Biographie

Moltke, Helmuth Karl Bernhard Graf von

Herkunft: Pommern
Beruf: preußischer Generalfeldmarschall
* 26. Oktober 1800 in Parchim/Mecklenburg
† 24. April 1891 in Berlin

Moltke war Sohn eines verabschiedeten preußischen Offiziers und späteren dänischen Generals sowie einer Lübecker Bürgerstochter. Er brachte es bis zum höchsten militärischen Dienstgrad, dem Generalfeldmarschall, ohne jemals Kompaniechef oder Truppenkommandeur gewesen zu sein. Doch war er einer der wenigen preußischen Offiziere, die während der langen Friedensperiode zwischen 1815 und 1864 Kriegserfahrungen sammeln konnten, indem er von 1835 bis 1839 als Berater in der Türkei – sowohl in der Umgebung des Sultans als auch beim Feldherrn der gegen die Kurden kämpfenden Armee – tätig war. In die preußische Armee zurückgekehrt, wurde Moltke in den verschiedenen Generalstabsebenen, zuletzt als Korpschef in Magdeburg, verwendet. Als Adjutant und zugleich als Lehrer des Prinzen Friedrich Wilhelm, des späteren Kaisers Friedrich III., auf dem Gebiet der Strategie, Taktik und Kriegsgeschichte erwarb er sich auch bei Hofe ein solches Ansehen, daß ihm Prinzregent Wilhelm, der spätere König und Kaiser, nach dem Tod des Generals von Reyher die Stellung des Chefs des Generalstabes der Armee anvertraute. Als solcher war er dem Kriegsminister unmittelbar nachgeordnet. Doch wertete König Wilhelm I. die Stellung Moltkes, der „die Verantwortung des Rates“ seinem als Feldherrn fungierenden König gegenüber trug, bald auf. Am 2. Juni 1866 verfügte er in einer Kabinettsorder, daß von jetzt ab die „Befehle über die operativen Bewegungen der konzentrierten Armee und ihrer einzelnen Teile durch den Chef des Generalstabes der Armee den Kommandobehörden mitgeteilt werden sollen“, unter gleichzeitiger Benachrichtigung des Kriegsministers (Kessel, Moltke, S. 458).

Nach dem Friedensschluß von Nikolsburg 1866 gelang es Moltke, durch seine kluge Behandlung der Führungsgehilfen in den besiegten deutschen Kontingenten auf den gemeinsamen Kampf aller deutschen Heeresverbände in dem zu erwartenden Kriege gegen Frankreich hinzuwirken und damit auch zur politischen Einigung der deutschen Teilstaaten im Deutschen Reich beizutragen.

Nach dem Deutsch-französischen Kriege widmete sich Moltke der zügigen Bearbeitung der Geschichte dieses „Einigungs“-Feldzuges, bemühte sich als seit 1868 berufenes Mitglied der Landes-Verteidigungs-Kommission darum, das Festungs- und Küstenverteidigungswesen in Verbindung mit dem Ausbau des Eisenbahnnetzes und im Hinblick auf den Deutschland nunmehr bedrohenden Zweifrontenkrieg zu modernisieren. Als Vorsitzender des „Central-Direktoriums der Vermessungen“ sorgte er für den Ruf der ihm unterstehenden, über den militärischen Bereich hinaus wirkenden „Landesaufnahme“.

Obwohl Moltke sowohl 1866 als auch 1870 sich für den Angriff der preußischen bzw. deutschen Armeen entschieden hatte, war er doch auf Grund umfangreicher Studien, die er seit Beginn seiner Amtszeit als Generalstabschef intensiv betrieb, der Ansicht, daß die Verteidigung die stärkere Kampfart sei. Da er die Strategie als ein „System der Aushilfen“ bezeichnete, lehnte er es ab, ein strategisches Lehrsystem zu entwickeln. Durch Kriegsspiele, Generalstabsreisen und taktische Aufgaben schulte er seine Generalstabsoffiziere und erzog sie zu eigener Beurteilungsfähigkeit, sprachlicher Genauigkeit und gebotener Kürze.

In Mecklenburg geboren und in Berlin gestorben, war Moltke doch mit allen preußischen Ostprovinzen eng verbunden. Nach einigen Leutnantsjahren in dänischen Diensten wurde er 1822 im preußischen 8. Infanterieregiment in Frankfurt an der Oder angestellt und nach wenigen Jahren im Truppendienst als Lehrer für Französisch und Geländeaufnahme bei der Divisionsschule der 5. Division ebendort beschäftigt, in der er Offiziersanwärter unter anderem aus den Garnisonen Küstrin, Prenzlau, Soldin, Landsberg/Warthe, Sorau, Crossen betreute. Nach erfolgreichem Besuch der Allgemeinen Kriegsschule in Berlin wurde Moltke zur Topographischen Abteilung des Großen Generalstabes in Berlin kommandiert und von dort mit der kartographischen Aufnahme von Gebieten in Niederschlesien und Posen beauftragt. Durch ihn wurden „die Blätter Schmollen und Oels 1828, Zerkow zur Hälfte, Grab (soweit auf deutschem Boden) und Rusko 1829, Schwerenz und Miloslaw 1830 aufgenommen“ (Kessel, Moltke, S. 65).

Moltke nutzte den Aufenthalt bei deutschen und polnischen Gutsbesitzern, um sich mit den Problemen in den deutsch-polnischen Siedlungsgebieten vertraut zu machen. Gegenüber den polnischen Gutsbesitzern zeigte er sich „frei von aller nationalen Antipathie, obwohl er sich nun schon ganz als ‚Preuße‘ fühlte… Unwillkürlich machte er ernst mit dem Prinzip der Eigenberechtigung der Nation, indem er sich auf ihren Standpunkt zu stellen suchte, wenn er mit ihr umging, und sie so nahm, wie sie war, dabei sich des Reichtums und der Eigenart ihrer Kultur erfreuend“ (Kessel, Moltke, S. 66). Gepackt von der Liebenswürdigkeit, mit der er im Hause der Gräfin Obiezierska in Rusko bei Jarotschin aufgenommen wurde, und den in diesem Hause geführten Diskussionen über die im damals geteilten Polen vertretenen nationalen Interessen, insbesondere des polnischen Adels, fühlte sich Moltke nicht nur bewogen, mit der Gräfin eine sich über acht Jahre hinziehende Korrespondenz zu führen, sondern sich auch mit der Geschichte Polens so intensiv zu beschäftigen, daß er 1832 eine SchriftDarstellung der inneren Verhältnisse und des gesellschaftlichen Zustandes in Polen veröffentlichte.

Mit Schlesien kam Moltke in nähere Verbindung, als er am 1. September 1855 zum ersten persönlichen Adjutanten des ThronerbenPrinz Friedrich Wilhelm ernannt wurde, der damals Kommandeur des 11. Infanterieregiments in Breslau war. Der Ernennung gingen eingehende Erkundigungen bei früheren Vorgesetzten voraus. Fürst Radziwill, Moltkes Vorgesetzter als Kommandierender General des IV. Armeekorps, äußerte sich: „Ich kenne niemand, den ich für die Vertrauensstellung, von der die Rede ist, besser geeignet halte als den Obristen von Moltke“ (Priesdorff, Soldatisches Führertum, Bd. 7, S. 380). Als Begleiter des Prinzen lernte Moltke nach den ihm bereits bekannten südeuropäischen Ländern nun auch England, Frankreich und Rußland kennen. Die Tatsache, daß ein Bataillon des 11. Infanterieregiments in Schweidnitz lag, dürfte Moltke als Begleiter des Prinzen Gelegenheit geboten haben, sich mit dieser Gegend so vertraut zu machen, daß er sich, als er nach dem Sieg bei Königgrätz vom preußischen König eine Dotation erhielt, auf diese Landschaft besann und die in unmittelbarer Nähe von Schweidnitz gelegenen Güter Kreisau, Wierischau und Graditz erwarb. Dort verbrachte er seinen Lebensabend, soweit ihm dies seine ihm bis zu seinem Tode auferlegten Pflichten erlaubten.

Nachdem Moltke am 20. September 1866 zum Chef des „Colbergschen Grenadier-Regiments (2. Pommerschen) Nr. 9“ ernannt worden war, das in Stargard und zunächst auch noch in Pyritz Garnisonen unterhielt, verlieh ihm die Stadt Kolberg noch im selben Jahr das Ehrenbürgerrecht. Damit entstand für Moltke eine besondere Beziehung zur Provinz Pommern. Die gleiche Ehrung erhielt Moltke unter anderem auch aus Görlitz, Schweidnitz, Breslau, Königsberg, Stargard und Memel.

Zu Memel und damit zur Provinz Ostpreußen entstand für Moltke dadurch ein besonderes Verhältnis, daß er im Jahre 1867 das Mandat für den Wahlkreis Memel – Heydekrug zum Reichstag des Norddeutschen Bundes annahm und dieses Mandat im deutschen Reichstag bis zu seinem Tode beibehielt. Damit war Moltke der einzige aktive preußische Offizier, der über längere Zeit eine Abgeordnetentätigkeit wahrnahm und zu gegebener Zeit sich – vor allem in militärischen Angelegenheiten – zu Wort meldete.

Lit.: Gesammelte Schriften und Denkwürdigkeiten des General-Feldmarschalls Grafen Helmuth von Moltke. 2. Band: Vermischte Schriften. Berlin 1892. – Graf Moltke als Redner. Vollständige Sammlung der parlamentarischen Reden. Hrsg. von Gustav Karpeles. Stuttgart (1887). – Moltke Almanach, Bd. II: Moltke und Polen, bearb. von Jürgen Arndt, München 1990. – Eberhard Kessel: Moltke. Stuttgart 1957. – Kurt von Priesdorff: Soldatisches Führertum, Bd. 7, S. 371-391. Hamburg o.J. – Friedrich Christian Stahl: Helmuth von Moltke, in: Militärgeschichtliches Beiheft zur Europäischen Wehrkunde, 3. Jg. (1988), H. 4, S. 1-16. – Ders.: Helmut Graf von Moltke, in: Klassiker der Pädagogik im deutschen Militär. Hrsg. von Detlef Bald/ Uwe Hartmann/ Claus von Rosen (Forum Innere Führung, Band 5). Baden- Baden 1999, S.131-146.

Bild: Helmuth von Moltke; Gipsbüste von Reinhold Begas, Nationalgalerie Berlin.

 Friedrich-Christian Stahl