Biographie

Kühn, Max

Herkunft: Pommern
Beruf: Maler
* 20. November 1888 in Stettin
† 15. Dezember 1970 in Rielingshausen/ Württemberg

Max Ferdinand Hermann Kühn, Sohn des Schneidermeisters Hermann Kühn und der Berta geb. Sauer, sollte eigentlich den beruflichen Weg des Vaters gehen. Der Wunsch nach dem Kunststudium erfüllte sich erst spät, nachdem ein Kunde beobachtet hatte, wie Max im Schneidersitz während der Arbeit auf seine Manschetten Bilder skizzierte und daraufhin die Eltern überredete, ihn Kunstmaler werden zu lassen. Nach erster Ausbildung an der Stettiner Kunstschule studierte er von 1911 bis 1914 an der Unterrichtsanstalt des Berliner Kunstgewerbe-Museums. Er kehrte nach Stettin zurück und ließ sich als frei­schaffender Künstler nieder. Während des Ersten Welt­kriegs, er war an der Westfront in Frankreich, heiratete er. Die Ehe scheint nicht glücklich ge­we­sen zu sein. Seine Frau ging mit dem Sohn nach Berlin, während er in seiner Heimatstadt verblieb. Im vierten Stock des Hauses Kaiser-Wilhelm-Straße 50 bezog er 1924 Wohnung und Atelier, dort bis zur Vertreibung 1945 lebend. Die Vertreibung bedeutete den Ver­lust des Werks, der Hei­mat und des Schaffenskreises. Er kehrte nochmals nach Stettin zurück, seine Eltern suchend, die er nicht mehr wiederfand. Von der polnischen Besatzungsmacht wurde er zum Schriftenmalen verpflichtet. Nach Aufenthalten in Stuttgart und Erfde/Holstein fand er bei Stuttgarter Ver­wandten schließ­lich ein Unterkommen. Er heiratete seine lang­jährige Haushälterin Hil­degard Rütz. 1954 ließ er sich in Rielingshausen b. Marbach nieder. Anschluss an die südwestdeutsche Kunstszene fand Kühn nicht. Kontakte hatte er mit Erwin Ackerknecht, Jahrzehnte Leiter der Städtischen Bücherei in Stettin, bis 1954 Direktor des Schiller-National-Museums Marbach und dem Stuttgarter Maler Karl Purrmann. Der schwäbische Dialekt war ihm unver­ständlich und auch die Lebensart fremd.

Frühe Zeichnungen mit Stargarder und Stettiner Ansichten von 1908 haben sich erhalten, Zwar steht das Architektonische im Vordergrund, doch protegierte er bereits damals auch Atmosphärisches (Seitenschiff sowie Orgelempore der Stettiner Johannikirche, Gotische Treppe im Loitzenhof in Stettin). Bei Ausstel­lungen in Stettin zur Berliner Studienzeit fand er mit Landschaften Anerkennung (1912 Kunstsalon Danneberg, 1913 Werke Stettiner Künstler, III: Ausstellung des Pommerschen Vereins für Kunst u. Kunstgewerbe 1913). Noch im Ersten Weltkrieg wurden Sechs Blätter aus dem Felde vom Stadtmuseum Stettin erworben.

In der Ausstellung 1922 war er mit 40 Arbeiten beteiligt, vorwiegend Land­schaften aus der Stettiner Umgebung. „Es liegt viel Feinheit in diesen meist etwas reizvoll-fahlen Arbeiten“, war im Ausstellungsbericht zu lesen. In den 20er Jahren erhielt er ein Stipendium des finnischen Staates zu einem halbjäh­rigen Aufenthalt. Größere öffentliche Aufträge folgten, wie Wandbilder in der Stettiner Ortskrankenkasse, im Neuen Stettiner Rathaus, im Sitzungssaal der Preußischen Regierung und in Kuhbergs Weinkeller. Das Stetti­ner Mu­seum erwarb immer wieder Arbeiten und Kühn beteiligte sich regel­mäßig an den Ausstellungen des Muse­ums­ver­eins. Seine Landschaften wurden in Ausstel­lungsberichten immer wieder abgebildet und Stettin-Ansichten als Post­karten reproduziert. Er illustrierte Bücher und hat gelegentlich radiert. Hauptsächlich die Umgebung von Stettin hat er gemalt, aber er arbeitete auch auf Rügen und Usedom. Regelmäßig nahm er an den Ausstellungen des „Pommerschen Vereins für Kunst und Kunstgewerbe“ teil und 1930 war er Mitbegründer des Künstler­bundes „neues pommern“, eine Initiative Prof. Gregor Rosenbauers, Direktor der Kunstgewerbeschule Stettin, mit dem Kühn das Buch Das schöne Pommern (Stettin 1932) gestaltete. Mitglieder waren u.a. Julo Levin, Kurt Schwerdtfeger, Joachim Utech. Beide Vereine wurden in den 1930er Jahren aufgelöst. Die letzte Ausstellungbeteiligung wird wohl über den Jahreswechsel 1944 beim Stettiner Museumsverein in der Hakenterrasse gewesen sein. Ausstellungen außerhalb Stettins sind bislang nicht nachgewiesen.

Stilistisch kam Kühn vom nord­deutschen Impressio­nis­mus, wie das früheste er­haltene Ölbild Mädchen mit Gladiolenstrauß in pommerscher Landschaft von 1910 belegt. Im Schaffen der 20er und 30er Jahre finden sich Wesenszüge der Neuen Sach­lichkeit und Nachimpressionistisches. Zur NS-Zeit schwenkte er „nicht auf vordergründig politisierte nationalsozialistische Kunstanforderungen ein“ und war „nicht unmittelbar von Repressalien“ betroffen (Lichtnau). Ein Werk aus dem Besitz des Stettiner Museums wurde 1937 im Zusammenhang mit der Aktion „Entartete Kunst“ ausgeschieden. Zu einer tiefen Aussage ge­langte Max Kühn in den Zeichnungen von 1944 seiner durch alliierten Bom­benhagel zerstörten Heimatstadt, welche vom Stettiner Museum angekauft wurden und sich im Muzeum Narodowne befinden. Nach der Vertreibung hielt er in den ersten Nachkriegsjahren unermüdlich in zahlreichen aquarellierten Federzeich­nungen das zerstörte Stuttgart fest, an die Zeichnungen vom zerstörten Stettin anschließend. Diese sind den Arbeiten Wilhelm Rudolphs vom zerstörten Dresden vergleichbar.

Kühns Hinwendung zur Abstraktion entwickelte sich mit aus seinen geogno­stischen Interessen, die oft seine kleinräumigen Landschaftsausschnitte prägten, auch aus der Gratigkeit seiner Linienführung Schraffuren, Sprünge und Verwerfungen entwickelnd, wie auch aus Trümmerfragmenten. Auf große Bögen klebte er spielkartengroße Annotationen abstrakter Gestaltungen wie Formenspiele, Farbverbindungen, Motive, Kürzel, Musivi­sches, Transposi­tio­nen u.a., als Fundus für die Realisation autonomer abstrakter Zeichnungen. Gleichzeitig entstanden jedoch immer wieder Naturdarstellungen teils von altmei­sterlicher Präzision. Auch japonistische Stilmittel griff er wieder auf, die schon im Vorkriegsschaffen erkennbar sind. Er hat diese wohl zur Berliner Studien­zeit im Umkreis von Emil Orlik kennen gelernt. Menschen kommen fast nur noch als Staffage vor, beindruckend sein Selbstbildnis mit geschlossenen Augen. Auffallend sind der Ernst und das Metaphysische in seinem Werk, Wesenszüge pommerscher Kunst in der Nachfolge von Caspar David Friedrich, die im 20. Jahrhundert z.B. auch bei den Stettinern Gustav Wimmer oder Mac Zimmermann zu finden sind.

Kühns Schaffen ist nur fragmentarisch erhalten. Aus der Nachkriegszeit bis Anfang der 50er Jahre hat sich allerdings ein größerer Werkkomplex im Nachlass (Gundula Brommer/Stuttgart, Nichte des Künstlers) erhalten. Mit der Werkdichte aus der Nachkriegszeit kann der künstlerische Rang Max Kühns unschwer belegt werden.

Arbeiten finden sich im Pommerschen Landsmuseums Greifs­wald, aus je­nen Teil des Stettiner Museums, der durch Aus­lagerung im Zweiten Weltkrieg Deutschland erhalten blieb, im Museum Ostdeutsche Gale­rie Regensburg und dem Landesarchiv Greifswald. Den umfang­reichsten Museumsbesitz hält das Muzeum Naro­downe w Szczecinie, das in den letzten Jahren zum alten Bestand noch repräsentative Gemälde aus den 20er Jahren erwerben konnte. 2005 fand in Stuttgart im Haus der Heimat eine Retrospektive statt, Der Maler Max Kühn (1888-1970) zwischen Stettin und Stuttgart, welche aus dem Nachlass und mit Privatsammlern realisiert werden konnte. Für die Rezeption sind Bernfried Lichtnau (Uni­versität Greifswald) und die polnischen Kunsthistorikerin Ewa Gwiazdowska (Muzeum Narodowne) bedeutsam. Letztere hat mit Forschungen in Stettin die Kenntnisse zur Vorkriegszeit wesentlich erweitert und Interesse am Werk des Max Kühn im heutigen Szczecin hervorgerufen. Vielleicht gelingt einmal eine umfassende Retrospektive mit dem Vorhandenen, die dreifach Bedeutung aufzeigen würde: Max Kühn als wichtiger Künstler der untergegangenen deutschen Großstadt Stettin und der Provinz Pommern bis zur Zerstörung seiner Heimatstadt und der Vertrei­bung, als unermüdlicher Chronist des zerstörten Stuttgart, als eine ewiggültige Mah­nung des Entsetz­lichen sowie als Ringender, der durch die Vertreibung alles verloren hatte und durch künstlerischen Wandel in der Abstraktion einen neuen Weg fand.

Lit.: Mitt. a.d. Verf. Gundula Brommer/Stuttgart u. Charlotte Hildinger 1982ff. – Vollmer/Dressler, Katalog – Zeichnungen und Aquarelle des 19. und 20. Jahrhunderts, Stiftung Pommern Kiel, Kiel 1985, S. 43 (1 Abb.) . – Mariusz Mitelski, Widoki dawnego Szczecina w grafica i rysunku, Katalog zbioru Muzeum Narodowego w Szczecinie [Ansichten von Alt-Stettin in Graphiken und Zeichnungen, Katalog Staatliches Museum Stettin], Szczecin 1985, S. 10 (5 Abb.). – Helmut Scheunchen, Stuttgart im Zweiten Weltkrieg, in: Pommern, 27. Jg. H. 4 1989, S. 41 (2 Abb.). – Katalog Ausstellung Stettin/Szczecin, Ansichten aus fünf Jahr­hun­derten, Museum Ostdeutsche Galerie Regensburg/Institut Nord­ost­deutsches Kulturwerk 1991, S. 28, 224. – Bernfried Lichtnau, Bildende Kunst in Stettin im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, in: Kunst im Ostsee­raum, Greifs­walder kunsthi­sto­rische Studien, Bd. 1: Malerei, Graphik, Photographie von 1900 bis 1920, Frankfurt/M. 1995 S. 51, 56, 61 (1 Abb.). – Bernfried Lichtnau, Max Kühn (1888-1970) und die zeichnerische Do­kumentation der Kriegszerstörungen in Stettin, in: Kunst im Ostsee­raum, Greifs­walder kunsthistorische Studien, Bd. 2: Architek­tur und bildende Kunst von 1933 bis 1945, Frank­furt/M. 1997, S. 143ff (8 Abb.). – Faltblatt Der Maler Max Kühn (1888-1970) zwischen Stettin und Stuttgart, Haus der Heimat Stuttgart 2005. – Ewa Gwiazdowska, Leben und Werk des Stettiner Malers Max Hermann Kühn. Zwischen Pommern und Stuttgart, in: Pommern, 34. Jg. H. 3 2006, S. 30-43 (26 Abb.). – Ewa Gwiazdowska, Dokument, pejzaż, reportaż – oblicza twórczości Maxa Kühna (1888-1970), Biblioteka Naukowa Muzeum Narodowego w Szczecinie, Szczecinie 2008, S. 119-131, deutsche Zusammenfassung (11 Abb.). – Ewa Gwiazdowska, Z Maxem Kühnem przez malownidczy dawny Stargard, in: Stargardia Tom V 2010, S. 331-347, deutsche Zusammenfassung (18 Abb.). – Bogdana Kozinska/Dariusz Kacprzak, Museales Verständnis im Wandel, in: Pommern, 50. Jg. H. 2 2012, S. 34 (1 Abb.). – Helmut Scheun­chen, Die Stuttgarter Trümmer des Max Kühn, in: Von Lisbeth, Sagan und dem Erzherzogstrio, Esslingen 2015, S. 79-84.

Bild: Photo Max Kühn 1910er Jahre: Private Ostdeutsche Studiensammlung.

Helmut Scheunchen