lief, vernichtet zu werden, gab Hoepner nach mehrfachen vergeblichen Versuchen, mit dem Chef des Generalstabes des Heeres unmittelbar die Lage zu erörtern, aus eigener Verantwortung heraus den Befehl zum Rückzug. Hitler reagierte umgehend und enthob den Generaloberst nicht nur seines Postens, sondern verfügte zugleich seine Ausstoßung aus der Wehrmacht, um damit – für die Generalität sichtbar – ein Exempel zu statuieren. Zu dem von Hoepner angestrebten Verfahren vor dem Reichskriegsgericht ist es nie gekommen. Seine seit langem gehegten Bedenken gegen den Führerkult, der auch in der Wehrmacht im Gegensatz zu dem hier so oft beschworenen Ehrenstandpunkt seinen Einzug gehalten hatte, verwandelten sich durch das nunmehr empfundene Gefühl der Rechtlosigkeit in scharfe Ablehnung.
Der seit dem Winter 1939/40 ruhende militärische Widerstand organisierte sich allmählich wieder nach dem Erlahmen der deutschen Kampfkraft im Winter 1941/42 und dem Bekanntwerden der Verbrechen, die im Namen des Reiches begangen, von den militärischen Führern aber vielfach geduldet wurden. Eine der zentralen Persönlichkeiten im militärischen Widerstand wurde der Chef des Allgemeinen Heeresamtes, General Olbricht. Zu ihm faßte Hoepner, der ihn aus Friedens- und Kriegszeiten kannte und schätzte, Vertrauen und tauschte sich mit ihm regelmäßig aus. Im Zusammenhang damit sind auch die schriftlichen Arbeiten Hoepners zu werten, die – seine Erfahrungen berücksichtigend – durchaus von programmatischem Charakter waren. Im Winter 1942/43 verfaßte Hoepner „Aufzeichnungen aus dem vollen Herzen eines passionierten Soldaten, der das Glück gehabt hat, in dem ersten Weltkriege als Generalstabsoffizier zu lernen und im zweiten zu führen“. Darin äußert er sich zu den Komplexen „Soldatische Eigenschaften“, „Führer, Feldherr“, „Disziplin, Verantwortung“, „Befehle“ und „Generalstab“. In letzterem Beitrag bekennt sich Hoepner zu den traditionellen Werten des preußisch-deutschen Generalstabes: „Der große Moltke und sein genialer Schüler und Nachfolger Graf von Schlieffen haben in dem deutschen Generalstab die Schule höchsten militärischen Wissens geschaffen, in dem alle großen Führer des ersten und des heutigen Weltkrieges und viele hundert klar denkende, willensstarke, soldatisch durchgebildete und fleißig arbeitende Gehilfen der höheren Führung erzogen worden sind.“
Hoepner nutzte die Gelegenheit, sich bei Olbricht mit der Entwicklung der Lage an den Fronten bekannt zu machen und sie als Grundlage für Überlegungen zu gebrauchen, die er im Juni 1943 ineiner Studie über die „Festung Europa“ verarbeitete und in der er forderte, Reserven an Truppen und Material als Voraussetzung dafür zu bilden, daß es überhaupt zu einer kriegsentscheidenden Veränderung kommen könne. Nach seiner wegen schweren Bombenschadens erfolgten Übersiedlung in die Gegend von Fürstenberg in Mecklenberg blieb er von dort aus in Verbindung mit Olbricht und dessen neuem Mitarbeiter Oberst Graf Stauffenberg, seinem alten Wuppertaler Weggefährten.
Am 20. Juli 1944 in die Bendlerstraße gerufen, übernahm Hoepner, der für das Amt des Kriegsministers vorgesehen war, zunächst die Geschäfte des Befehlshabers des Ersatzheeres, nachdem Generaloberst Fromm seine Teilnahme am Staatsstreich abgelehnt hatte, und beteiligte sich an den Maßnahmen der Widerstandsführung. Mit seiner Unterschrift wurden fünf Standrechtsverordnungen und mehrere Befehle per Fernschreiben an die Wehrkreiskommandos versandt, die dem Befehlshaber des Ersatzheeres insgesamt unterstanden. Das Scheitern des Attentats gegen Hitler wurde offenbar, als die Führungskräfte des Widerstandes überwältigt, verhaftet und zum Teil standrechtlich erschossen wurden. Hoepner teilte nicht das Schicksal dieser noch im aktiven Dienst stehenden Kameraden, denen die standrechtliche Erschießung Gestapohaft und -folter sowie die widerwärtige Verhandlung vor dem Volksgerichtshof und den Tod durch den Strang ersparte. Hoepner, der gehofft hatte, sein Handeln vor einem Kriegsgericht zu rechtfertigen, mußte dies alles dulden. Gefaßt nahm er sein Schicksal auf sich, wissend, daß seine Kameraden, unter ihnen der in Deutsch Eylau geborene Generalmajor und Chef der Organisationsabteilung im Generalstab des Heeres, Hellmuth Stieff, im Bewußtsein soldatischer Pflichterfüllung den Tod durch den Strang mit ihm teilten.
Quellen: Bundesarchiv-Militärarchiv N 51 – Nachlaß Erich Hoepner, RH 21 – 4 Bestand XVI. Armee-Korps, Panzergruppe 4,4. Panzerarmee
Lit: 20. Juli 1944. Herausgegeben von der Bundeszentrale für Heimatdienst. 3. Aufl. überarbeitet und ergänzt von Erich Zimmermann und Hans-Adolf Jacobsen. Bonn 1960 (darin enthalten: Hoepners Fernschreiben an die Wehrkreiskommandos vom 20. Juli 1944). – Kunrat Freiherr von Hammerstein: Flucht – Aufzeichnungen nach dem 20. Juli. Olten 1966. – Walter Charles de Beaulieu: Generaloberst Erich Hoepner- Militärisches Porträt eines Panzer-Führers (Die Wehrmacht im Kampf, Band 45). Neckargemünd 1969. – Peter Hoffmann: Widerstand. Staatsstreich. Attentat – Der Kampf der Opposition gegen Hitler. 3. neu überarbeitete und erweiterte Ausgabe. München 1979. – Heinrich Bücheler: Hoepner – Ein deutsches Soldatenschicksal des zwanzigsten Jahrhunderts. Herford 1980.
Bild: Hoepner nach dem Polenfeldzug.