Biographie

Schwarz, Gerhard

Vorschaubild
Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Kirchenmusiker, Komponist, Organist
* 22. August 1902 in Reußendorf, Kr. Waldenburg/Schlesien
† 13. Oktober 1995 in Inshausen

„Ich werde nie vergessen“ – schrieb Gerhard Schwarz rückblickend –, „wie man mich bei der Aufnahmeprüfung an der Akademie fragte, bei wem ich Unterricht gehabt hatte. ‚Unterricht‘, sagte ich, ,habe ich keinen gehabt, das habe ich alles alleine gemacht.‘ Wie weit ich in der Harmonielehre wäre? Ich sagte: ,Das weiß ich nicht.‘ Ich wußte gar nicht, daß es so etwas gab. ,Nun, spielen Sie mal etwas!‘ Ich sagte: ,Ich spiele Ihnen alle Tasten, alle Tonarten, alles, was Sie wollen, alles herauf und herunter‘ …“

Mochte das auch recht vermessen, ja verwegen klingen – anscheinend hat er seine Prüfer beim Herauf- und Herunterspielen von seiner musikalischen Begabung und Fähigkeit überzeugen können, denn er hat an der Akademie für Kirchen- und Schulmusik in Berlin von 1923-1928 studiert. Die Episode ist kennzeichnend in mancherlei Hinsicht. Sie beweist zunächst, daß sich Gerhard Schwarz musikalische Kenntnisse sozusagen „auf eigene Faust“ angeeignet hatte: er spielte alles, was er an Klaviernoten zu Hause vorfand, ob es sich um Sonatinen von Clementi und Kuhlau handelte oder um die seinerzeit so beliebten Salonstücke, zu denen selbstverständlich auch das „Gebet einer Jungfrau“ gehörte. Durch Vermittlung eines Kantors lernte er schließlich die romantische Musik intensiv kennen – „bis zu Wagners ,Tristan‘“. Die Prüfungs-Episode weist aber auch indirekt auf Eigenwilligkeit, Unbekümmertheit und jene höhere Naivität hin, wie sie Künstlern oft eignet und ungeahnte Konflikte heraufbeschwören kann. So lernte Schwarz durch Vermittlung Fritz Jodes einen ganz anderen Stilbereich der Musik kennen, den des zeitlosen, ursprünglichen Volksliedes, den er als „Welt der reineren Qualität“, als „ganz andere Welt, die sich nicht mit den Einflüssen der Zeit beschäftigte“, empfand. Die Unterschiedlichkeit der beiden musikalischen Welten erlebte er in seiner Ausbildungszeit als unüberwindlichen Zwiespalt, ja als Bruch, unter dem er buchstäblich physisch gelitten habe.

In dieser Spannung – schreibt Gerhard Schwarz – habe er sich fortan Zeit seines Lebens befunden. Er hat sie für seine kompositorische Entwicklung, die er selbst mit den Worten „Von der Singbewegung zur neuen Musik“ gekennzeichnet hat, fruchtbar machen können. Ihm ging es darum, Elemente der unverfälschten Volksmusik in die ,Neue Musik‘ einzubringen. Nicht verwunderlich ist es deshalb, daß er in Strawinsky und Bartok große Vorbilder sah, insbesondere in Bartok, der es verstanden hat, die intensiv betriebenen Volksliedforschungen für sein kompositorisches Schaffen nutzbar zu machen.

Gerhard Schwarz nun – weitaus weniger radikal als Bartok – zielte darauf ab, im Volkstum verwurzelte Melodien mittels einer gemäßigt modernen Tonsprache wieder zu verlebendigen. Im Bereich der Kirchenmusik waren es gregorianische oder modale Weisen, die er in ein zeitgemäßes, im engen Sinne nicht-tonales Gewand kleidete. Dem Brückenschlag zwischen der vertrauten alten und der weitgehend, ja überwiegend nicht angenommenen neuen Musik dienten auch seine Improvisations-Kurse an der Kirchenmusikschule in Düsseldorf. „Wir können nicht in Traditionsgebundenheit verharren; wir sollten aufgeschlossen dem Neuen uns öffnen und versuchen, es zu erringen“ (Gerhard Schwarz).

Lit.: G. S., Eine Selbstdarstellung, in: Zeitgenössische Schlesische Komponisten, Dülmen o. J., S. 75-87; ebda. Werkverzeichnis, S. 183-198; Wolfgang Stockmeier: G. S., in: Musik in Geschichte und Gegenwart, Bd. 12, Kassel 1965, Sp. 346-347; A. Rößler: Improvisation – einmal anders, in: Musikalische Jugend, Jg. VIII, 1959, H. 3; O. Riemer: Die Sechzigjährigen unter uns, in: Der Kirchenmusiker, Jg 13, 1962, S. 141 ff.; Landeskirchenmusikdirektor G. S., in: ebda. Ig 12; L. B.: Orgel-Improvisationen. Orgelkonzert mit G. S., in: Göttinger Tageblatt, 3.11.1969; Gottfried Piper: G. S., Psalmen und Improvisationen. Eine Dokumentation, in: Musik und Kirche, 1969/4; Friedrich Soddemann: Hohe Schule der Virtuosität. G. S. demonstriert seltene Kunst der Orgelimprovisation, in: Hildesheimer Allgemeine Zeitung 1.9.1969.