Biographie

Rosenkranz, Moses (eigentlich Edmund)

Herkunft: Galizien u. Bukowina
Beruf: Dichter
* 20. Juni 1904 in Berhometh am Pruth/Bukowina
† 17. Mai 2003 in Kappel

„… Nichts hatte ich der Welt zu künden
die unversöhnt in Blut und Tränen stand
mir selber suchte ich ein Lied zu finden
im tauben Land …
ich tats auf deutsch wieso gekommen
die fremde Sprache mir ich weiß es nicht…“

(Aus: Einstimmung zu einem mir entwendeten Manuskript, in: Im Untergang. Ein Jahrhundertbuch (I), 1986)

Ein toter Soldat im Kriegswinter 1918, auf dem elterlichen Bauernhof aufgefunden, und das unerwartete Ende des Vaters bewogen den etwa 14jährigen Rosenkranz unvermittelt, sein jahrelanges Stummsein zu beenden. Er begann damals, lange Zeit nur für sich allein, in deutscher Sprache zu dichten. Warum er das tat und weshalb in dieser Sprache, wußte der Mann auch später nicht genau zu sagen. Im Typoskript seiner Erinnerungen an die Jugend ist nachzulesen, daß der Knabe hoffte, im Aufzeichnen seiner Erfahrungen und Erkenntnisse einen Weg aus Verwirrung, Schrecken und Einsamkeit zu finden. Ob der Kriegs- und Verschleppungserfahrung des Kindes, der vielen Laute und Idiome wegen, die er um sich herum hörte? Die Entscheidung wirkte jedenfalls als eine Heilung,worauf in mehreren Gedichten des späteren Rosenkranz angespielt ist: „Wie ängstigte als es aus mir gebrochen/ das Wort an dem es mir gebrach …“ (Das Wort, in: Im Untergang II. Ein Jahrhundertbuch, S. 68). Diese Übung und die Fähigkeit, die eigenen Gedichte zu memorieren, dürften ihm auch im späteren Leben Rettung geboten haben.

Rosenkranz gehört zu jener Gruppe deutschsprachiger Bukowiner Autoren, die in den letzten Jahren wieder stärker in den Gesichtskreis der Gegenwartsliteratur und der Rezeptionsforschung gerückt ist. Ein Teil seines Werks galt, wie auch bei vielen anderen Bukowinern der Gruppe, als verschollen; es ist jedoch durch einige Publikationen in den achtziger Jahren und durch das Freiwerden des Zugangs zu Archiven in Rumänien wieder greifbar geworden. Deportation, Flucht, Auswanderung, Vertreibung – am kollektiven Schicksal der Bukowiner Autoren um die Mitte dieses Jahrhunderts hatten deren Texte ebenfalls Anteil, wenn sie auch nur selektiv überlebten.

Ein Kind des mehrsprachigen Nordbukowiner Dorfes, das aus kulturell und religiös heterogenen, nicht auf einen Blick durchschaubaren Elementen und harten Lebensgeboten geformt worden war, ist Rosenkranz eine der eigenwilligsten dichterischen Begabungen aus dieser Region. Zugleich erscheint er als atypisch. Sein Lebensweg unterscheidet sich deutlich von dem der meisten seiner gleichaltrigen oder etwas jüngeren Kollegen, die fast alle aus städtischem und (klein-)bürgerlichem Milieu kamen; er stand im wesentlichen – und wohl gewollt – außerhalb der möglichen Gruppenbezüge. Rosenkranz trat mit sechs Bänden Lyrik hervor, die zwischen 1930 und 1988 erschienen. Nur die beiden letzten stellte er selber zusammen. Seine Lyrik bildet den einsehbaren, festen Bestandteil eines viel umfangreicheren Werkes. Nach seinen Übersetzungen aus dem und ins Rumänische, nach seinen Anthologien müßte in Rumänien geforscht werden. Rosenkranz ist Autor heute als verschollen geltender Dramen und Prosatexte – Römerdramen, Christuslegenden, Romane (Die Leiden der Eltern, Der Hund), die nicht zur Veröffentlichung gelangt sind. Als sechstes von neun Kindern eines ostjüdischen Bauern aus dem Grenzland zwischen der habsburgischen Bukowina und dem Zarenreich erfuhr der Heranwachsende durch das bäuerlich-ländliche Milieu, den österreichischen Patriotismus des Vaters, das mehrsprachige kulturelle Umfeld und die Zeitereignisse in seiner engeren Heimat eine bleibende Prägung. Im Elternhaus galten vier Sprachen: Ruthenisch (Ukrainisch), das im Dorf auch Schulsprache war, Polnisch, wie es die Mutter im Unterricht gelernt hatte, Judendeutsch und „gebildetes Daitsch“, das die nach Höherem strebenden Schwestern einbrachten. Edmund, wie Rosenkranz eigentlich hieß, besuchte das deutsche Untergymnasium in Bielitz und dann in Prag, wo er 1916 in einem Internat für Flüchtlingskinder wohnte; damals beharrte er angesichts von Handgreiflichkeiten eines Lehrers gegen einen jüdischen Mitschüler auf der Änderung seines Vornamens in Moses. 1918 kehrte er in die Bukowina zurück, um in Czernowitz noch im dritten Gymnasialjahr die Schule endgültig zu verlassen. Es folgten Wanderjahre durch Österreich und Frankreich; er war Gelegenheitsarbeiter und, wieder in Rumänien, Soldat. 1930 zog er nach Bukarest um, wo er unter anderem als Übersetzer und Sekretär des Großgrundbesitzers und Schriftstellers Ion Pillat arbeitete. Unter der Militärdiktatur Antonescus war er in dem Arbeitslager Bentu interniert, wo sich auch Paul Antschel (Celan) befand. 1945/1946 war er im Auftrag des Internationalen Roten Kreuzes in Bukarest karitativ tätig. In dieser Stellung wurde er von der Straße weg verschleppt und des Widerstands gegen den Kommunismus angeklagt. Sein Weg führte von Bukarest bis Norilsk auf Taymir: So befand sich Rosenkranz seit 1947 über ein Jahrzehnt lang in sowjetischen Arbeitslagern und Gefängnissen. Schließlich konnte er 1961 Rumänien verlassen. Er lebt heute im Süden Deutschlands.

„Entdeckt“ worden war Rosenkranz in Czernowitz von Alfred Margul-Sperber, dem in der Bukowinametropole bekannten Literaten und Kritiker. Zunächst von Alfred Margul-Sperber, Oscar Walter Cisek und Ion Pillat gefördert, publizierte er drei schmale Gedichtbände Leben in Versen (Czernowitz 1930),Gemalte Fensterscheiben (Czernowitz 1936), Die Tafeln (Czernowitz 1940). 1947, als er schon im Gulag war, veröffentlichten Immanuel Weissglas und Herman Roth in Bukarest seinen Band Gedichteunter dem Pseudonym Martin Brant. In den späten 80er Jahren erschienen zwei weitere Gedichtbände: Im Untergang (München 1986) und Im Untergang II (Innsbruck 1988), beide mit dem Untertitel Ein Jahrhundertbuch. Einzelne frühe Gedichte wurden, geringfügig bearbeitet, wieder aufgenommen. Motive der frühen Bände – Natur, Liebe, Bauernleben, das naturvernichtende Vordringen der Stadt, Todessehnsucht, Trauer – verdichten sich in den beiden letzten Lyrikbüchern und münden in die Darstellung des Schreckens des Krieges und der Völkervernichtung.Im Untergang II thematisiert er zurückweisend in Vorzeit und Antike, die Zerstörung der Erde durch den Menschen und erhebt Anklage gegen die sich heute anbahnende totale Vernichtung der Natur im Gefolge von Wissenschaft und Technik. Der siebenbürgische Literat Herman Roth bezeichnete die Gedichte von Rosenkranz als „großartige Bekundungen östlicher Kraft“, der Bukowiner Alfred Margul-Sperber chakterisiert deren Sprache als „so unverbraucht, so neu,… ein jedes Wort organisch gewachsen an seiner Stelle …, erstmalig, unverwechselbar, unverrückbar.“ Sehnsucht nach Erlösung und die Hoffnung auf das Überdauern der Natur – die Blüte einer Blume in Angesicht des Untergangs (Im Untergang. Ein Jahrhundertbuch II, S.94) – das sind weitere Themen aus dem Alterswerk von Rosenkranz. Die wiederkehrenden Baummetaphern wie „Es hält der am sich / mit den Wurzeln fest / am dichten Boden / den er nicht läßt./ Indem er diese / in die Tiefe taucht / reicht ihm der feuchte / Boden was er braucht.“ (Der Gesetzte, ebenda, S. 53) tragen spruchweisheitartig diese Botschaft.

Lit: D(ieter) K(essler): Gedichte. In: Südostdt. Vjsbl. Mchn 34 (1985) 2, 92f. – Joh. Adam Stupp: „Die Blutfuge“ und „Todesfuge“. In: Ebd. 34 (1985) 4, 287f. – Cornelius R. Zach; Gedanken zu einem Jahrhundertbuch. In: Ebd. 35 (1986) 4, 266ff. – Die Bukowina. Studien z. einer versunkenen Literaturlandschaft, hgg. v. Dietmar Goltschnnigg und Anton Schwob. Tübingen 1990, Ed. Orpheus. 3. – Fäden ins Nichts gespannt, hgg. von Klaus Werner. Leipzig 1991. Einige Gedichtbeiträge und Briefe von M.R. an Alfred Margul-Sperber wurden in der Bukarester Zeitschrift „Neue Literatur“ veröffentlicht, u.a. in Heft 1/1971 27 Gedichte ausgewählt und mit einem Vorwort versehen von Paul Schuster, Heft 6/1974 des „Neuen Literaten“ enthält drei Rezensionen von Alfred Margul-Sperber (2) und Alfred Kittnes (1) zu Gedichtbänden von Moses Rosenkranz.

Bild: Moses Rosenkranz am 1. Juli 1993; Photo von Doris Demant, Baden-Baden.