Biographie

Stosch, Philipp Baron von

Herkunft: Ostbrandenburg
Beruf: Kunstkenner
* 22. März 1691 in Küstrin/Neumark
† 7. November 1757 in Florenz

1764 erwarb Friedrich der Große für die beträchtliche Summe von 30 000 Talern die größte und berühmteste Sammlung antiker Gemmen seiner Zeit, die sogenannte Stosch’sche Sammlung, benannt nach ihrem ehemaligen Besitzer Philipp Baron von Stosch. Ihre 3444 Intaglien bilden auch heute noch einen bedeutenden Teil des Gemmenbestandes der Berliner Antikenmuseen. Nicht nur wegen ihrer Größe und als Lebenswerk eines einzelnen eine ungewöhnliche Leistung, war sie obendrein die erste unter wissenschaftlichem Gesichtspunkt zusammengetragene Gemmensammlung. 28 000 zum Teil von Stosch selbst hergestellte Abdrücke von Gemmen aus nahezu allen Antikenkabinetten Europas ergänzten die Originale. So vereinigte Stosch in seiner Hand eine einzigartige Dokumenation der antiken Glyptik. Das von Stosch im Laufe seiner Sammeltätigkeit entwickelte Konzept war es, mit Hilfe der Gemmenbilder die Darstellungen der Götter und ihrer Attribute, der Heldensage und Historie, von Gebräuchen und Gegenständen des täglichen Lebens aus der gesamten Antike in einem möglichst lückenlosen Überblick zusammenzustellen und so die Gemmen als Quelle für die Kulturgeschichte des Altertums zu nutzen. Berühmt wurde die Sammlung durch den 1758 bis 1759, also nach dem Tode Stoschs, aber auf seinen Wunsch hin vom Begründer der Kunstarchäologie Johann Joachim Winckelmann (1717-1768) verfaßten Katalog Description des pièrres gravées du feu Baron de Stosch (Florenz 1760). Für seine Arbeit konnte Winckelmann auf ein umfangreiches, immer wieder ergänztes Manuskript (Katalogus) des Barons zurückgreifen, dem er in Gliederung und Aufbau des Werks sowie Bestimmung des Steinmaterials, der Darstellungen und Dargestellten offenbar weitgehend gefolgt ist. Die derart der Nachwelt überlieferte Stosch’sche Idee vom antiquarischen Nutzen der Gemmenbilder förderte entscheidend die Verbreitung der für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts und die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts typischen, nach der gleichen Vorstellung zu Bildungszwecken entworfenen sogenannten Daktyliotheken, käuflich erwerbbarer Sammlungen von Gemmenabdrücken. Auch von der Stosch’schen Sammlung ließ der preußische Staat Gipsabgüsse an seine Lehranstalten verteilen. Stoschs zweiter Sammlungsschwerpunkt war neben Antiken, Münzen, Gemälden, Graphik, Handschriften und Waffen sein bei seinem Tode auf 334 Bände angewachsener topographisch-geographischer Atlas, heute in Wien, für den er sein Leben lang Pläne und Ansichten von Städten, Festungen, Gärten, Gebäuden jeglicher Art, aber auch Abbildungen bedeutender Ereignisse wie Schlachten, Belagerungen, Feste und ähnliches zusammengetragen hatte.

Diese Sammelleidenschaft, gepaart übrigens mit einer deutlich ausgeprägten Geschäftstüchtigkeit, war nur eine Facette der Persönlichkeit des bürgerlich, als Sohn eines Arztes aufgewachsen Stosch. Die zweite war seine unstillbare Wißbegierde, die ihn zu einem Leben als Gelehrter prädestinierte. Nach abgebrochenem Studium der Theologie in Frankfurt a.O. ging er, seinen antiquarischen Interessen folgend, 1709 auf Reisen durch halb Europa. Dank seiner Gabe, sich hilfreiche und vermögende Gönner zu erwerben, überall gut aufgenommen, „schauend, lernend, sammelnd, stets mehr nehmend als gebend“, wie ihn Paul Ortwin Rave charakterisiert, öffneten sich dem jungen Mann Antikenkabinette und Sammlungen, die vorher kaum ein Altertumsforscher gesehen hatte. In den Jahren 1710 bis 1713 war er in Holland, zwischenzeitlich 1712 in England, 1714 reiste er über Südfrankreich nach Rom, wo er 1715 dank einer Empfehlung des berühmten Bernard de Montfaucon (1655-1741) von Papst Clemens XI. überaus freundlich aufgenommen wurde. 1717 bis 1718 kehrte er über Florenz, Venedig, Wien – hier verlieh ihm Kaiser Karl VI. den Titel eines Freiherrn –, Prag und Dresden ein letztes Mal in seine Heimat zurück. In den Jahren 1719 bis 1721 wiederum in Holland, ließ er sich 1722 endgültig in Italien, zunächst bis 1731 in Rom, dann bis zu seinem Tod in Florenz nieder.

In beiden Städten wurde Stosch bald, obwohl Autodidakt, Mittelpunkt der Sammler, Kunstkenner, Künstler und Antiquare, deren Schreibtischwissen er vermöge seiner überragenden Denkmälerkenntnis überlegen war. Sein umfassender Briefwechsel mit den bedeutendsten Archäologen seiner Zeit, seine Aufnahme in die renommierte Akademie von Cortona zeugen von seiner herausragenden Stellung als Gelehrter und seinem großen wissenschaftlichen Einfluß. Als Autor ist Stosch nur einmal hervorgetreten: In seinem 1724 nach jahrelangen Vorarbeiten in Latein und Französisch erschienenen Werk Gemmae antiquae caelatae scalptorum nominibus insignitae (Amsterdam 1724) veröffentlichte er 70 Gemmen mit Künstlerinschriften aus den verschiedensten Sammlungen Europas in Stichen von Bernard Picart (1673-1733) nach Zeichnungen von Johannes Hieronymus Odam (1681-1741) und untermauerte damit die neue These, daß Namensbeischriften zu Gemmenbildern Signaturen der Künstler seien und nicht, wie bisher angenommen, Namen der Dargestellten wiedergäben. Selbstverständlich nahm auch der junge Winckelmann nach seiner Ankunft in Italien 1756 Kontakt zu seinem berühmten Landsmann auf. Es kam zwar zu keiner persönlichen Begegnung, doch entwickelte sich ein für beide Seiten fruchtbarer Briefwechsel, in dem der alte, in einer anderen Tradition gebildete Stosch sich für die neuen wissenschaftlichen Ansätze Winckelmanns durchaus aufgeschlossen zeigte und ihn schließlich sozusagen als seinen geistigen Erben mit der Veröffentlichung seiner Gemmensammlung beauftragte. Seinen Lebensunterhalt bestritt Stosch mit Hilfe finanzieller Unterstützung durch seine Gönner, durch ihm ausgesetzte Renten, zum Beispiel von Papst Clemens XI., in diplomatischen Missionen im Auftrag der Holländer und des sächsischen Hofes, vielleicht auch des Kaisers, und seit 1721 als Agent des englischen Hofes in Italien, wo er den Thronprätendenten der Stuarts Jacob III. Eduard (1688-1766) beobachtete, eine Aufgabe, die er vermöge seiner Freundschaft zu einflußreichen Personen des päpstlichen Hofes wie Kardinal Alessandro Albani zumindest in seiner römischen Zeit glänzend erfüllte.

Werk: Philipp von Stosch: Gemmae antiquae caelatae scalptorum nominibus insignitae. Ad ipsas gemmas, aut eorum ectypos delineatae & aeri incisae, per Bernardum Picart. Ex praecipuis Europae museis selegit & commentariis illustravit Philippus de Stosch. Amsterdam 1724. – Publikation der Stosch’schen Sammlung: Johann Joachim Winckelmann: Description des pièrres gravées du feu Baron de Stosch, dedièe à son Eminence Monseigneur le Cardinal Alexandre Albani par M. l’Abbé Winckelmann, Bibliothecaire de son Eminence. Florenz 1760.

Lit.: Carl Justi: Antiquarische Briefe des Baron Philipp von Stosch. Marburg 1871. – Carl Bernhard Stark: Systematik und Geschichte der Archäologie der Kunst. Leipzig 1880, passim, bes. 179f. – Allgemeine Deutsche Biographie Bd. 36, Berlin 1893, 464-466 (R. Schwarze). – Carl Justi: Winckelmann und seine Zeitgenossen, Köln5 1956, 279-290; 304-318. – Paul Ortwin Rave: Über Philipp von Stosch. In: Berliner Museen N.F. 7 (1957),20-26. – Lesley Lewis: Connoisseurs and Secret Agents in Eighteenth Century Rome. London 1961. – Wolfgang Schiering: Zur Geschichte der Archäologie. In: Allgemeine Grundlagen der Archäologie. Handbuch der Archäologie. München 1969, 16-18. – J. Heringa: Die Genese von Gemmae Antiquae Caelatae. In: Bulletin Antieke Beschaving 51 (1976), 75-91. – Peter Zazoff: Die antiken Gemmen. Handbuch der Archäologie. München 1983,10-15. – Ders. und Hilde Zazoff: Gemmensammler und Gemmenforscher. München 1983, 3-134 (mit ausführlicher Bibliographie). – Der Archäologe. Graphische Bildnisse aus dem Porträtarchiv Diepenbroick. Ausstellungskatalog Münster 1984, S. 227, Nr. 78.

Bild: Elfenbeinmedaillon nach (?) Giovanni Battista Pozzo (Pozzi) (um 1620-1752). Vgl. Christian Theuerkauff: Die Bildwerke in Elfenbein des 16.-19. Jahrhunderts. Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz. Die Bilderwerke der Skulpturengalerie Berlin II. Berlin 1986, 241-248, Nr. 66 (mit Kurzbiographie).