Biographie

Horváth, Ödön von

Herkunft: Ungarn
Beruf: Dichter
* 9. Dezember 1901 in Susak
† 1. Juni 1938 in Paris

Ödön von Horváth wurde am 9. Dezember 1901 in Susak bei Fiume/Rijeka an der Adria im damals ungarischen Teil der Habsburger Monarchie als Sohn eines Diplomaten aus ungarischem Kleinadel geboren. Er wuchs in Belgrad, Budapest, München, Preßburg/Bratislava und Wien auf. In München studierte er Germanistik und Philosophie.

Danach lebte er im deutschsprachigen Raum abwechselnd in Murnau (in Bayern berühmt auch als „Zufluchtsort“ des modernen Malers Kandinsky und seiner langjährigen Partnerin und Malerkollegin Gabriele Münter), Berlin, Wien und Henndorf bei Salzburg.

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten mußte er 1933 Deutschland verlassen, weil er in einem Prozeß gegen SA-Schläger ausgesagt hatte. Er emigrierte in die Schweiz und wurde bei einem Parisbesuch am 1. Juni 1938 während eines Sturmes durch einen herabstürzenden Ast im Alter von 36 Jahren erschlagen. Eine Schicksalsfügung, wie sie tragischer kaum sein konnte, hatte Horváth doch die Heimatlosigkeit ein „schmerzendes Merkmal“ seines Lebens genannt. Aus dem Schweizer Exil in der „Fremde“ zu Besuch, ereilte ihn eine sinnlos dumpfe Zufallskatastrophe.

Dieses Gefühl der Heimatlosigkeit, das ihn so prägte und auch verfolgte, lag wohl auch in seiner alt-österreichischen Herkunft begründet, aus der er nach der Katastrophe des Ersten Weltkrieges doppelt hart herausgerissen wurde.

Das Großreich Österreich-Ungarn zerfiel in Nachfolgestaaten, die sich zum Teil nationalistischer Töne befleißigten, welche Ödön von Horváth zutiefst befremdeten.

Die schmerzlich und überhaupt nicht „befreiend“ empfundene Heimatlosigkeit hielt ihn aber nicht ab, sofern sie ihn nicht sogar unbewußt anregte, Volksstücke zu schreiben. Er brachte es neben drei Romanen auf siebzehn Bühnenstücke, von denen das berühmteste die „Geschichten aus dem Wienerwald“ sind (1931 in Berlin uraufgeführt). Ein dramatischer Bilderbogen kleinbürgerlichen Lebens, Liebens und vor allem Leidens nach dem Motto des Metzgermeisters, der seiner Geliebten, die ihn aber ihrerseits fürchtet, mehr droht als Zuneigung verspricht: „Meiner Liebe entgehst du nicht.“

Seine große Begabung wurde in der kurzen Zeit der Weimarer Republik erkannt und gewürdigt. 1931 wurde ihm auf Vorschlag von Carl Zuckmayer der begehrte Kleist-Preis für sein Stück „Italienische Nacht“ zugesprochen.

Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedingungen lassen seine Personen, ungebildete und halbgebildete Kleinbürger, ihrem bodenständigen Dialekt entfremden.

Gerade in unserer heutigen oberflächlichen Spaßgesellschaft, wo bunte Information mit Bildung verwechselt wird, wo Kunst und Literatur „konsumiert“ werden in der Form von Produkten einer Fließband-Unterhaltungsindustrie, erscheint Ödön von Horváth nachgerade als prophetisch.

Seinen kleinbürgerlichen Protagonisten heuchelt die unentwegte Unterhaltungsindustrie jener Zeit – Heurigenfest, Rummelplatz, Sportereignisse, Oktoberfest, Karnevalsvergnügungen – Glück und Erlösung vor und verhindert damit eine echte Auseinandersetzung mit ihrer Situation in einer Zeit wirtschaftlicher und politischer Unsicherheiten.

Das beste Beispiel für die ungebrochene Aktualität Ödön von Horváths ist vielleicht noch immer sein mit dem Kleist-Preis ausgezeichnetes Bühnenstück „Italienische Nacht“. Es zeugt auch von dem hohen Kunstverständnis der kurzen Weimarer Republik, daß beide Theaterkritikerpäpste, Alfred Kerr und Herbert Ihering, – sonst selten einer Meinung – einstimmig Ödön von Horváths Werk in den höchsten Tönen lobten.

Dazu sollte vor allem auch Ödön von Horváths Eigenständigkeit beitragen, der nicht wie sein Zeitgenosse Bertolt Brecht eindeutig Partei nimmt, sondern die phrasenhafte Vereinsmeierei der verschiedenen Parteien unter die Lupe nimmt: Ein kleinbürgerlicher berufsprogressiver Stadtrat erkennt die heraufkommende faschistische Gefahr nicht. Er organisiert froh und heiter eine italienische Nacht für die Gesinnungsgenossen, die allerdings gespalten sind. Die Jungen sehen das Unheil nahen, werden aber nicht ernst genommen. Der eine der Jungprogressiven zwingt sogar seine Braut, sich mit SA-Leuten einzulassen, um diese auszukundschaften. Dies erinnert an die Kundschafter des Friedens und der Liebe (Romeos) aus der Zeit des Kalten Krieges. Vor der italienischen Nacht der Progressiven hatte ein deutscher Tanz mit kriegerischen Gesängen der Regressiven stattgefunden, wo man sich Mut und Unternehmungslust antrank. Die gar nicht so friedlich verlaufende italienische Nacht, ein junger Redner sprengt das Fest mit seiner kritischen Rede, wird nochmals und diesmal viel drohender gestört, als ein faschistischer Schlägertrupp den kleinbürgerlich progressiven Stadtrat verprügeln will, weil das Kaiser-Wilhelm-Denkmal besudelt worden ist. Die jungen unzufriedenen Freunde des angegriffenen Stadtrates retten diesen vor den Schlägern und warnen erneut. Der Gerettete meint aber seelenruhig, so lange es einen republikanischen Schutzverband gäbe, so lange könne die Republik ruhig schlafen. Schluß. Aus.

Auch hier, oder vielleicht besser gesagt gerade hier, zeigt sich die große Begabung Ödön von Horváths, eine ganze Reihe unverwechselbarer Figuren auf die Bühne zu bringen, wobei er mehrere Gruppen gleichzeitig auftreten läßt. Dabei muß es gar nicht immer zu einer sich steigernden Konfrontation mit Knalleffekten kommen. Horváth verweigert oft die Schlußpointe, da er nicht belehren oder gar agitieren will. Er zeigt nur, was Sache ist. Damals wie heute.

Lit.: Traugott Krischke: Ödön von Horváth. Kind seiner Zeit. München 1998.

Werke: Ödön von Horváth. Gesammelte Werke. Hg. von Traugott Krischke und Dieter Hildebrandt. Frankfurt21978.

Bild: Archiv der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen.

Ingmar Brantsch