Biographie

Nicolai, Otto

Herkunft: Ostpreußen
Beruf: Organist, Komponist, Kapellmeister
* 9. Juni 1810 in Königsberg i.Pr.
† 11. Mai 1849 in Berlin

Drei Leistungen Otto Nicolais überdauerten seine Lebenszeit. Das waren die Schilderungen des italienischen Musiklebens seiner Zeit, unter anderem der Aufführungen der Cappella Sistina in Rom; die Gründung der Wiener Philharmoniker und ihrer Konzerte im März 1842; die Komposition der komischen Oper Die lustigen Weiber von Windsor. Deren Text schrieb Hermann Salomon Mosenthal unter Mitwirkung des Komponisten nach William Shakespeares 1602 erschienenem Lustspiel The Merry Wives of Windsor.

Carl Otto Ehrenfried Nicolai ist als Sohn des Sängers, Gesangspädagogen und Komponisten Carl Ernst Daniel Nicolai (1785-1857) und dessen Ehefrau geboren. Die Ehe der Eltern wurde in den Kinderjahren des Sohnes geschieden. Der Vater versuchte, Otto als “Wunderkind” zu vermarkten. Der begabte Knabe entfloh der harten Schulung wiederholt, mit 16 Jahren endgültig. In Stargard/Pommern nahm sich Justizrat August Adler seiner an und ließ ihn die Schulbildung fortsetzen. Im Jahr 1827 wurde er nach Berlin geschickt und studierte bis 1830 am 1822 gegründeten “Institut für Kirchenmusik” unter anderem bei Carl Friedrich Zelter und Bernhard Klein. In einer Aufführung der Berliner Singakademie von Johann Sebastian Bachs Matthäus-Passion am 27. März 1831 sang Nicolai die Jesus-Partie (die erste Wieder-Aufführung der Passion hatte am 11. März 1829 stattgefunden). Nach einer Tätigkeit als Musiklehrer in Berlin wurde ihm 1833 die Organisten-Stelle an der Kapelle der Preußischen Gesandtschaft beim Vatikan in Rom angeboten. Nicolai nahm sie an und versah sie bis zum 1. April 1836. Im Jahr 1835 hatte er beim Kapellmeister des Päpstlichen Chores, Giuseppe Baini, “Komposition im Palestrina-Stil” studiert.

Die Komposition von Trauermusiken auf den Tod des Komponisten Vincenzo Bellini (1835) und der Altistin M.F. Malibran (1836) brachten Nicolai in Kontakt mit dem Opernwesen. Da Bemühungen um Opernaufträge erfolglos blieben, nahm er am 1. Juni 1837 die Stellung eines Kapellmeisters und Gesanglehrers an der Hofoper in Wien an. Als der einjährige Vertrag nicht verlängert worden war, begab sich Nicolai erneut nach Italien. Die in Wien komponierte Oper Rosmonda wurde im November 1839 in Triest, das AuftragswerkIl templario im Februar 1840 in Turin aufgeführt. Letzteres erfuhr in den folgenden Jahren Wiederholungen an zahlreichen europäischen Bühnen. Da die Opern Gildippa ed Odoardo (1840 Genua) und Il Proscritto (1841 Mailand) nur geringeren Erfolg erzielten, kehrte Nicolai 1841 als 1. Kapellmeister an die Wiener Hofoper zurück. Sein dortiges Wirken als Dirigent und die organisatorische Einrichtung der “Philharmonischen Konzerte” 1842 brachten ihm hohe Anerkennung. Von den zwölf von ihm geleiteten Konzerten bildete die Aufführung von Ludwig van Beethovens 9. Sinfonie den markanten Höhepunkt.

Als sich die Wiener Opernintendanz Ende 1846 nicht zur Uraufführung der seit Dezember 1845 in Arbeit befindlichenLustigen Weiber von Windsor entschließen wollte, kündigte Nicolai den Vertrag mit der Hofoper und verabschiedete sich am 1. April 1847 in einem Philharmonischen Konzert mit Proben aus dieser Oper vom Wiener Publikum. Am 1. März 1848 übernahm er in Berlin die Leitung des (evangelischen) Domchors und die Kapellmeister-Stelle am Königlichen Opernhaus. Die Revolution von 1848 und Besetzungsprobleme verzögerten die Uraufführung der Lustigen Weiber weiter. Am 9. März 1849 kam diese endlich zustande und war ein bedeutender Erfolg. Seit den Berliner Studienjahren hatte Nicolai Kompositionen verfaßt, so 1832 eine Missa ex D für Soli, Chor und Orchester zur Weihe des Doms in Posen, die er 1843 umarbeitete und Friedrich Wilhelm IV. von Preußen widmete. Wohl ebenfalls für Posen entstand 1832 ein Te Deum für Soli, Chor und Orchester. Nach dem Studium bei G. Baini setzte er 1836 ein Pater noster für achtstimmigen Doppelchor a cappella. In Wien kamen ein OffertoriumAssumpta est Maria für fünfstimmigen Chor und Orchester und die Antiphon Salve Regina für Sopran und Orchester hinzu. Als Leiter des Domchores in Berlin komponierte er mehrere Psalmen, einEhre sei Gott in der Höhe und andere liturgische Gesänge in deutscher Sprache, darunter mehrere für achtstimmigen Chor a cappella. Für Orchester setzte er unter anderem eineKirchliche Fest-Ouvertüre über ‘Ein feste Burg’, eine Weihnachts-Ouvertüre über ‘Vom Himmel hoch da komm ich her’ und zwei Sinfonien. Auch Klavier-Lieder, Klavier- und Kammermusik weist das Werkverzeichnis nach.

Mit einer vielseitigen, anstrengenden Tätigkeit, vor allem in Berlin als Domchor-Leiter und Opern-Kapellmeister, überforderte Nicolai seine Gesundheit, wiederholte Krankheiten hatte er nicht als Warnungen verstehen wollen. Zwei Monate nach der Uraufführung seines Hauptwerks, der “komisch-phantastischen Oper” Die lustigen Weiber von Windsor (die in alle Kultursprachen übersetzt wurde), und zwei Tage nach einem Konzert mit dem Domchor erlitt der knapp 39jährige einen Schlaganfall und starb.

Der auch musikhistorisch interessierte Musiker hatte, besonders in Rom und Wien, mannigfaltige Kompositionen gesammelt. Berühmte musiktheoretische Darlegungen von Gioseffo Zarlino und Padre Giambattista Martini hatte er ins Deutsche übersetzt. Laut testamentarischer Verfügung gingen diese Bücherschätze in den Besitz der Königlichen Bibliothek zu Berlin, heute Staatsbibliothek Berlin, über.

Das selbst 150 Jahre nach seinem Tod treffendste Urteil über Otto Nicolai formulierte wohl 1869 Eduard Hanslick (1825-1904). In seiner Geschichte des Concertwesens in Wien schrieb er: “Nicolai war eine echte Künstlernatur, geistreich, enthusiastisch, ehrgeizig, allerdings auch eitel und launenhaft. Bei ruhigerem Temperament und strengerer Concentration hätte er, namentlich als Componist, ungleich Höheres leisten können”.

Lit.: Hermann Mendel: Otto Nicolai, Berlin 1866. – Eduard Hanslick; Geschichte des Concertwesens in Wien, Bd. 1, Wien 1869, S. 314-318. – Carl Krebs: Meister des Taktstocks, Berlin 1919. – Max Schipke: Geschichte des Akademischen Instituts für Kirchenmusik in Berlin, Berlin 1922. – G.R. Kruse: Otto Nicolai, Musikalische Aufsätze, Regensburg o.J. – Wilhelm Altmann: Otto Nicolais Tagebücher, Regensburg 1937. – Wilhelm Virneisel: Otto Nicolai als Musiksammler, in: Fs Max Schneider, Leipzig 1955. – Rudolf Kloiber: Handbuch der Oper, Regensburg61961, S. 340-345. – Musik in Geschichte und Gegenwart, Bd. 9, Kassel u.a. 1961, Sp. 1446-1450. – Hellmuth Christian Wolff: Gesch. der komischen Oper, Wilhelmshaven 1981, S. 186 f. – The New Grove, Bd. 13, London 1980, S. 212-214.

 

  Rudolf Walter