Biographie

Parplies, Hans-Günther

Herkunft: Ostpreußen, Westpreußen
Beruf: Ehrenvorsitzender der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen
* 26. April 1933 in Marienburg/Westpr.

„Im Schatten der Hochmeisterburg wurde Hans-Günther Parplies am 26. April 1933 in der alten Ordensstadt Marienburg an der Nogat geboren. In der Heimat verlebte er die Kinder- und frühe Schülerzeit bis zur Flucht 1945. Sieben Jahre später bestand der Flüchtling sein Abitur in Soltau/Niedersachsen.“ Mit diesen Sätzen beginnt die Verleihungsurkunde des „Marienburg-Preises“ der Landsmannschaft Westpreußen im Jahr 1978 an Hans-Günther Parplies. Sie umreißen äußerst nüchtern ein Ereignis, das den Lebensweg einer Person entscheidend verändert hat. Aber das Schicksal dieser Person wäre von singulärer Bedeutung, wäre es nicht Teil des Schicksals eines großen Teiles des deutschen Volkes und der Keim für die Veränderungen sowohl des deutschen Staatswesens als auch des Charakters der deutschen Nation in der zweiten Hälfte des 20. Jahr­hunderts.

Wer den Weg all jener Menschen verfolgt, die unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg aus ihrer ostdeutschen, sudetendeutschen oder südostdeutschen Heimat geflohen sind oder vertrieben wurden, dem kann ein struktureller Wandel im Bereich der deutschen Heimatvertriebenen nicht verborgen geblieben sein. Aus einer breiten Bewegung mit einem weitgehend klar umrissenen politischen Profil in den 50er- und 60er-Jahren wurde eine enge markante Gemeinschaft der ungebrochen für die Rechte und kulturellen Traditionen der deutschen Heimatvertriebenen eintretenden Verbände zu Beginn des 21. Jahr­hun­derts. Zwischen den vielen – und oft wechselnden – Repräsentanten dieser Organisationen ragt eine Persönlichkeit als Sinnbild der Kontinuität heraus: Hans-Günther Parplies.

Eine Laudatio kommt nicht umhin, die wichtigsten Stationen seines beruflichen und ehrenamtlichen Wirkens sowie deren Würdigungen in Erinnerung zu rufen:

1953 bis 1959 Studium der Rechtswissenschaften in Köln, Tübingen und Göttingen; 1959 erste juristische Staatsprüfung in Göttingen; 1959 bis 1962 Geschäftsführung für die Gemeinnützige Gesellschaft Albertinum zur Vorbereitung eines ostpreußischen akademischen Zentrums mit Studentenwohnheim in Göttingen; 1962 bis 1967 juristischer Vorbereitungsdienst in Nordrhein-Westfalen und Besuch der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer; 1967 zweite juristische Staatsprüfung in Düsseldorf; 1967 bis 1979 wissenschaftlicher Referent für Staats- und Völkerrecht (zugleich Geschäftsführer der Studiengruppe für Politik und Völkerrecht) sowie ab 1973 Leiter des Kulturreferats in der Bundesgeschäftsstelle des Bundes der Vertriebenen in Bonn; 1979 bis 1998 Geschäftsführer der Stiftung Ostdeutscher Kulturrat in Bonn.

Bei der Aufzählung des ehrenamtlichen Engagements gerät jeder Wegbegleiter – vielleicht auch der Jubilar selbst – in Gefahr, den Überblick zu verlieren: Vorstandstätigkeit bzw. Bundesvorsitz im Bund Ostpreußischer Studierender (BOSt) und im Verband Heimatvertriebener und Geflüchteter Deutscher Studenten (VHDS); Mitherausgeber und Chefredakteur der ambitionierten Studentenzeitschrift „actio“; seit 1968 in der Führung des Bonner BdV-Kreisverbandes, von 1987 bis 2012 dessen Vorsitzender; seit 1976 Mitglied im BdV-Landes­vorstand Nord­rhein-Westfalen, 1988 bis 2016 dessen Vorsitzender; von 1984 bis 2008 Mitglied des Präsidiums des BdV-Bundesverbandes, von 1994 bis 2008 dessen Vizepräsident; seit 1999 stellvertretender Vorsitzender des Stiftungsrates des Ostdeutschen Kulturrats; von 2000 bis 2004 Vorsitzender des Kuratoriums der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen, von 2004 bis einschließlich 2015 deren Vorstandsvorsitzender, ab 2016 Ehrenvorsitzender.

Neben dem bereits erwähnten Marienburg-Preis der Landsmannschaft Westpreußen wurden Hans-Günther Parplies das Goldene Ehrenzeichen der Landsmannschaft Ostpreußen, die Goldene Ehrennadel des Bundes der Vertriebenen sowie das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verliehen. 2016 wurde er mit der Wenzel-Jaksch-Medaille, der höchsten Auszeichnung des Bundes der Vertriebenen, geehrt.

Angesichts der sicherlich unvollständigen Aufzählung von Ehrenämtern stellt sich unausweichlich die Frage, welche Beweggründe hinter dieser spezifischen – und bei der deutschen Bevölkerung immer weniger anzutreffenden – Sammelleidenschaft von Hans-Günther Parplies stehen. Denn im Kern seines Wesens ist er eher ein Denker, der in die Dinge eindringt, ihnen auf den Grund geht und kein Detail übersehen will, als ein Mann der Tat. In seinem Ringen um die richtigen Erkenntnisse und Entscheidungen sucht er zwar die geeigneten Partner; er ist aber nur begrenzt ein Teamarbeiter. Jedoch hat er frühzeitig erkannt, dass ohne Verbands-Strukturen keine Initiativen umzusetzen sind bzw. dass nicht gewollte Entwicklungen nur durch Mitwirkung in den entsprechenden Gremien blockiert werden können. In beiden Elementen, im Vorantreiben des von ihm als richtig Erkannten und im Verhindern des als fehlerhaft Empfundenen, zeigt Hans-Günther Parplies eine oft unglaubliche Zähigkeit.

Das Leitmotiv seines Denkens und Wirkens ist die staatliche und kulturelle deutsche Einheit. Für den geborenen Westpreußen und bekennenden Ostpreußen Hans-Günther Parplies war über Jahrzehnte hinweg eine Politik der Bundesrepublik Deutschland unvorstellbar, die deutsche Kerngebiete Preußens nicht als Teil eines wieder zu vereinigenden deutschen Staates betrachtet. In verschiedenen staats- und völkerrechtlichen Schriften – insbesondere nach dem Grundlagenvertrag und den Ostverträgen der sozialliberalen Regierung von 1972 und den darauf bezogenen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Juli 1973 und 7. Juli 1975 – hat sich Hans-Gün­ther Parplies vertieft mit diesen Kernfragen der Identität des deutschen Staatswesens im Lichte der völkerrechtlichen Normen und Vertragswerke sowie des Grundgesetzes auseinandergesetzt, insbesondere in den völkerrechtlichen Abhandlungen Das Potsdamer Abkommen und die Deutschlandfrage (1977/1987) oder in den Publikationen Deutschland nach den Verträgen und Grundvertrag und Grundgesetz. Als Ergebnis langjähriger Debatten mit Repräsentanten der deutschen Volks­gruppen, die nicht in der „Weimarer Republik“ – also nicht in den Grenzen Deutschlands von 1937 – beheimatet waren, legte Hans-Günther Parplies frühzeitig auch Wert auf die Behandlung der Volksgruppen- und Minderheitenrechte, zum Beispiel in den Tagungen und Publikationen der in den Anfangsjahren von ihm betreuten Studiengruppe für Politik und Völkerrecht bei dem Bund der Vertriebenen.

Die deutsche Einheit war für Hans-Günther Parplies aber nie eine ausschließlich rechtliche Frage, sondern immer auch ein kulturpolitischer Auftrag. Er sah in der Gesamtheit der kulturellen Leistungen, Traditionen und Prägungen aller deutscher Stämme das Vermächtnis für eine gesamtdeutsche Kulturpolitik. Entschieden wandte er sich gegen das Ausklammern der ost- und südostdeutschen Elemente aus der staatlichen Förderung und Pflege der deutschen Kultur. Mit der gebotenen Selbstverständlichkeit forderte und förderte er bereits in jungen Jahren die Wiederaufnahme der kulturellen Brückenfunktion der ostdeutschen Landsmannschaften zwischen den Deutschen und ihren östlichen Nachbarn. Mit allem Nachdruck aber wehrte er sich gegen das Vereinnahmen deutscher Kulturleistungen, deutscher Städtetraditionen oder deutscher Persönlichkeiten durch die ostmitteleuropäischen Staaten. Mit der Studienbuchreihe des Ostdeutschen Kulturrats über die Geschichte und die Gegenwart aller ost- und südostdeutschen Volksgruppen verantwortete Hans-Günther Parplies eine wegweisende und dauerhafte Orientierungshilfe, die nach der politischen Wende auch in den wissenschaftlichen Einrichtungen der östlichen Nachbarn Anerkennung fanden.

Andere wichtige Elemente in der Persönlichkeit von Hans-Günther Parplies bleiben oft im Verborgenen: die Einbindung in eine über 50-jährige Ehe mit seiner lieben, charmanten, leid-erprobten und ebenfalls immer heimattreuen Ehefrau Brigitte oder der fröhliche und sangeskräftige Partner beim Feiern froher Feste in vertrauter Runde (vor allem aus der Studentenzeit). Sie sind – leider – hinter dem zentralen inneren und äußeren Wesensmerkmal von Hans-Günther Parplies verborgen, dem aufrechten und geradlinigen sowie mit hohem persönlichen Einsatz verbundenen Wirken für die Anliegen der deutschen Heimatgebiete in Ostmittel- und Südosteuropa und der aus diesen Regionen vertriebenen Teile des deutschen Volkes.

Lit.: Hans-Günther Parplies (Hrsg.), Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen – 40 Jahre Erhaltung, Pflege und Weiterentwicklung des ostdeutschen Kulturerbes, Bonn 2015.

Bild: Kulturstiftung.

Günter Reichert