Die Mutter des Philosophen Arthur Schopenhauer hat sich als Schriftstellerin einen Namen gemacht. Sie wuchs als Tochter des vielgereisten Kaufmannes Christian Heinrich Trosiener in sorgloser Jugend in Danzig auf. Kaum achtzehnjährig heiratete sie den viel älteren Kaufmann Heinrich Floris Schopenhauer. Er war ein sehr wohlhabender und gebildeter Mann, der der künstlerischen Veranlagung und Sprachbegabung seiner jungen Frau geistige Anregungen, u.a. auch durch viele Auslandsreisen, vermittelte. Mit 21 Jahren wurde ihr erstes Kind, der Sohn Arthur, in Danzig geboren. Sie war ihm eine liebevolle Mutter, doch in späteren Jahren haben sich Mutter und Sohn, der Philosoph, wenig verstanden und sich auseinandergelebt.
Als Danzig 1793 zu Preußen kam, zog ihr streng republikanisch eingestellter Mann mit seiner Familie nach Hamburg. Hier wurde die Tochter Adele geboren, die ihrer Mutter zeitlebens zur Seite stand. In Hamburg konnte sich Johanna nicht recht einleben. Offenbar hatte auch ihr Mann hier nicht den erwarteten geschäftlichen Erfolg. Nach dem Unfalltod ihres Gatten, 1805, zog sie nach Weimar, wohin sie aus früheren Jahren Verbindungen hatte. Dieser Ortswechsel erwies sich für ihr späteres Leben als ein entscheidender und glücklicher Entschluß.
Am 6.10.1806 traf sie in Weimar ein, wenige Tage vor der Plünderung der Stadt durch die Truppen Napoleons. Ihr mutiges, umsichtiges Auftreten den Eroberern gegenüber verschaffte ihr Sicherheit ihrer Person und ihres Eigentums. Ihr Haus wurde eine Zuflucht für Bedrängte und Obdachlose. So gewann sie allgemeine Zuneigung und war in kurzer Zeit mit allen Weimarer Größen befreundet. Als Goethe eine nicht standesgemäße Ehe mit Christiane Vulpius, die ihm bei dem Überfall durch französische Soldaten das rettete, einging, öffnete ihr Johanna Sch. ihr Haus und verschaffte ihr dadurch gesellschaftliches Ansehen. Goethe dankte es ihr zeitlebens.
Als Dame von Welt konnte es die zur Hofrätin ernannte Johanna wagen, einen literarischen Salon zu unterhalten. Zu ihren Abendgesellschaften versammelten sich donnerstags und sonntags zwei Jahrzehnte hindurch die Weimarer Geistesgrößen und deren reisende Gäste. Die ungewöhnlich begabte und äußerlich anmutige Gastgeberin vermochte dank ihrer liebenswürdigen, gewandten und kontaktfreudigen Art, die erlesensten Geister jahrelang an ihr Haus zu fesseln und so zum gesellschaftlichen Mittelpunkt Weimars zu werden.
Zu ihren Gästen und Freunden zählte auch der Kunstschriftsteller Karl Ludwig Fernow, der in ihrem Haus lebte und starb. Er hat am nachhaltigsten auf sie gewirkt, sie in die Kunstgeschichte eingeführt und zu schriftstellerischer Tätigkeit angeregt. Ihre erste Veröffentlichung war eine Biographie Fernows (1810). Johanna erwies sich als begabte und erfolgreiche Schriftstellerin von feiner Beobachtungsgabe und mit elegantem Stil. Ihr literarisches Werk umfasst Erzählungen, Romane, Biographien, Reise- und Kunstbeschreibungen, insgesamt 24 Bände. Ihr erster Roman „Gabriele“ (3 Bände 1818/20) wurde auch von Goethe gewürdigt. Die dann folgenden Romane „Die Tante“ (1823) und „Sidonia“ (1827) waren Zeitstil gefühlvoller Romantik und im sentimentalen entsagungsvollen Grundton gehalten, wobei sie sich weniger an dem Urteil der Rezensenten als an den Absatzziffern der Verleger oriente. Doch ihre anderen Arbeiten „Reise durch das südliche Frankreich“ und „Ausflug an den Niederrhein“ (1818), „Reise rch England und Schottland“ und das kunsthistorische Werk „Johann von Eyck und seine Nachfolger“ (1822) haben die Zeiten überdauert, weil sie frisch und farbig mit scharfer kritischer Beobachtungsgabe geschrieben worden sind. Ihre letzte Arbeit waren ihre Lebenserinnerungen „Jugendleben und Wanderbilder“ (von ihrer Tochter Adele 1839 herausgegeben und von Willi Drost mit einem Nachwort 1958 nachgedruckt), die leider unvollendet blieben und nur bis 1786 reichen. In ihnen schildert sie aus bewundernswertem Erinnerungsvermögen, sorgfältig beobachtet und lebhaft anschaulich dargestellt, ihre Eindrücke und Erlebnisse im Danzig ihrer Jugendzeit. Die Gestalten ihrer Umgebung, die Sitten und Gebräuche, das bunte Leben in der alten Hansestadt mit ihrer prächtigen Patrizierromantik, edles wird lebendig gegenwärtig. Dieses Buch wurde so zu einem wertvollen kulturhistorischen Zeitdokument ihrer Vaterstadt. Eine 540 Seiten starke Auswahl ihrer Jugenderinnerungen, Tagebücher und Briefe mit Illustrationen ihres Danziger Landsmannes Daniel Chodowiecki erschien 1986 unter dem Titel „Im Wechsel der Zeiten, im Gedränge der Welt“.
Als Kaufmannsgattin war sie einen großzügigen Lebensstil gewöhnt, hatte aber 1819 durch den Zusammenbruch eines Danziger Geschäftshauses den Großteil ihres Vermögens verloren. Daher war sie auf die Einkünfte ihrer schriftstellerischen Arbeit angewiesen. 1829 zog sie nach Bonn, um sich einzuschränken. 1837 bewilligte ihr der Großherzog von Weimar eine bescheidene Pension. Daher zog sie nach Jena um, wo sie im folgenden Jahr starb. Ihre Tochter gab den von ihr liebevoll geordneten Nachlaß der Mutter heraus.
Die Westpreußin Johanna von Schopenhauer war eine der markantesten und beliebtesten sowie meist gelesenen Schriftstellerinnen des 19. Jahrhunderts, die zudem ihrer Heimatstadt Danzig ein bleibendes Denkmal setzte.
Lit.: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 32, Berlin 1891, Nachdruck 1971; Bruno Pompeck in: Literaturgeschichte der Provinz Westpreußen, Danzig 1915; Johanna Schopenhauer: Jugendleben und Wanderbilder, mit Nachwort von Willi Drost, Tübingen 1958; Altpreußische Biographie Bd. II; Helmut Motekat: Ostpreußische Literaturgeschichte mit Danzig und Westpreußen, München 1977; Hans Georg Siegler: Glücklich vor allen Städten, Lübeck 1981; Hugo Rasmus: Lebensbilder westpreußischer Frauen in Vergangenheit und Gegenwart, Münster 1984.