Biographie

Hubatsch, Carl Walther

Herkunft: Ostpreußen
Beruf: Historiker
* 17. Mai 1915 in Königsberg i.Pr.
† 29. Dezember 1984 in Bad Godesberg

Walther Hubatsch zählte zu den profiliertesten deutschen Historikern, die sich nach 1945 vorrangig der Geschichte Preußens widmeten. Weitaus stärker als bei vielen anderen Gelehrten seiner Generation waren bei ihm landsmannschaftliche Kriterien prägend für sein wissenschaftliches Engagement. Der am 17. Mai 1915 in Königsberg Geborene hat sich zeitlebens seiner ostpreußischen Heimat verbunden gefühlt. Dort hatte er studiert und im Umfeld von Hans Rothfels seine ersten Schritte in die akademische Welt zurückgelegt. Später war er dann zwar nach Göttingen gegangen, wo er 1941 bei Siegfried August Kaehler, einem zweitklassigen Schüler Friedrich Meineckes, promoviert wurde. Doch den Zweiten Weltkrieg hatte Hu­batsch von 1939 bis 1942 dann wieder in einer ostpreußischen Heeresformation mitgemacht – der 61. Infanterie-Divi­sion, deren Chronist er später geworden ist. Nach der Vertreibung aus seiner ostpreußischen Heimat bemühte er sich von Anfang an darum, deren kulturelles Gedächtnis und historisches Erbe zu sichern und im Bewusstsein der Mit- und Nachwelt lebendig zu erhalten.

Dafür boten sich in den 1950er und 1960er Jahren vielfältige Möglichkeiten. Am wichtigsten war für Hubatsch zunächst die Sicherung gefährdeten Archivguts aus der Region. So beteiligte er sich 1947 maßgeblich an der Überführung der ausgelagerten Bestände des Königsberger Stadtarchivs in das Staatliche Archivlager Göttingen. Aus dem Fundus dieser umfänglichen, für die preußische Frühgeschichte unschätzbaren Bestände hat er immer wieder Dissertationen seiner zahlreichen Schüler angeregt. Die von ihm 1958 begründete und bis zu seinem plötzlichen Tod am 29. Dezember 1984 herausgegebene Reihe Studien zur Geschichte Preußens diente nicht zuletzt diesen Zwecken.

Hinzu kamen organisatorische und institutionelle Bemühungen um die Sache Preußens. Dass Göttingen, wo Hubatsch sich 1943 mit einer Arbeit über den Skandinavismus und die deutsche Einheitsbewegung habilitierte und ab 1949 als außerplanmäßiger Professor wirkte, in den Formierungsjahren der Bundesrepublik Deutschland zu einem Zentrum der aus der historiographischen Konkursmasse des Dritten Reiches geretteten und mit neuen wissenschaftspolitischen Zielsetzungen antretenden „Ostforschung“ avancierte, war auch ein Verdienst des jungen Historikers Walther Hubatsch. Der „Göttinger Arbeitskreis“, nach dem Zweiten Weltkrieg als Arbeitsgemeinschaft heimatvertriebener ostdeutscher Wissenschaftler gegründet, sah ihn jahrzehntelang als eifrigen Mitarbeiter, und die 1950 erfolgte symbolträchtige Übernahme der Tradition der 1944 vernichteten Albertus-Universität Königsberg durch die Göttinger Alma mater hat er maßgeblich mitgetragen – auch nach seiner Wegberufung von Göttingen nach Bonn 1956.

Das auf den ersten Blick fast unüberschaubare, ja verwirrend vielfältige Lebenswerk Walther Hubatschs gewinnt seine einigende Mitte von Preußen her und auf Preußen hin. Das gilt zunächst und vor allem für sein Wirken als ost- und westpreußischer Landeshistoriker. Zahlreiche Untersuchungen aus seiner Feder galten der Beschäftigung mit seiner alten Heimat, der hoch- und spätmittelalterlichen Deutschordensgeschichte, der Geschichte Königsbergs und der Königsberger Universität sowie anderer ostpreußischer Städte und Regionen. Das zweifellos bedeutendste Ergebnis der aus solchen Forschungsinteressen erwachsenen Publikationstätigkeit war die mit einem Dokumenten- und Abbildungsteil 1968 in drei Bänden vorgelegte Geschichte der evangelischen Kirche Ostpreußens. In diesem umfänglichen, ganz aus den Quellen erarbeiteten Œuvre – einem seiner Hauptwerke – zeichnete der evangelische Bekenntnischrist Walther Hubatsch mit großer innerer Anteilnahme den Weg nach, den die reformatorische Lehre Martin Luthers im Land zwischen Weichsel und Memel genommen hat.

Fasziniert vom Verwaltungshandeln staatlicher Institutionen und der in sie eingebundenen Personen hat Walther Hubatsch darüber hinaus als Geschichtsschreiber der preußischen Verwaltung im Konzert der westdeutschen Preußen-Historio­gra­phie nach 1945 zeitweise eine sehr vernehmliche Stimme zu führen gewusst und in Untersuchungen zur preußischen Verwaltungsgeschichte die gesamte Epoche der frühen und späten Neuzeit durchmessen. So entfaltete seine Biographie über Al­brecht von Brandenburg-Ansbach das Verwaltungshandeln dieses Renaissancefürsten und Begründers des weltlichen Herzogtums Preußen vor dem Hintergrund des Reformationsgeschehens und bezog dabei theologie- und diplomatiegeschichtliche Ereigniszusammenhänge ebenso umfassend ein wie kultur- und wissenschaftshistorische Aspekte. Vergleichbares galt für die 1973 vorgelegte Untersuchung Friedrich der Große und die preußische Verwaltung. Diese wohl wichtigste Monographie Hubatschs zur Preußenforschung präsentierte eine Bilanz der friderizianischen Administration vor dem Hintergrund der äußeren Staatsaktionen und der komplexen Charakterentwicklung des Königs. In beiden Büchern lag dabei der Hauptakzent auf der Erhellung des Wechselverhältnisses von institutionell bedingten Handlungsvorgaben und persönlich angestrebten Gestaltungsfreiräumen. Primär am Verwandlungshandeln orientiert zeigte sich auch Hubatschs in entsagungsvoller Editionsarbeit betriebene Erforschung und quellenmäßige Erschließung der preußischen Reformära, deren Mittelpunkt sein lebenslanges Bemühen um die unbestrittene Leitgestalt dieser Zeit, den Freiherrn vom Stein, bildete.

Bei alldem war es Hubatschs feste, von Beginn seiner wissenschaftlichen Laufbahn an immer aufs Neue vertretene Überzeugung, dass sich die Geschichte Preußens nur dann adäquat erfassen und darstellen lasse, wenn man sie in den Rahmen der übrigen, um die Ostsee versammelten Staaten und deren Geschichte hineinstelle, also „transnational“ verorte. Der Ostseeraum mit Preußen als einer dort seit dem ausgehenden 13. Jahrhundert verankerten, mit allen anderen Ostseeländern in reger Wechselbeziehung stehenden Macht, bildete für Hu­batsch eine Art historisch-politische Schicksalsgemeinschaft, welche die Parameter vorgab, gemäß derer die Entwicklungswege des preußischen Staates zu verstehen und zu interpretieren waren. Eine solche Perspektive ließ die intensive Beschäftigung mit den Anrainerstaaten Preußens im Ostseeraum in hohem Maße geboten erscheinen. Und so hat Walther Hubatsch einen erheblichen Teil seiner Arbeitskraft darauf verwendet, die Geschichte der nordischen Staaten in ihrem Verhältnis zu Preußen zu befragen. Skandinavische Geschichte galt ihm als ein unverzichtbarer Gegenpol zur Geschichte Preußens vom 16. bis in das 19. Jahrhundert.

Das Bild Preußens, das allen seinen Forschungen zugrunde lag, war nicht völlig frei von Kritik an einzelnen Vertretern dieses Staates und an bestimmten Ausprägungsformen des von ihnen jeweils repräsentierten Politikstils. Doch insgesamt waren die Konturen dieses Preußenbildes bei Hubatsch deutlich positiv markiert. Es überwog in ihm die Anerkennung der historischen Leistungen des Hohenzollernstaates in seinen administrativen, militärischen und kulturellen Manifestationen. Und so erscheint Walther Hubatsch, zusammen mit dem in Erlangen leh­renden Hans-Joachim Schoeps, über drei Jahrzehnte hinweg, von den frühen 1950er bis zu den frühen 1980er Jahren – nicht zuletzt auf Grund seiner außerordentlich zahlreichen Publikationen – als der einer breiteren historisch interessierten Öffentlichkeit wohl bekannteste und auf jeden Fall publizistisch produktivste Verfechter einer grundsätzlich affirmativen Auseinandersetzung mit der Geschichte Preußens. Das war damals, angesichts des lange nachwirkenden alliierten Verdiktes, das den Hohenzollernstaat als vermeintlichen Träger des Militarismus und Hort finsterer Reaktion einem pauschalen Verdammungsurteil unterworfen und 1947 offiziell für aufgelöst erklärt hatte, alles andere als eine Selbstverständlichkeit.

Lit.: Michael Salewski und Josef Schröder (Hrsg.), Dienst für die Geschichte. Gedenkschrift für Walther Hubatsch *17. Mai 1915, † 29. Dezember 1984, Göttingen/Zürich 1985. – In Memoriam Walther Hubatsch. Reden gehalten am 21. November 1985 von Konrad Repgen, Michael Salewski, Ernst Opgenoorth, Bonn 1986. – Iselin Gundermann, Walther Hubatsch †, in: Oswald Hauser (Hrsg.), Preußen, Europa und das Reich Köln/Wien 1987, S. 385-394. – Iselin Gundermann, Hubatsch, Carl Walther, Historiker, in: Ostdeutsche Gedenktage 1990. Persönlichkeiten und historische Ereignisse, Bonn 1989, S. 100-102. – Michael Epkenhans, Walter Görlitz und Walther Hubatsch: Zu den Anfängen und Problemen der Militärgeschichtsschreibung in der frühen Bundesrepublik, in: Hans Ehlert (Hrsg.), Deutsche Militärhistoriker von Hans Dehlbrück bis Andreas Hillgruber, Potsdam 2010, S. 53-68. – Frank-Lothar Kroll, Walther Hubatsch und die preußische Geschichte, in: Hans-Christof Kraus (Hrsg.), Das Thema „Preußen“ in Wissenschaft und Wissenschaftspolitik vor und nach 1945, Berlin 2013, S. 435-461.

Bibliographie: Iselin Gundermann, Verzeichnis der Veröffentlichungen von Walther Hubatsch 1941-1974, in: Walther Hubatsch: Stein-Studien. Die preußischen Reformen des Reichsfreiherrn Karl vom Stein zwischen Revolution und Restauration, Köln/Berlin 1975, S. 211-258.

Bild: Salewski/Schröder, Dienst für die Geschichte, s.o.

Frank-Lothar Kroll, 2017