Biographie

Schmidt, Roderich

Herkunft: Pommern
Beruf: Historiker
* 7. Februar 1925 in Demmin/Vorpommern
† 12. September 2011 in Marburg

Vor achtzig Jahren wurde Roderich Schmidt im vorpommerschen Demmin geboren. Nach einer glücklichen Kindheit und Jugend, deren letzten Jahre freilich vom Zweiten Weltkrieg und dem Dienst im Landesschützen-Bataillon 251 in Greifswald, von dem er amüsant zu erzählen weiß, überschattet waren – Schmidt war zum Glück „nur“ „garnisonsverwendungsfähig Heimat“ gewesen – blieb er seiner Heimat zunächst treu. Schon als Soldat, der sich zuvor dem Wehrertüchtigungslager verweigert hatte und deshalb aus der Hitlerjugend ausgeschlossen worden war, hatte er in Greifswald sein Studium der Geschichte, Germanistik, Theologie und Philosophie aufnehmen können. Er setzte es nach kurzer Kriegsgefangenschaft 1946 fort und schloß es 1951 mit dem Staatsexamen und der Promotion mit der Dissertation „Studien über Eike von Repkow und den Sachsenspiegel“ bei dem bekannten Mediaevisten Adolf Hofmeister (1883-1956) erfolgreich ab. Der bescheinigte ihm damals in seinem Gutachten für die „reife und durchaus selbständige Arbeit“ nebst großer Arbeitskraft eine „nicht gewöhnliche wissenschaftliche Begabung“. Den so Gelobten seinerseits bestach die „unbedingte Sachlichkeit, das Streben nach objektiver Erkenntnis, gegründet auf genauer Kenntnis der Quellen“ seines Lehrers und dessen „profundes Wissen und die abwägende Art seiner Geschichtsdarstellung und -interpretation“.

Mit dem Abschluß des Promotionsverfahrens begann für Roderich Schmidt ein letztlich sehr erfolg- und ertragreiches Gelehrtenleben, das aber zunächst keineswegs geradlinig verlief. War er zunächst Hilfskraft am Institut für Vor- und Frühgeschichte gewesen, das damals kommissarisch von Hofmeister geleitet wurde, so folgte zum 1. Dezember 1951 trotz „mangelnder gesellschaftlicher Betätigung“ die Anstellung als Assistent am Historischen Institut. Schon 1946 hatte er in einer Vorlesung seine spätere Frau kennengelernt, die später so erfolgreiche Germanistin Frau Professor Dr. Dr. h.c. Ruth Schmidt-Wiegand. Das Paar heiratete im August 1952, und am 15. Juli 1953 wurde ihm eine Tochter geschenkt. Einer glücklichen Zukunft stand anscheinend nichts im Wege, doch dem war nicht so. – Hatte sich Roderich Schmidt schon der braunen Tyrannei verweigert, so konnte und wollte er sich auch mit der roten SED-Diktatur nicht arrangieren. Die evangelische Studentengemeinde mit ihren Gottesdiensten, Bibelstunden, Besinnungen, Ausflügen, Feiern und Festen und ein Kreis um den einflußreichen Greifswalder und später Berliner Theologen Rudolf Hermann (1887-1962), Schmidts wichtigstem theologischen Lehrer, wurden seine geistige Heimat. Einer solchen festen Verankerung bedurfte es auch in der schweren Zeit. Die glanzvolle 500-Jahr-Feier der Greifswalder Universität von 1956 verdeckte nur, daß sich an der traditionsreichen Hochschule der unaufhaltsame Wandel zur kommunistischen Kaderschmiede vollzog. Mit anderen, älteren Hochschullehrern wurde der Assistent und geachtete junge akademische Lehrer bald von der Staatspartei des Verrats am Arbeiter- und Bauernstaat beschuldigt. Im Frühjahr 1958 wurden er und seine Frau von einer kommunistisch besetzten Universitätskommission befragt, ob sie künftig auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus lehren und veröffentlichen wollten. Als sie ablehnten, folgte die brüske Entlassung. Familie Schmidt verließ der Not gehorchend, doch schweren Herzens kurz vor Ostern 1958 Greifswald und ging in die Bundesrepublik Deutschland, wo beide an der Bonner Universität sehr befriedigende Beschäftigungen bei gesicherten Lebensumständen fanden.

1964 folgte Schmidt seinem Bonner Mentor Helmut Beumann nach Marburg an der Lahn an die Philipps-Universität. Seither ist das romantische Städtchen am silbernen Band der Lahn für ihn zur zweiten Heimat geworden. 1969 wurde Schmidt dort habilitiert. Von 1972 bis 1990 war Roderich Schmidt Direktor des 1950 gegründeten Herder-Instituts in Marburg und Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des diese Einrichtung bis 1993 tragenden Johann-Gottfried-Herder-Foschungsrates.

Schmidt lehrte an der Marburger Universität, seit 1972 als Honorarprofessor, wie einst in Greifswald und in Bonn mittelalterliche Geschichte und führte an Rhein und Lahn in Pommern begonnene Forschungen weiter oder nahm sie wieder auf, hat aber auch neue Themen in Angriff genommen, etwa über den Königsumritt, über den Thron und die Thronbesetzung mittelalterlicher Herrscher, über Herrschererhebung und –symbolik des Mittelalters, oder verfaßte Studien über die Kaiser Karl IV. aus dem Hause Luxemburg (1347-1378) und Friedrich III. von Habsburg (1440-1493).

Roderich Schmidt blieb auch immer der Universitätsgeschichte treu, wie sich dies schon bei seinem Aufsatz über die Anfänge der Universität Greifswald 1456 angedeutet hatte. Die hohen Schulen in Greifswald, Rostock, Prag, Erfurt und Marburg an der Lahn waren Gegenstand gelehrter Studien.

Was aber wäre das wissenschaftliche Gesamtwerk Roderich Schmidts ohne seine Arbeiten zur Geschichte Pommerns? Er wurde für die Zeit der Teilung unseres Vaterlandes geradezu zur Verkörperung der pommerschen Landesgeschichtsforschung, bei dem alle deren Fäden zusammenliefen. Er forschte und veröffentlichte unermüdlich selbst und regte zahlreiche andere zu einschlägigen Studien an, auch betätigte er sich als emsiger und umsichtiger fleißiger Herausgeber. Bei den eigenen Arbeiten vernachlässigte er nie, ganz seinem Herkommen treu bleibend, Arbeiten zur Kirchengeschichte, besonders zur Reformationszeit. Vom 18. November 1967 bis zum 29. September 2001 war er 1. Vorsitzender der Historischen Kommission für Pommern, die er umsichtig und weitblickend führte. Fast immer verstand er es, auf glückliche und erfolgversprechende Weise Institutionen, Personen und Talente zusammenzubringen und zu bündeln, um so große und kleinere wissenschaftliche Vorhaben voran und zu einem Ziel zu bringen.

Eine nicht vorhersehbare Herausforderung meisterte er im Zusammenhang mit der Vereinigung Deutschlands 1989/1990, die für ihn ein großes und unverhofftes Glück bedeutete. Schmidts Sachverstand und unbestechliches Urteil war gefragt, als es galt, an seiner geliebten Ernst-Moritz-Arndt-Universität zu Greifwald, die er nunmehr wiedersehen konnte, freiheitliche und rechtsstaatliche Strukturen zu schaffen sowie Lehrstühle und Professuren zu besetzen bzw. bisherige Amtsinhaber gegebenenfalls zu belassen. Hier hat Roderich Schmidt mit sehr viel diplomatischem Geschick Großes geleistet. Er verstand es auch, Grenzen zu überschreiten und Gräben zu schließen. Die Theologische Fakultät seiner alten alma mater verlieh ihm am 13. November 1990 den akademischen Grad eines „doctor theologiae honoris causa (Dr. theol. h.c.)“. Schon 1979 ist er mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse ausgezeichnet worden.

Der 1824 gegründeten Gesellschaft für pommersche Geschichte, Altertumskunde und Kunst e.V. trat Schmidt bald nach seiner Übersiedlung nach Westdeutschland Ende der 1950er oder Anfang der 1960er Jahre bei. 1975 wurde er in ihren Vorstand gewählt und erster Stellvertretender Vorsitzender. Selbstlos stand er den Vorsitzenden mit Rat und Tat zur Seite, vermittelte Redner und wies den Weg zur thematischen Zielsetzung. Auf der Jahrestagung 1999 in Stralsund feierte der Altertumsverein sein 175-jähriges Bestehen mit einem beeindruckenden Festakt im Löwenschen Saal des Rathauses. Es war ganz selbstverständlich, daß dort Roderich Schmidt in seiner Festrede die Vereinsgeschichte lebendig werden ließ. Anschließend wurde der Festredner für seine so reichen Verdienste zum Ehrenmitglied ernannt, eine Auszeichnung, die nur selten verliehen wird.

In der ihm eigenen philosophischen Weisheit und klugen Selbsterkenntnis weiß Professor Schmidt nur zu gut, daß auch in einem reichen und erfolgreichen Leben vieles unvollendet bleiben muß und längst nicht alle Vorhaben glücken können. Resignierend-wehmütig und doch auch heiter-getrost bekannte er einmal, daß es ihm bei manchem großen Vorhaben lediglich vergönnt war, schlechte, gar unheilvolle Entwicklungen nur zu verzögern. Das ist bisweilen mehr, als mancher Schönredner von sich behaupten könnte, wenn er denn ehrlich wäre. Der im Christentum ruhende Gelehrte weiß um die Unzulänglichkeiten des Menschen und seines Tuns, und er nimmt das mit vorbildlicher Gelassenheit, Heiterkeit und Würde hin; ein utopischer Weltverbesserer war und ist er nicht. Wie seine Frau hat Roderich Schmidt bei seiner Promotion 1951 die Verpflichtung unterschrieben „jederzeit unbeirrt von äußeren Rücksichten allein die Wahrheit zu suchen und zu bekennen“. Dem ist Professor – „Bekenner“ – Dr. Dr. h.c. Roderich Schmidt immer treu geblieben und wird es bleiben.

Werke: Zu Roderich Schmidts umfangreichem Gesamtwerk bis zum Jahre 2000 siehe Bibliographie Roderich Schmidt, in: Land am Meer (wie oben), S. XVII-XLIII (230 Positionen!). – Veröffentlichungen 1990-2000 Roderich Schmidts, in: Goldenes Doktorjubiläum (wie oben), S. 49-55. – Zu den drei Hauptarbeitsgebieten Schmidts – der Universitätsgeschichte, der allgemeinen mittelalterlichen Geschichte und der pommerschen Geschichte – gibt es drei starke Sammelbände mit den wichtigsten Aufsätzen: Fundatio et confirmatio universitatis. Von den Anfängen deutscher Universitäten (Bibliotheca Eruditorum. Internationale Bibliothek der Wissenschaften, 13), Goldbach 1998. – Weltordnung-Herrschaftsordnung im europäischen Mittelalter. Darstellung und Deutung durch Rechtsakt, Wort und Bild (Bibliotheca Eruditorum. Internationale Bibliothek der Wissenschaften, 14), Goldbach 2005. – Die bei der Buchvorstellung gehaltenen Vorträge liegen in einer Broschüre des Keip-Verlages zu Goldbach gedruckt vor, in der Schmidts mediaevistisches Œuvre von Paul-Joachim Heinig, S. 19-42, ausführlich und überzeugend gewürdigt wird: Zeichen der Macht – Macht des Zeichens. Von der Entzifferung des Mittelalters. – Das historische Pommern. Personen – Orte – Ereignisse (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern V, 35) Köln u. a. 2006.

Lit. (Auswahl): Günter Mangelsdorf, Laudatio für Prof. Dr. phil. habil. et Dr. theol. h.c. Roderich Schmidt, in: Baltische Studien N.F. 81 (1995), S. 109-111, auch in: Werner Buchholz/Günter Mangelsdorf (Hrsg.), Land am Meer. Pommern im Spiegel seiner Geschichte. Roderich Schmidt zum 70. Geburtstag (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern V, 29). Köln u. a. 1995, S. XLIII-XLVIII und in: 70. Geburtstag Prof. Dr. Dr. h.c. Roderich Schmidt. Feierstunde am 25. Januar 1995 an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität (Greifswalder Universitätsreden, N.F. 78), Greifswald 1995, S. 28-32; siehe auch die übrigen Beiträge in diesem Heft (Hans Christoph Ehmann, Matthias Buth, Bernd Hildebrandt, Hans Fix-Bonner, Ludwig Biewer, Werner Buchholz und Manfred Herling). – Ludwig Biewer, Roderich Schmidt zum 80. Geburtstag, in: Baltische Studien, N.F. 91 (2005), S. 7-14. – Goldenes Doktorjubiläum Ruth Schmidt-Wiegand und Roderich Schmidt. „In diesem Haus fing alles an (Greifswalder Universitätsreden, N.F. 102), Greifswald 2001.

Bild: Privatarchiv Roderich Schmidt.