Biographie

Kluge, Günther von

Herkunft: Posener Land
Beruf: Generalfeldmarschall
* 30. Oktober 1882 in Posen
† 19. August 1944 in Metz, unweit

Günther von Kluge gehörte zu jenen hochbegabten Soldaten des deutschen Heeres, die den Herausforderungen, vor die die Hitlerdiktatur ihren Stand stellte, nicht gewachsen waren. Nach dem rückblickenden Urteil seines Stabsoffiziers Rudolf-Christoph von Gersdorff war er „im Grunde ein vornehmer und einfacher Mann“, der sich auf seinem kleinen Gut bei Rathenow als „märkischer Bauer“ empfand. „Sein Denken und Handeln war gradlinig und anständig, er war offen und freimütig.“ Er verkörperte noch ein Stück Gesittung der älteren Zeit, was sich auch darin zeigte, daß er 1940 die im Zuge der Kampfhandlungen gefährdete Kathedrale von Rouen durch persönlichen Einsatz vor der Zerstörung bewahrte. Gersdorff hält ein Bild von Ende Juli 1944 aus dem Hauptquartier Kluges, dem Schloß La Roche Guyon an der Seine, fest: der Feldmarschall mit dem Hausherrn, dem Herzog von La Rochefoucauld, im Schloßgarten beim Spaziergang: „Es war ein unvergeßliches Bild, beiden hervorragend aussehenden Männer in der unvergleichlichen mittelalterlichen Umgebung zu sehen.“

Sohn des Generalleutnants Max von Kluge (1913 geadelt), war Günther von Kluge seit 1901 Soldat, bis 1918 vornehmlich im Stabsdienst (1914 Hauptmann). In der Reichswehrzeit wechselten Stabs- und Truppenstellungen einander ab. 1930 wurde er Oberst,1933 Generalmajor und 1934 Generalleutnant. In diesem Jahre erhielt er die Ernennung zum Kommandeur der 6. Division in Münster i. W., als der er das VI. Armeekorps aufbaute. 1935 wurde er dessen Kommandierender General (1936 General der Artillerie). Ende 1938 trat er an die Spitze der Heeresgruppe 6 in Hannover. Zu Kriegsbeginn übernahm er mit deren Stab die Führung der 4. Armee, mit der er in Polen und in Frankreich sowie in der Sowjetunion kämpfte. Nach Kriegsbeginn war er Generaloberst und nach dem Abschluß des Frankreichfeldzuges Generalfeldmarschall geworden. In der ersten krisenhaften Zuspitzung des Rußlandfeldzuges im Winter 1941/42 übernahm Kluge, in dessen operative und taktische Führungsqualitäten Hitler großes Vertrauen setzte, als Nachfolger des von diesem entlassenen Feldmarschalls von Bock den Oberbefehl über die Heeresgruppe Mitte, den er bis zu einem schweren Autounfall, den er im Oktober 1943 erlitt, innehatte. In dieser herausragenden Stellung mußte Kluge das Interesse der Widerstandsbewegung gegen Hitler auf sich ziehen, zumal er als ein Feldherr, der stets mit großem persönlichen Einsatz führte, sich der Anhänglichkeit der ihm unterstellten Offiziere und einfachen Soldaten erfreute. Zudem hatte sich schon vor seiner Berufung im Stabe der Heeresgruppe unter der Führung des Ersten Generalstabsoffiziers, des Obersten Henning von Tresckow, ein Kreis militärischer Frondeure zusammengefunden, die nun den Feldmarschall im Kampfe gegen Hitler zu einem der Ihren zu machen suchten.

Wohl hatte Kluge, der ein entschiedener Gegner der Nazipartei war, im Laufe des Rußlandkrieges, dessen barbarische Begleiterscheinungen ihn mit schweren Bedenken erfüllten, erkannt, daß Hitler im Begriffe stand, Deutschland in den Abgrund zu führen.Wohl zeigte er sich von der Persönlichkeit Carl Goerdelers, der sich auf die Vermittlung von Tresckows hin im Sommer 1942 zu ihm an die Ostfront begeben hatte, tief beeindruckt. Doch war er von diesem für die Widerstandsbewegung wirklich gewonnen worden, wie es schien?

Kluge stand wie vordem unter der Wirkung des „Genies“ Hitler und bewahrte diesem seine Loyalität; noch zu seinem 60. Geburtstag am 30. Oktober 1942 nahm er von ihm eine Dotation in Höhe von 250 000 Reichsmark an, obwohl er diese im Kreise seiner Stabsoffiziere selbst ein „Trinkgeld“ nannte. Weil sich Kluge der Fronde in seinem Stabe versagte (auch mit dem Argument, daß Volk und Wehrmacht einem Attentat auf den „Führer“ und einem Staatsstreich kein Verständnis entgegenbringen würden), konnte der Besuch Hitlers bei der Heeresgruppe Mitte am 13. März 1943 nicht zu einem Anschlag auf diesen genutzt werden. Nachdem das Vorhaben, Hitler auf dem Rückflug in sein Hauptquartier in Rastenburg in Ostpreußen durch einen in seine „Condor“-Maschine geschmuggelten Sprengsatz zu ermorden, ebenso wie der geplante Anschlag von Gersdorffs auf den Diktator am 21. März im Berliner Zeughaus gescheitert war, unternahmen Tresckow und Gersdorff auf einem Spaziergang mit Kluge im Hauptquartier der Heeresgruppe in Smolensk abermals den Versuch, ihn auf ihre Seite zu ziehen. Nachdem er von Gersdorffs Attentatsversuch erfahren hatte, breitete er „etwas theatralisch“ (von Gersdorff) seine Arme aus und sagte: „Kinder, Ihr habt mich! Ich bin Euer Spießgeselle.“

Freilich blieb Kluges Haltung auch im folgenden unsicher. Dabei scheint er Carl Goerdeler im September 1943 seine Bereitschaft erklärt zu haben, an einem etwaigen Umsturz (bei dem er im Unterschied zu Goerdeler eine Beseitigung Hitlers für notwendig hielt) von der Ostfront aus maßgeblich teilzunehmen. Doch sein Autounfall vom 12. Oktober 1943 enthob ihn vorerst dem Zwange, seine Annäherung an die Widerstandsbewegung unter Beweis zu stellen.

Als Kluge wieder verwendungsfähig war, hatte sich die militärische Lage Deutschlands wesentlich verschlechtert. Am 6. Juni 1944 hatte die alliierte Landung in der Normandie begonnen, und am 22. Juni war die sowjetische Sommeroffensive losgebrochen und unter ihren Schlägen die Heeresgruppe Mitte zertrümmert worden. Hitler dachte daran, Kluge wieder in seine alte Stellung zu berufen, übertrug ihm aber am 7. Juli anstelle von Feldmarschall von Rundstedt, der nicht mehr an die Möglichkeit einer Abwehr der Invasion glaubte, den Oberbefehl über das Westheer (und nach dem Ausfall Rommels infolge eines Tieffliegerangriffs am 17. Juli zusätzlich noch den über die von diesem geführte Heeresgruppe B).

Kluge wurde sich bald über die Ausweglosigkeit der militärischen Lage im Westen klar, konnte sich aber auch jetzt nicht zu einer definitiven Entscheidung für die Verschwörer durchringen, die von ihm eine Öffnung der Westfront und die Wendung seiner Truppen gegen Hitler forderten. Rommel schien an so etwas gedacht zu haben. Kluge, dessen persönliche Wirkung bei aller Beliebtheit beider Truppe mit derjenigen Rommels nicht zu vergleichen war, konnte demgegenüber glaubhaft darauf hinweisen, daß er sich als neuberufener Oberbefehlshaber seiner Truppen nicht sicher genug fühle und im übrigen die Möglichkeiten seiner Stellung überschätzt würden. Nachdem ihm am 20. Juli das Scheitern des Attentats auf Hitler gemeldet worden war, verweigerte er General von Stülpnagel, dem Militärbefehlshaber in Frankreich, die Sanktion des in Paris bereits vollzogenen Umsturzes. Hitler indessen lagen seit Ende Juli Hinweise darauf vor, daß sein Oberbefehlshaber West (wie auch Rommel) Mitwisser der Verschwörer gewesen war. Als am 7. und am 8. August ein deutscher Angriff auf die normannische Stadt Avranches, mit dem der Ende Juli gelungene Ausbruch der Alliierten aus dem zuletzt enorm vergrößerten Landungsbrückenkopf in den französischen Raum hatte abgeriegelt werden sollen, infolge hochgradigen Kräftemangels scheiterte, war es für Hitler ausgemacht, daß das Mißlingen von Kluge beabsichtigt gewesen sei. Sein durch neue Ermittlungsergebnisse zu Kluges Verbindungen mit den Verschwörern genährter Argwohn sah sich durch ein über zwölfstündiges Verschwinden des Feldmarschalls im Zuge eines Frontbesuches am 15. August bestätigt, das sich zunächst einmal dadurch erklärte, daß Kluge in seiner Begleitung Opfer eines feindlichen Luftangriffes geworden und dabei seine mobile Funkanlage zu Bruch gegangen war; Hitler glaubte an eine Fühlungnahme mit den Alliierten, die aber höchst unwahrscheinlich ist. Am 17. August wurde Kluge seines Amtes enthoben und durch Feldmarschall Model ersetzt.

Für Kluge war unzweifelhaft, daß man in Berlin um seine Beziehungen zur Widerstandsbewegung wußte. Den zu erwarten Folgen mochte er sich nicht aussetzen. Auch trug er schwer an der Kränkung, die ihm Hitler mit dem durch die Abberufung offen gewordenen Vorwurf des militärischen Versagens zugefügt hatte. So machte er seinem Leben während einer Mittagsrast auf der Heimfahrt nach Deutschland in Lothringen durch Einnahme von Gift ein Ende. „Das überlebe ich nicht, das kann ich einfach nicht ertragen, jetzt in dieser Situation von meiner Truppe weggehen zu müssen und sie ihrem Schicksal zu überlassen“, hörte man ihn noch kurz vorher vor sich hin sprechen. Vom Tage zuvor, vom 18. August, datiert ein Abschiedsbrief an Hitler, in dem er sein militärisches Handeln rechtfertigte, aber auch von der Größe, der Halttung, dem „eisernen Willen“ und dem „Genie“ des „Führers“ sprach.Wendungen, die möglicherweise seine Familie vor einer drohenden Sippenhaft bewahren sollten. Kluge beschwor Hitler: „Das dt. Volk hat so namenlos gelitten, daß es Zeit ist, dem Grauen ein Ende zu machen“, und schloß: „Ich scheide von Ihnen, mein Führer, der ich Ihnen innerlich näher stand, als Sie vielleicht geahnt, in dem Bewußtsein, meine Pflicht bis zum Äußersten getan zu haben.“ Wie Gersdorff im Rückblick bemerkt, hatte Kluge „die charakterliche und staatspolitische Größe“ gefehlt, „um sich zum Hochverrat durchringen zu können“, was, wie ihm zugute gehalten werden muß, für einen Soldaten preußisch-deutscher Erziehung die Einnahme einer Extremposition bedeutet hätte. Immerhin ist Kluge nicht – wie etwa die Feldmarschälle von Manstein und Model – den Verschwörern aus dem Wege gegangen; er hat seine Verantwortung für Deutschland und das deutsche Volk gefühlt und sich zu ihr bekannt. Doch vermochte er das Netz, das ihn mit dem Gefühl der Loyalität unter der Wirkung persönlicher Faszination an Hitler band, nicht zu zerreißen.

Lit.: Thilo Vogelsang: Günther von Kluge. In: Neue Deutsche Biographie 12 (1980), S. 141 f. – David Irving: Hitler und seine Feldherren, Frankfurt a. M., Berlin und Wien 1975. – Peter Hoffmann: Widerstand. Staatsstreich. Attentat. Der Kampf der Opposition gegen Hitler, München 41985. – Dieter Öse: Entscheidung im Westen 1944. Der Oberbefehlshaber West und die Abwehr der alliierten Invasion (= Beiträge zur Militär- und Kriegsgeschichte, hrsg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Bd. 22), Stuttgart21985. – Rudolf-Christoph von Gersdorff: Soldat im Untergang, Frankfurt a.M., Berlin und Wien 1977.

Bild: Günnther von Kluge am 7. Juli 1944. Bildarchiv Stiftung Preußischer Kulturbesitz.