Biographie

Piontek, Heinz

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Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Lyriker, Erzähler
* 15. November 1925 in Kreuzberg/Oberschlesien
† 26. Oktober 2003 in Rotthalmünster bei Passau

Wenn einer sich darum sorgt, daß unsere deutsche Sprache, die vor allem seit Luther, Lessing und Goethe zu einer vorher nie dagewesenen Ausdrucksvielfalt gefunden hat, nun wieder in ihren Aussagemöglichkeiten verarmen könnte, so ist das der Schlesier Heinz Piontek, der in seinen Äußerungen zur Literatur unserer Zeit auch das sagte: „In der Lyrik von heute gibt es außer sprachlosem Entsetzen immer noch Zeilen genug, die schlaflos machen und unruhig und schön sind.“ Mit anderen fühlt er sich jener schlesischen Tradition verpflichtet, die auf der Barockdichtung des 17. Jahrhunderts basiert und das deutsche Sprachleben einzigartig förderte.

Heinz Piontek wurde in Kreuzburg in Oberschlesien geboren, der Stadt, aus der Gustav Freytag kam, zu dem eine Verwandtschaft nachgewiesen ist. Seine Vorfahren waren überwiegend Bauern gewesen und seine Welt das bäuerliche Umland. Er besuchte das Gymnasium und wurde als Siebzehnjähriger zum Kriegsdienst einberufen, der ihn nach Frankreich, Polen und Böhmen führte. 1945 geriet Piontek im Böhmerwald in amerikanische Kriegsgefangenschaft, arbeitete als Steinbrucharbeiter, Schriftmaler und Bauarbeiter, um schließlich in München Philosophie, Literatur- und Kunstgeschichte zu studieren. Die Währungsreform 1948 veranlaßte ihn, seine Situation neu zu überdenken. Er erzählt: „Ich trat den Weg mit 40 Mark ‚Kopfgeld‘ an, mit einem Anzug und zwei Paar Schuhen und einem Stoß Schreibmaschinenpapier aus einer amerikanischen Dienststelle. Veröffentlicht hatte ich damals erst ein paar unbeholfene feuilletonistische Arbeiten in Zeitschriften. Den Beruf des unabhängigen Schriftstellers, den ich wählte, kannte ich nur aus einem halben Dutzend romantischer Biographien. So war ich der Meinung, der Schriftstellerberuf sei ein Beruf auf Leben und Tod. Ich habe die Ansicht bis heute nicht revidiert.“

Zunächst hatte sich Heinz Piontek in Lauingen an der Donau niedergelassen, einem Landstädtchen. Seit 1961 lebt er in München.

Sein erstes Gedicht kam in der „Neuen Zeitung“ zum Abdruck. 1952 erschien als erster Lyrikband Die Furt. Ihm folgten 1953 Die Rauchfahne und 1957 Wassermarken, wo es in dem Gedicht „Mit dreißig Jahren“ heißt: „Mühsal ist wirklich:/Last und Hitze/ und das steinerne Glück./ Wirklich der überwundenen Tod-/ und alles Vergebliche wird/ fest unter den Sohlen./ Mehr wissen wir nicht.“ Bereits 1954 bekannte er: „Je mehr es einem Gedicht gelingt, die Zeit ‚aufzuheben‘, desto weniger kann ihm die Zeit anhaben.“ Das Zerbrechliche hinter den äußeren Erscheinungen nahm Piontek beizeiten wahr. Schon bald nach dem Erscheinen der ersten Gedichtbände schrieb ihm Hermann Hesse: „Es ist schön, im Garten Ihrer Gedichte sich zu verlieren, er ist weit und voll Gewächs und Geheimnis.“

Über die GedichtbändeMit einer Kranichfeder1962, Klartext 1966, Tot oder lebendig 1971 und Wie sich Musik durchschlug1978 bisHelldunkel1987 setzte sich Pionteks lyrisches Schaffen fort. Nicht annähernd läßt sich die Faszination seiner Gedichte beschreiben angesichts der Weite ihrer Perspektiven, der Fülle der Bilder und ihrer die Phantasie der Leser beflügelnden Sprachkraft. Daneben findet sich eindrückliche Spruchweisheit – so in dem zuletzt genannten Band, wo es im Hamlet-Zyklus am Schluß heißt: „Noch gilt:/ Wer bis zum Äußersten geht,/ darf auch vor dem Innersten/ nicht haltmachen.“ Seine Gedichte wurden in 24 Sprachen übersetzt, fanden Eingang in zahlreiche Anthologien und Schulbücher.

Als Erzähler stellte sich der Dichter 1963 mit dem Band Kastanien aus dem Feuer vor, wo sich Menschen mit den Erfahrungen unserer Zeit auseinanderzusetzen haben. Es folgten seine RomaneDie mittleren Jahre (1967) undDichterleben (1976), der mit seinem eigenen Leben und Schaffen zu tun hat, zumal wenn er an einer Stelle schreibt: „Die Wahrheit finden. Das hatte schon immer eine Schwierigkeit nach der anderen hervorgerufen. Jetzt hielten es viele für aussichtslos. Reichsfelder wenigstens trachtete, so gut es ging, den Irrtum zu ergründen.“ Piontek durchlebt seine Zeit mit wachen Sinnen und läßt sich nicht von Trends beeindrucken und erkennt, daß das gerade Gängige nicht unbedingt immer das für alle Zeiten Gültige sein muß. In Selbstverhör bekennt er: „Jene Augenblicke, in denen ich mit meiner Sache im Einklang war, gehören allemal zum besten Teil meines Lebens…“ Ihren Höhepunkt erreichte Pionteks Erzählkunst mit den Romanen Zeit meines Lebens (1984) undStunde der Überlebenden(1989). In jenem nahm er seine Kindheit und Jugendzeit in Kreuzburg zum Vorwurf, unbefangen, so wie er sie damals erlebte, in diesem das Kriegsende und seine mehr als bescheidenen Anfänge als Schriftsteller. Seine Wahrheitsliebe und die sprachliche Gestaltung, die ihn als einen „Meister der Sprache“ ausweist, fanden vielseitige Anerkennung. Sein jüngstes Werk ist sein 1993 erschienenes Buch Goethe unterwegs in Schlesien – Fast ein Roman, in dem er sich mit Goethes Aufenthalt in dem für ihn „zehnfach interessanten Land“ beschäftigt und mit der kaum bekannt gewordenen Begegnung des Dichters mit Henriette von Lüttwitz.

In einem Ausmaß wie kaum ein anderer deutscher Autor wurde Piontek mit namhaften Literaturpreisen ausgezeichnet, so 1957 mit dem „Andreas-Gryphius-Preis“, 1971 mit dem „Eichendorffpreis“, 1976 mit dem „Georg-Büchner-Preis“ und 1991 mit dem „Kulturpreis Schlesien“.

Werkausgabe: Heinz Pionteks Werke in sechs Bänden, München 1982 ff.

Lit.: Arno Lubos: Die schlesische Dichtung im 20. Jahrhundert, München 1961. – Klaus Hildebrandt: Ein Dichter erinnert sich – Heinz Pionteks autobiographische Romane

 

Konrad Werner